Grundrechtseinschränkungen im Rahmen der Anti-Corona-Maßnahmen findet Heribert Prantl unerträglich. In Talkshows wird der Journalist und Jurist dann gerne laut. Doch wie grenzt man sich von Rechten und Aluhutträgern ab? Im Podcast des literaturcafe.de wird Prantl leiser: Wir brauchen eine große Bilanz.
Heribert Prantl gehörte viele Jahre lang zur Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Vor seiner journalistischen Laufbahn war der studierte Jurist Richter und Staatsanwalt. Doch das Wort »Ruhestand« mag Prantl gar nicht. Wöchentlich schreibt er für die Zeitung seinen Newsletter »Prantls Blick« und regelmäßige Beiträge in der Printausgabe der Süddeutschen. Nachdem er keine Redaktionssitzungen leiten müsse, käme nach der Pflicht nun die Kür. Den Wechsel von der Juristerei in den Journalismus habe er nie bereut.
In seinem Buch »Not und Gebot« (siehe Rezension im literaturcafe.de) kritisiert Heribert Prantl immer wieder die massiven Grundrechtseinschränkungen im Rahmen der Anti-Corona-Maßnahmen. Nie hätte er sich in seinem ganzen Berufsleben vorstellen können, dass wir über eine solche »Quarantäne von Grundrechten« reden würden, sagt Prantl.
Im ausführlichen Podcast-Gespräch mit Wolfgang Tischer bekräftigt Heribert Prantl die Aussagen aus seinem Buch: »Ein Grundrecht steht mir zu – ohne jede Voraussetzung. Es hält ein Denken Einzug, dass ich mir die Grundrechte erwerben muss durch eine bestimmte Leistung.«
Wenn man sich freue und wenn man lobe, was gerade an Lockerungen passiere, dann setze man immer voraus, dass die Beschränkungen der Grundrechte in toto richtig waren, so Prantl. »Aber sie waren nicht richtig und rechtmäßig!«, wettert Prantl im Podcast des literaturcafe.de.
Heribert Prantl kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Woche keine eindeutige Eilentscheidung zu den Grundrechtseinschränkungen getroffen habe. Prantl: »Ich werfe dem Bundesverfassungsgericht vor, dass es in der Eilentscheidung diese Ausgangsbeschränkungen zunächst akzeptiert hat und gesagt hat, das mache ich in der Hauptentscheidung – irgendwann. Das Bundesverfassungsgericht geht mit tiefgreifenden Grundrechtseinschränkungen um, als hätte es über eine Lärmschutzvereinbarung für Rasenmäher zu entscheiden. Das ist für 08/15-Entscheidungen richtig, aber wir leben nicht in 08/15-Zeiten.«
In seinem Buch »Not und Gebot« und im literaturcafe.de-Podcast stellt Prantl außerdem fest: »Wir dürfen die Grundrechte nicht mit den Rechtsaußen-Leuten und mit der AfD und den ganzen Verschwörungsmystikern alleine lassen. Die Grundrechte haben das nicht verdient, dass sie – vermeintlich – von Rechtsaußen verteidigt werden. Das ist mir unheimlich!«
Aber wie kann man gegen die Maßnahmen demonstrieren und protestieren, ohne mit Aluhutträgern, mit Esoterikern oder mit Rechten in einen Topf geworfen zu werden?
»Wer wirft denn in einen Topf?«, fragt Heribert Prantl. »Das machen doch die Medien.« Prantl hätte sich von vielen Kolleginnen und Kollegen eine breitere Darstellung gewünscht. Es sei zu viel Hysterie und Angstmacherei im Spiel gewesen.
Prantl sieht eine Polarität in der Gesellschaft, wie er sie noch nie erlebt habe, selbst bei ähnlichen argumentativen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit.
Immer wieder werden die Maßnahmen verlängert und die Geschichte habe gezeigt, dass »aus Ausnahmegesetzen Alltagsgesetze wurden«.
»Wir brauchen jetzt eine große Bilanz«, fordert Heribert Prantl, um all das zu analysieren, was falsch gelaufen ist. Auch wenn der Auftakt des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Eilentscheidung nicht der beste war, glaubt Prantl, dass »nach dem Jahr der Virologen ein Jahr der Gerichte beginnt«.
Hören Sie das ausführliche, ungekürzte Gespräch mit Heribert Prantl im Podcast des literaturcafe.de.
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Hallo Literaturcafe,
sehr sehr interessant die Auführungen von Herrn Prantl, auch wenn er mir vorkommt wie der einsame Rufer in der Wüste — angesichts nicht zuletzt des täglichen “Medien”-Trends seiner kaum noch auszuhaltenden Süddeutschen Zeitung.
Ich gehöre zur Generation der Kinderlähmungs-Jahre in den 50ern (zeitlich nicht lange nach überlebter Hitler-Diktatur!). Es gab gegen diese tatsächlich nun mal äußerst gefährliche schwere, überwiegend tödliche verlaufende Krankheit über 15 Jahre hinweg keinerlei Impfung. Trotzdem wurden wir all diese Jahre lang n i e m a l s einen einzigen Tag lang derart einge-sperrt wie wir es heute wegen eines vergleichsweise harmlosen Virus seit über einem Jahr gehorsam mit uns geschehen lassen. Und, da schließe ich mich der Befürchtung von Herrn Prantl an, dies wird uns auf die eine oder andere Weise bleiben. Die Mutanten stehen längst Schlange für unsere Wärter: unsere Virologen, Infektologen, Epidemiologen oder wie sie sich nennen, unsere leidenschaftlichen Lebensretter.
Dem Problem ist juristisch durch Verfassungsgerichte kaum beizukommen. Eher wahrscheinlich durch die “Medien”, die ebenso psychisch krank allerdings sind wie ein Großteil unserer Gesell-schaft, die in steter Angst vor Krankheiten lebt – vor Sterbenmüssen, Krebs, Viren, Tod, Kommu-nisten, Querdenkern. … Krankheiten samt ihrer Symptome kommen und gehen, die Angst bleibt. Irgendein Ziel findet sich immer. Wer die Angst schürt, bekommt Recht und verdient damit — unter Umständen jede Menge. Gegen Hysterie, besonders die der “Medien” (inklusive SZ) ist ein Verfassungsgericht machtlos — auch Richter haben ihre diversen Ängste vor diversen Krank-heiten. Einen Paragraphen gegen Angst und Bereitschaft zur Hysterie gibt es nicht im Grund-gesetz.
Danke trotzdem für diesen Podcast.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Hora
Vielen Dank, Herr Tischer, für Ihr Interview mit Heribert Prantl. Und Herrn Prantl vielen Dank für seine engagierten, aufschlussreichen und oft berührenden Worte.
Seit mehr als einem Jahr befinden wir uns auf dem Weg von der repräsentativen zu einer repressiven Demokratie. Und auf diesem Weg ist unsere Gesellschaft schon weit gekommen. Verbote, Überwachung und Sanktionen scheinen längst wichtiger zu sein als Freiheit, Eigenverantwortung und das Vertrauen auf die Grundrechte. Unsere Gesellschaft ist in keiner guten Verfassung – und die gute Verfassung, die sie noch hat, wird anscheinend nicht einmal mehr von denen geschützt, die als Richter ihren Namen tragen.
Wir dürfen darauf hoffen, dass uns mit dem Sinken der Inzidenzzahlen die Grundrechte Schritt für Schritt gnädig zurückgegeben werden. Einen Weg, der am Ende nur wieder zurück zum Zustand vor der Pandemie führt, darf es aber nicht geben. Denn dann steht zu befürchten, dass bei passender Gelegenheit, in der nächsten Ausnahmesituation, diese Rechte um so leichter wieder außer Kraft gesetzt werden. Es muss verhindert werden, dass die Grundrechte zum Spielball bei der Durchsetzung politischer Interessen verkommen und durch Gesetze nach Belieben genommen oder gewährt werden können.
Eine Regierung, die ihren Aufgaben nicht gewachsen ist, deswegen Grundrechte außer Kraft setzt, und die Entscheidungen, wie wir als Gesellschaft zusammenleben, den Rechenkünsten eines RKI überlässt, hat ihren Namen nicht verdient (RKI = Regierung kraft Inkompetenz der Regierenden). Ich mag sie nicht mehr sehen, die sorgenvolle Miene des Chef-Virologen, der – vielleicht in der Absicht, sie schützen zu wollen – den Menschen Angst macht und mit freundlicher Unterstützung der Regierenden die demokratische Gesellschaft an den Rand des Abgrunds unkt.
Ich hätte mir gewünscht, dass unsere Verfassungsrichter im Hinblick auf den Umgang der Regierung mit den Grundrechten, einen ebenso sorgenvolle Miene aufgesetzt und Kritik geäußert hätten, wie der Chef des Robert-Koch-Instituts bei der Verkündung seiner Infektionszahlen.
Da bin ich froh, dass es Menschen gibt wie Heribert Prantl, die Kritik an den Verhältnissen nicht nur zulassen, sondern sie auch deutlich äußern.