StartseiteFrankfurter Buchmesse 2020Buchmesseimpressionen 2020 Special Edition von Barbara Fellgiebel: »Hoffentlich noch lange abrufbar«

Buchmesseimpressionen 2020 Special Edition von Barbara Fellgiebel: »Hoffentlich noch lange abrufbar«

Cecile Schortmann moderiert im Kaisersaal und in meinem Notebook
Cecile Schortmann moderiert im Kaisersaal und in meinem Notebook

Alle Jahre wieder: Barbara Fellgiebels Impressionen der größten Buchmesse der Welt – respektlos, subjektiv, frech, erfrischend, und noch so einiges. Diesmal voll digital, denn die Messe gab es 2020 bekanntermaßen nur online.

Montag, 12. Oktober 2020

In diesem Jahr ist alles anders. Willkommen zu Barbaras ersten und hoffentlich letzten digitalen Messeimpressionen. Ich will nicht jammern, tu mich aber verdammt schwer damit, gerade dies nicht zu tun.

Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, die Buchmessenwoche in Frankfurt zu verbringen, auch als alle anderen schon meinten, dieses Jahr kommen sie lieber nicht. Aber dann konnte mir doch keiner garantieren, dass ich auch wirklich in die heilige Messehalle physisch reinkommen könne, und die Vorstellung, irgendwo in Frankfurt in Quarantäne sitzen zu müssen, ließ mich dann doch schweren Herzens aufgeben.

Und ist es nicht wundervoll, im goldenen Oktober in meinem sonnigen Schwedengarten zu sitzen und dabei die Messe digital zu erleben? NEIN! Ist es nicht! Nie hätte ich gedacht, dass mir Gedränge, Geschubse, Gehuste, Gehetze fehlen könnten.

Meine Buchmesse fängt wie immer mit dem Verleih des dbp, des deutschen Buchpreises an. Seit 16 Jahren. Erstmalig besteht die Shortlist aus 4:2: vier Autorinnen und zwei Autoren.

Moderatorin Cecile Schortmann macht ihre Sache souverän. Sie wird jedes Jahr besser. Geschickt beginnt sie damit, die Kulturdezernentin Frankfurts, Ina Hartwig zu interviewen und danach die neue Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Karin Schmidt-Friderichs in ein Gespräch zu verwickeln. Rührend, wie sich alle bemühen, ihre Enttäuschung ob der veränderten Bedingungen hinunterzuschlucken und zu versuchen, die Vorteile dieser digitalen Messe hervorzuheben.

Der altvertraute Kaisersaal, in dem die Verleihung stattfindet, ist nicht wiederzuerkennen. Die stilvolle Bestuhlung ist weißen Barhockern und einem Dutzend weißer, langer Tresen gewichen. An denen sitzen auf der einen Seite fünf der sechs Shortlistautor/innen (die 6., Christine Wunnicke, wird per Video aus München dazu geschaltet). Auf der anderen Seite sitzen die Jurymitglieder, die ALLE in den 1980-er Jahren geboren sind. Ich schlucke und fühle mich steinalt und ausgegrenzt. Die Juryvorsitzende Hanna Engelmeier bezeichnet die Mammutarbeit, die das Sichten von über 250 Romanen zweifellos ist, als »glücklichen Eskapismus«.

Die glückliche Gewinnerin des mit 25.000 € dotierten Preises heißt Anne Weber. Ihr Buch Annette – ein Heldinnenepos. Ich habe Anne Webers Heldinnenepos seit Wochen zu Hause, habe es im September bereits auf der schwedischen Literaturrunde vorgestellt und hatte mir vorgenommen, Anne Weber unbedingt persönlich kennenzulernen, weil Anne Weber so wie ich in und mit zwei Sprachen lebt, schreibt und in beide Richtungen übersetzt. Und nun ist sie dbp-Preisträgerin! Und ich bin nicht in Frankfurt. Ach Corona!

Sympathischerweise hat sie – aus Aberglaube, wie sie sagt – keine vorbereitete Dankesrede parat und hält spontan die längste Rede, die eine reine Hommage auf ihre Heldin Annette wird.

Und dann ist Schluss. Kein herrliches Gemingel im Kellergewölbe des Römers, keine Reaktionen – weder von »Verlierern« (die mit einem Trostpreis von immerhin 2.500 € nach Hause gehen) noch von Kritikern, Verlegern oder anderen geladenen Gästen. Nichts. Nur spontaner Austausch über WhatsApp mit anderen »Anidabeis«. Und rekordschnellen Kommentaren aller Online-Redakteure. Aber das ersetzt die innere Leere nicht.

Ich bin in einem Dilemma: Einerseits ist mir klar, dass ich für die »Fans« schreibe, die meine mehr oder weniger frechen Messebetrachtungen mit Vergnügen lesen, andererseits kann ich nur kommentieren, was jedem/r anderen auch zugänglich ist, kann den Autor:innen zwar im Geiste Fragen stellen, bekomme aber keine Antworten, ganz zu schweigen von zufällig aufgeschnappten Kommentaren . Das lähmt. Also schreibe ich für dich und Sie, die vielleicht eher wenig im Internet surfen und Links aus Prinzip nicht anklicken.

Dienstag, 13. Oktober 2020

Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2020
Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2020

Auch an diesem Dienstag findet die Eröffnungspressekonferenz statt. Ist man normalerweise in einem lichten Raum im Pressezentrum mit an die 100 Kolleginnen eingequetscht, beginnt die digitale Variante gespenstisch in Discokellerartiger Dunkelheit mit weit verstreuten Personen auf riesigem Sicherheitsabstand und davor wuselnden Silhouetten von Kameramenschen und anderen tüchtigen Digitalarbeitenden, die versuchen, dieses »Event« so aufzunehmen, dass es auch noch Wochen später von Millionen YouTube-Nutzenden gesehen werden kann.

Aber warum schneidet man nicht die ersten DREI vorbereitenden Minuten weg? Jeder Medienmensch weiß, wie wichtig die ersten 30 Sekunden sind. Wer will denn drei Minuten warten, bis es endlich losgeht? Da haben sich Tausende ungeduldiger YouTuber längst ausgeklickt. Der Buchmessedirektor Jürgen Boos wirft sich ins Zeug, beginnt auf Englisch, wechselt geschmeidig auf Deutsch. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier tut es ihm nach. Ihre Reden sind hoffnungsvoll und zuversichtlich, betonen tapfer die Vorteile dieser virtuellen Nicht-Messe.

Die Vorsitzende des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs folgt. Sie entschuldigt sich dafür, Deutsch zu sprechen! Fände die Messe in Frankreich, Italien, Russland oder China statt – würde man sich da entschuldigen, seine Landessprache zu sprechen?

So sehr ich mich freue, dass endlich eine Frau auf dieser Position ist, so sehr muss ich mich an Frau Schmidt-Friderichs Gebrauch der deutschen Sprache gewöhnen: Sie ist eine der vielen Vertreterinnen die meinen, weibliche Berufsbezeichnungen wie das Gegenteil von außen aussprechen zu müssen. Gendern nennt man das, habe ich gelernt. Es klingt, als stottere der so sprechende Mensch. Das geht auch anders.

Der Intendant des Hessischen Rundfunks, Manfred Krupp, macht das anders.

Und dann ist Lydia Hilebrand an der Reihe, eine der fünf Verlegerinnen des im Oktober 2019 gegründeten Verlags &Töchter, ein junger Verlag, der nachhaltig produzieren will, z. B. kreative Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding nutzen. Erfrischend und schön, dass die etablierte Buchbranche diese mutigen Frauen mit offenen Armen aufnimmt. Female empowerment nennt sich das.

Die abendliche Eröffnungsfeier können Sie ebenfalls im Original sehen:

Die aus Kulturzeit bekannte Vivian Perkovic moderiert. Signals of Hope – Signale der Hoffnung ist das Motto dieser Buchmesse, Singular plurality – einzigartige Vielfalt das Motto des Gastlands Kanada, das dank Corona zweimal Gastland sein darf: Dieses Jahr digital, nächstes Jahr (hoffentlich) real.

Von Mittwoch, 14. Oktober 2020, bis Samstag, 17. Oktober 2020

Typische Interviewsituation der Frankfurter Buchmesse 2020: Die eine da (Bärbel Schäfer), der andere fern (Jan Böhmermann).
Typische Interviewsituation der Frankfurter Buchmesse 2020: Die eine da (Bärbel Schäfer), der andere fern (Jan Böhmermann).

Und los geht’s. Wie gut, dass ich vor dem Schreiben dieser Impressionen im literaturcafe.de Wolfgang Tischers frustrierte Erfahrungen über seinen digitalen Buchmessenbesuch gelesen habe. So kann ich mir sparen, genau das Gleiche zu bemängeln und zu kritisieren. Ich werde immer ungehaltener ob der vielen vergeudeten Minuten, die ich veranstaltungslos im Internet verbringe. Es koppelt nicht, es öffnet sich nicht. Die nur knapp 20 Minuten langen Gespräche finden statt, und ich bin nicht dabei, weil die Technik nicht klappt. Ich lese viel über Livestreams, erfahre aber nirgends, welche Veranstaltungen wie lange auch im Nachhinein zugänglich sein werden. Und wenn ja wie lange. Das macht mich nervös.

Die Sonne der Buchmesse hieß bisher Roger Willemsen: Niemand hatte so viel Freude an den höchst anstrengenden vier Buchmessetagen wie Roger. Niemand strahlte wie eine Sonne, wenn er die völlig überfüllte Rolltreppe in Halle 4 herunterfuhr. Als ich sein elektrisierendes Strahlen zum ersten Mal sah, kannte ich ihn noch nicht, konnte mir aber nicht verkneifen zu sagen: »Ihnen sieht man aber an, wie gern Sie hier sind!« Und er versicherte mir, dass diese Tage das Highlight seines Jahres sei.

Seit fünf Buchmessen suche ich diese Sonne vergeblich.

Alexander Solloch interviewt die österreichische Debütautorin Katharina Köller zu ihrem Buch Was ich im Wasser sah. Sie könnte eine neue Sonne der Buchmesse werden, denn sie strahlt, sieht in allem etwas Positives, und als sie aus ihrem Buch liest, erzeugt sie einen Alfa-Effekt: Von ihr möchte ich mehr hören, am liebsten live, denn sie liest ihre Texte mit einer magischen Leuchtkraft.

Sie und Laura Lichtblau Schwarzpulver stellen ihre Erstlingswerke vor, sprechen druckreif, ohne Kunstpausen, ohne nervöse Ähms, ich sag jetzt mal, gewissermaßen und sozusagen. Das gilt auffällig für viele Autorinnengespräche, in die ich reinrutsche. Sind die Schreibenden von ihren Verlagen gecoacht, trainiert, vorbereitet?

Das gilt auch für  Cecile Schortmanns Gespräch mit Alice Schwarzer, die ungewöhnlich gut vorbereitet ist und bedeutend stringenter spricht als viele Male zuvor. Nachdem sie vor einigen Jahren ihre Kindheit und Jugend in Lebenslauf schilderte, hat sie ihr jüngstes Buch Lebenswerk genannt, und genau das beinhaltet es: Ihr turbulentes Lebenswerk. Cecile Schortmann fragt sie gegen Ende des Gesprächs nach Angela Merkel und ist nach der langen Lobeshymne, die Frau Schwarzer auf die Bundeskanzlerin hält, über sich selbst verärgert: So hatte sie dieses Gespräch nicht beenden wollen!

Im Radio höre ich auf NDR Kultur, dass Peter Stamm mit Alexander Solloch am Main spazieren geht und über sein aktuelles Buch Wenn es dunkel wird, einen Erzählband, spricht. Als er die Geschichte Supermond daraus vorliest, rührt mich das deutlich vernehmbare Entenkonzert im Hintergrund. Ich sehe den glitzernden Main vor mir und werde von Kindheitserinnerungen überfraut.

Ich verlasse die Tageseinteilung, merke, dass sie keine Bedeutung hat, wenn vieles live verpasst wird, dann aber dankenswerterweise am nächsten Tag bei YouTube oder in anderen Medien nachzuerleben ist.

Ich lande bei Jürgen Neffe, dem jahrelangen SPIEGEL-Korrespondenten in den USA. Er spricht faszinierend über sein jüngstes Buch Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl. Er nennt Trump den ehrlichsten Lügner und einen Meister der false memories.

Bärbel Schäfers Gesprächen zu folgen ist immer eine besondere Freude und in diesem Jahr noch etwas mehr. Sie ist immer gut vorbereitet, stellt intelligente Fragen, weicht je nach Gesprächsverlauf spontan von ihrem vorbereiteten Fragengerüst ab und stellt sich ganz auf ihre/n Gesprächspartner/in ein.

So auch auf Tennisstar Andrea Petković, die mit Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht einen Erzählband unvermuteter Qualität vorgelegt hat. Beide duzen sich zunächst, um später plötzlich zum Sie überzugehen. Andrea punktet mit ihrer sympathischen Art und stellt fest, dass sie dieses Buch nur geschrieben hat, um ihrem Ehrgeiz auf die Spur zu kommen.

Digital interviewt Bärbel Schäfer Jan Böhmermann, der aus seiner Trump ähnelnden Obsession des Twittergebrauchs (Sechs Stunden täglich verbringt er in diesem Medium nach eigener Aussage) ein Buch gemacht hat. 25.800 Tweets hat er zwischen zwei Buchdeckel geklemmt. Man beachte die portugiesischen Azulejos im Hintergrund sowie Böhmermanns rot lackierten kleinen Fingernagel.

Der Fingernagel von Jan Böhmermann?
Der Fingernagel von Jan Böhmermann?

Von wegen! – Es handelt es sich um Bärbel Schäfers manikürten Nagel.

Vor drei Jahren stellte Ijoma Mangold seine Autobiografie Das deutsche Krokodil vor. Nun ist er aktuell mit dem Buch Der innere Stammtisch: ein politisches Tagebuch. Ich tu mich schon immer schwer mit seiner Überheblichkeit, freue mich jedoch über gut formulierte philosophische Betrachtungen und notiere erfreut, dass er – anders als früher – im Gespräch nur zweimal das Unwort »gewissermaßen« gebraucht. Dafür versucht er seine dogmatische Art mit »ich würde sagen« abzuschwächen. »Dann sag’s doch!«, forderte meine Deutschlehrerin immer. Keine der beiden Stellen, die er aus seinem Buch vorliest, kommt ohne gewissermaßen aus, und bei dem Satz »Fasziniert lauschte der Tisch« male ich mir aus, was Denis Scheck wohl dazu zu sagen hätte.

Keine Buchmesse ohne Druckfrisch – mit Deutschlands Meistleser Denis Scheck, der erstaunlich bescheiden und dankbar klingend von seiner kleinen unbedeutenden Sendung im Deutschen Fernsehen spricht. Ist das seine Art der Ironie oder eine Auswirkung von Corona?

Seit Jahren räumt er der Lyrik immer mehr Platz ein und freut sich entsprechend, dass der Literaturnobelpreis in diesem Jahr der amerikanischen Lyrikerin Louise Glück verliehen wird.

Pablo de Roca: Mein Herz brüllt wie ein rotes Tier nennt er beispielhaft für den Zorn in der internationalen Lyrik.

Auch die deutsche Buchpreisträgerin Anne Weber wird wohlwollend bedacht, obwohl er sie mehrfach Annette Weber nennt. Doch hätte man ihn fragen können, hätte er sicher gesagt: Thomas Hettche hätte den Preis für sein erstaunliches Werk Herzfaden verdient. Das in zwei Farben gedruckte Buch schildert parallel die Entstehung der Augsburger Puppenkiste und den Mentalitätswandel dieses Landes. Möge der dreimal in der Shortlist nominierte Autor es beim vierten Mal schaffen.

Nach Druckfrisch interviewt Denis Scheck Iris Wolff, die aus dem Banat (Siebenbürgen) stammt.

Hmm, Das muss ich mir eigentlich nicht reinziehen, denke ich. Herta Müller hat das Thema schließlich  ausreichend behandelt.

Hat sie aber nicht: Die Unschärfe der Welt ist ein grandioses Buch, die Autorin eine wahre Entdeckung.

Auf der ARD-Bühne finden immer interessante Gespräche statt. So auch in dieser Special-Edition.

Michel Friedman, kontroversieller Jurist und Publizist, ist bei Cecile Schortmann. Er macht mit »Das Schweigen war nach 1945 das lauteste Geräusch« neugierig auf sein jüngstes Buch, das er unter dem Titel Zeitenwende zusammen mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer veröffentlicht hat.

Fried- (rechts) und Schortmann (links)
Fried- (rechts) und Schortmann (links)

Ulrike Draesner hat mit Schwitters ein beachtliches Buch über einen nach Norwegen emigrierten »entarteten« Künstler geschrieben, Christoph Peters den Dorfroman Kalkar, der Schecks besondere Erwähnung findet.

Monika Helfer ist das österreichische Pendant zu Siri Hustvedt. Sie tritt mit ihrem Roman Die Bagage aus dem Schatten ihres berühmten Ehemanns Michael Köhlmeier und schildert (nachhaltig, wie eine Kritikerin meint) die Geschichte ihrer Familie. Auf nur 160 Seiten gelingt es ihr, »Ordnung« in die vier Generationen umfassende Familie zu bringen, die kargen Lebensumstände zu Beginn des 20. Jahrhundert eindrücklich zu schildern und Personen zu charakterisieren, die man so schnell nicht vergisst.

Auf YouTube findet man 2 x 11 Stunden Livestreams vom am Buchmessensamstag stattgefundenen Bookfest in der Frankfurter City sowie von den Messetagen auf der ARD-Bühne.

AberAchtung: Es fängt mit einem minutenlangem Countdown einer Stoppuhr an. Einfach unten auf die Zeitleiste gehen und vorspulen, und schon sind Sie mitten in einem der vielen wirklich gut zusammengestellten Clips, zum Beispiel in einem der Streiterinnen, bei denen die Französin Emma Becker über ihre zwei Jahre als Sexarbeiterin in Berlin berichtet. Schauen Sie rein, solange das noch möglich ist!

https://www.youtube.com/watch?v=3XXA746BUFw&t=71s

https://www.youtube.com/watch?v=dDifxTLewj4

Sonntag, 28. Oktober 2020

Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche an den indischen Wirtschaftswissenschaftler und Philosophen Amartya Sen fand ebenfalls in traurigster Coronawirklichkeit statt: Ohne Publikum, der Preisträger per Zoom aus den USA zugeschaltet, Bundespräsident Steinmeier in Quarantäne. Seine Rede verlas der Schauspieler Burghart Klaussner.

Ich merke, wie wichtig mir die reale Messe ist, bewundere Jürgen Boos und sein Team dafür, dass sie nicht den Weg des geringsten Widerstands gegangen sind und die Messe kurzerhand abgeblasen haben, sondern diese digitale SPECIAL EDITION kreiert haben, an der sich erstaunlich viele Menschen aktiv und passiv beteiligt haben, und freue mich, auch nach der Buchmesse großartige Programme im Netz zu finden, die ich in Echtzeit verpasst hatte. Hoffentlich sind die noch lange abrufbar.

Ganz große Gratulation, dass sich dieser Wahnsinnsaufwand gelohnt zu haben scheint. Die blitzschnell nach Messeschluss veröffentlichten Zahlen sind beeindruckend, jedoch kann niemand prüfen, ob sie wirklich stimmen:

Die Frankfurter Buchmesse 2020 in (eigenen) Zahlen:

  • 200.000 User:innen nahmen die virtuellen Angebote auf der Plattform buchmesse.de an.
    4.440 digitale Aussteller:innen aus 103 Ländern registrierten sich auf buchmesse.de.
    3.644 Veranstaltungen im Veranstaltungskalender der Frankfurter Buchmesse in der Messewoche.
    6.800 Einreichungen von Präsentationskacheln durch digitale Aussteller:innen wurden für die 13 Themenseiten auf buchmesse.de erfasst.
  • BOOKFEST Digital
    1,5 Millionen Videoansichten auf Facebook am 17. Oktober 2020, Zuschauer:innen aus 124 Ländern haben sich zugeschaltet.
  • Social Media
    Darüber hinaus wurden auf den Social Media-Kanälen der Frankfurter Buchmesse in den letzten sieben Tagen 1,2 Millionen Interaktionen und Aufrufe erreicht.
  • Frankfurt Rights Plattform
    4.165 registrierte Ein- und Verkäufer:innen
    31.100 innerhalb der FBM20 Mitgliedschaft hochgeladene Titel
    400.000 Titel auf der Frankfurt Rights Plattform
  • Match-Making
    2388 Teilnehmer:innen
    9542 Kontaktanfragen
    3153 Matches

Was ich schmerzlich vermisst habe: Die vielen Trouvaillen – die unberechenbaren, spontanen zur richtigen Zeit am richtigen Ort erlebten Zufallsbegegnungen.

Bücher und Hörbücher auf die ich mich freue:

  • Anne Weber: Annette – Ein Heldinnenepos
  • Laura Lichtblau: Schwarzpulver
  • Katharina Köller: Was ich im Wasser sah
  • Jürgen Neffe: Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl
  • Peter Stamm: Wenn es dunkel wird
  • Thomas Hettche: Herzfaden
  • Michel Friedman, Harald Welzer: Zeitenwende
  • Ulrike Draesner: Schwitters
  • Christoph Peters: Kalkar
  • Monika Helfer: die Bagage
  • Iris Wolff: die Unschärfe der Welt
  • Andrea Petković: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
  • Emma Becker: La maison
  • Alice Schwarzer: Lebenswerk

Ich schließe mit dem Resümee Denis Schecks, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:

»Dies war die größte Stunde der Frankfurter Buchmesse. Und dennoch fühlte sich die Buchmesse 2020 an, als hätten sich Lord Voldemort und Lady Macbeth, Sauron und der Räuber Hotzenplotz, der Grinch, Lex Luthor und der Speckfürst zusammengetan, um all das kaputt zu machen, was uns Leserinnen und Leser am Herzen liegt. Einerlei. Wir werden weiter kämpfen. Besser kämpfen. Wir werden diesen Kampf gegen das Virus Buch um Buch führen, Lesung um Lesung, Sendung um Sendung. Niemals zuvor hatten so viele so wenigen so viel zu verdanken.«

Barbara Fellgiebel

Barbara Fellgiebel ist langjährige Buchmessen- und Literaturfestival-Beobachterin. Sie verweigert sich nach wie vor erfolgreich den sozialen Medien.
Sie freut sich aber über Ihre Reaktionen hier als Kommentar oder an alfacult(at)gmail.com.

Weitere Beiträge zum Thema

1 Kommentar

  1. Danke, liebste Barbara, für diesen interessanten Bericht über die Messe zu solch ungewohnten und gar nicht normalen Bedingungen. Seit Jahren lese ich ihn immer wieder sehr gern.
    Hier eine Information an Dich: Es gibt mich noch, ich wurschtle mich mit Hilfe meiner Kinder und, seit April d.J., meiner kleinen Enkelin durch mein verändertes Leben. Meiner Schreiblust komme ich in kleiner Runde in Form von “Schreiben für die Seele” nach. Es macht mir Spaß, wie einst bei ALFA.
    Alles Liebe und Gute für Dich.
    Elke (Hahn-Zeisberg)

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein.
Bitte geben Sie Ihren Namen ein