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Lesende Blognutten in Leipzig

Lesebühne mit KlorollenStehen musste niemand, aber der Saal war doch fast voll. Durch Matsch und Schnee musste man zum Veranstaltungsraum im Hinterhof des Volkshauses schlittern, der mit einer Art von Gaskanonen beheizt wurde. Wegen des Lärms wurden diese während der Lesung abgeschaltet. Thomas Knüwer vom Handelsblatt, der zusammen mit seinem Kollegen Julius Endert durch den Abend führte, sollte sich dann später zum Abschluss auch fürs gemeinsame Mitfrieren bedanken.

Auf Einladung der Düsseldorfer Wirtschaftszeitung hatte sich die Crème de la Crème der literarischen Weblog-Szene eingefunden, um in der zweiten Veranstaltung ihrer Art Texte aus ihren Blogs zu lesen. Die einfache Struktur des Abends machte ihn sehr kurzweilig und unterhaltsam: Jede und jeder las vor und nach der Pause je einen Text. Kein peinliches Herumdrucksen, ob man vielleicht noch einen Text lesen dürfe, und keine der oftmals üblichen, aber sinnlosen langen Einleitungen à la »In dem Text, wo ich jetzt lese, geht es um …«.

Das Publikum selbst war mit dem Begriff Weblog vertraut; nur eine war mutig und meldete sich auf Knüwers Eingangsfrage, wer denn mit dem Begriff »Blog« nichts anfangen könne. Somit hatte Klüwer zumindest ein Argument, um in einer Einführung den thesenanschlagenden Luther als ersten Blogger zu bezeichnen und anhand von durchs Publikum wandernden abgewickelten Klopapier die Vernetzung der Blogs plastisch darzustellen. Der Insidergag, dass just aus diesem Grund der Werber Jean-Remy von Matt die Blogs als Klowände des Internet bezeichnete, zündete nicht ganz. Das Klüwer dies jedoch selbst bemerkte, machte ihn als Gastgeber sehr sympatisch.

Herausragend an diesem Abend waren wieder einmal die Texte von Don Dahlmann, der einfach wunderbar leicht und locker schreiben und vorlesen kann. Und im Publikum fragt man sich: Hat dieser grauhaarige Mann um die 40 das alles wirklich so erlebt? Das Spiel mit dem Realen und Fiktiven hat bei Weblog-Texten natürlich seinen doppelten Reiz. Auch ix von wirres.net unterhielt mit autobiografischen Texten über Darmspiegelungen und Details aus seiner Ziwi-Zeit, mit denen er das anwesende Publikum jedoch nicht schocken konnte.

Genüsslich zitierte ix zudem einen Hinweis auf die Blog-Lesung aus der Jungen Welt, in dem behauptet wurde, Blogger wollten ohnehin nur von etablierten Medien aufgekauft werden. Und überhaupt seien es verdammte Nutten.

Des weiteren las Don Alphonso (trägt der Mann eigentlich irgendwann auch einmal andere Farben als hellbraun?) unter anderem eine bayrisch-katholische Gruselgeschichte. Madame Modeste, die leicht verspätet während der Lesung eingerollkoffert kam und somit den ihr gebührenden Auftritt hatte, konnte somit gerade noch rechtzeitig mir ihren sprachlich fein geschliffenen Beobachtungen glänzen. Lediglich Lyssa langweile, da ihre Texte weder sprachlich noch inhaltlich originell waren und Klischees unter dem Vorwand bedienten, sich über sie lustig zu machen.

Natürlich las auch Gastgeber Knüwer selbst aus seiner »Blogonovela« »Die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt«, darunter der etwas ältere Text über Robbie Williams und die aktuelle Folge über Second Life.

Wie machen sie’s bei so viel Lesenden mit einer Zugabe, begann man sich zu fragen. Das könnte sich peinlich hinziehen. Die Lösung: Es gab keine, denn man soll schließlich aufhören, wenn es am schönsten ist. Mehr Bilder und Links zur Lesung gibt’s auch bei den Blogpiloten.

Beim Zurückwandern über den Hinterhof am letzten verbleibenden matschfreien Streifen entlang der Garagen tropfte einem unangenehm das Tauwasser auf den Kopf.

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