StartseiteHörbücherDeutscher Hörbuchpreis 2007: Kostbares für auf die Ohren

Deutscher Hörbuchpreis 2007: Kostbares für auf die Ohren

Ausschnitt aus dem Cover »Belgische Riesen«Drei Tage ist es eigentlich schon her, und dank der Nachrichtenagentur ddp hat eine ansehnliche Anzahl von Medien ihr Layout mit der Meldung ausgefüllt, wer die Gewinner des vergangenen Sonntags auf der lit.Cologne waren. Doch die Verleihung des »Deutschen Hörbuchpreises 2007« war ein Event, wie die Marketeers des WDR nicht unterließen zu betonen. Außerdem freut uns eines ganz besonders: Hörbücher waren 2006 das Medium mit den höchsten Zuwachsraten im deutschen Buchhandel, nämlich mit einem satten Plus von 17,2 % gegenüber 2005 (Quelle: Media Control GfK International). Damit das so bleibt und damit der Freudentaumel nicht vom Leipziger Buchmesse-Geklingel übertönt wird, weisen wir an dieser Stelle nochmal entschieden darauf hin: Es gibt famose unpopuläre Hörbücher!

Wer sich noch nicht zutraut, aus der Flut von mittlerweile 15.000 Titeln den für sich besten rauszufischen, darf sich getrost an die Nominierungsliste der Hörbuchpreis-Jury halten. »Orientierung zu geben und Maßstäbe für Qualität aufzuzeigen« ist laut WDR-Hörfunkdirektorin Monika Piel die erklärte Absicht des in diesem Jahr zum fünften Mal ausgelobten Preises. Tatsächlich finden sich unter der Longlist der 18 Nominierungen ausschließlich aurale Perlen. Die weitere Selektion wird den Hörbuchverlagen überantwortet, was hoffen lässt: Immerhin haben die Verleger Martina und Wolfgang Koch vorgemacht, wie Erlesenes mit Bedacht und Besonnenheit hörbar gemacht wird. Dank deren jungen Verlages hörkultur ziert ihren heimischen Kaminsims jetzt der erstmals vergebene »Hörbuchpreis für die beste verlegerische Leistung«.

Aus der Schar der weiteren sieben Prämierten ragt der Schauspieler Volker Lechtenbrink heraus. Er hat, was viele Männer gerne hätten – zumindest sobald sie von den Moderatoren Katrin Bauerfeind und Jörg Thadeusz erführen, was Frauen beim anderen Geschlecht am erotischsten finden: eine tiefe, sonore, mitunter brüchige Stimme. Mit der verhalf Lechtenbrink schon Burt Reynolds zu Markanz. Statt schlitzohriger Action aber berührt Lechtenbrink in einem Thema, das einem Sprecher Sensibilität abverlangt: Die Hörbuchfassung von Bernhard Wickis legendärem Antikriegsfilm »Die Brücke« nach dem Roman von Manfred Gregor erzählt die grausige Geschichte um sieben Jungen, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges zur sinnlosen Verteidigung einer Brücke eingesetzt werden. Für seine behutsame, unsentimentalische Lesung wurde Lechtenbrink als »Bester Interpret« gewürdigt. Interessanterweise spielte Volker Lechtenbrink vor 46 Jahren als 14-Jähriger einen der Jungs in Wikis Film.

Lechtenbrinks weibliches Pedant, die zur »Besten Interpretin« geehrten Schauspielerin Monica Bleibtreu, musste aus Krankheitsgründen der Preisverleihung fernbleiben. Bedauerlich. Gerne hätte man sie live lesen hören, allein um begreifen zu können, dass da tatsächlich nur eine Frau 15 Charakteren ihre Stimme leiht. Das schon anderweitig prämierte Krimi-Debüt »Tannöd« von Andrea Maria Schenkel handelt von einem verbürgten Mord an einer bayerischen Bauernfamilie, der über Vernehmungen der Dorfbewohner aufgerollt wird, packend und düster gelesen von einer einzigen Bleibtreu.

Ganz anders kommt das Hörbuch »Belgische Riesen« von Burkhard Spinnen daher. Hoppelnd, um genau zu sein, und herrlich komisch. Der zehnjährige Konrad wird von seiner Freundin Fridz zu einem Rachefeldzug gegen die neue Freundin ihres gerade von zu Hause ausgezogenen Vater angestiftet. Im Mittelpunkt steht ein riesiges Kaninchen und Konrads Grübeleien, ob sein Vater denn auch so etwas täte. Der Schauspieler Boris Aljinovic »lässt Kinder sprechen, wie sie sprechen, und nicht, wie Erwachsene sich das vorstellen«, rühmt Juror Reiner Unglaub (ein im Übrigen bemerkenswert differenzierter, eloquenter Lobredner, dessen Begründungen bald eher erwartet wurden als die eigentlichen Lektüren). Für seine Unaufgeregtheit erhielt Aljinovic den Preis in der Kategorie »Bestes Kinder- und Jugendhörbuch«. Ob diese Leichtigkeit wirklich nur, wie er behauptet, aus den abendlichen Vorlesestunden am Hochbette des Sohnes stammt?

Ein hohes Maß an Fantasie gehört gewiss dazu. Wer als Sprecher bewegen will, muss die Fiktion der Realität mitdenken und Erzähltes so lange in der Schwebe halten, bis Zeit- und Realitätsebenen verschwimmen. Antonio Tabucchis »Lissabonner Requiem – Eine Halluzination« bietet dafür eine ideale Steilvorlage. Mit einem Lobgesang auf den portugiesischen Dichter Fernando Pessoa auf den Lippen wandelt ein Mann traumschwer durch Lissabon. Der Bühnenschauspieler Ueli Jäggi hat die mit Fado und Stadtgeräusch untermalte Traumreise so kunstvoll interpretiert, dass ihm zusammen mit dem Regie- und Produzentenduo Matthias Kratzenstein und Daniel Wüthrich der Hörbuchpreis in der Kategorie »Beste Fiktion« zugedacht wurde.

Musik aber kann nicht bloß eine Atmosphäre ergänzen oder verstärken, sondern als gleichberechtigter Partner Geschichten miterzählen, Bilder entstehen lassen, lehren. Kurzzeitig wurden 60 Musiker des SWR-Orchesters Kaiserslautern zu Geschichtenerzählern. Der Hörspielkomponist Henrik Albrecht vertonte Oscar Wildes amüsante Erzählung »Das Gespenst von Canterville« zu einem Orchesterhörspiel – nicht nur für Kinder. Das Experiment war der Jury die Auszeichnung als »Besonderes Hörbuch« wert, zu Recht.

Fehlt nur noch – ja, was? Angesichts des Umstands, dass der Hörbuchpreis ein deutscher ist, stand beinahe zu erwarten, als Hörbuch mit der »Besten Information« werde Volker Kühns Dokumentation »Mit den Wölfen geheult – Hitler und die Künstler« prämiert. Doch Obacht. Das Hörbild über Unterhaltungs- und Kabarettkünstler im Dritten Reich hält Erschütterndes bereit. 25 Jahre lang hat der Publizist und Kabarettforscher Menschen interviewt, deren Erzählungen unbescholten geglaubte Künstlerpersönlichkeiten in ein düsteres Licht tauchen. Unvergesslich davon der Kommentar von Komponist Norbert Schultze über die musikalische Kompetenz des »Herrn Doktor Goebbels«.

Das einzige, was dem ansonsten pointensicheren Kühn danebenging, war der Seitenhieb auf die Modernisierungspassion der Buchbranche: »Im Grunde machen wir Hörbücher schon seit 40 Jahren. Wir nannten das bis jetzt Hörfunkfeature. Und hatten das eben noch nicht als CD.« Hörfunkfeatures sind keine Hörbücher, auch wenn Hörbücher Hörfunkfeatures sind. Und wäre es umgekehrt nicht bedauernswerter, hießen Hörbücher auf einmal sperrig und anglizistisch-vermengt Hörfunkfeature?

Doch den meisten Hörbuch-, Hörfunkfeature- oder Audiobook-Fans ist die Bezeichnung dieses noch immer jungen Mediums vermutlich gleich. Erstmal muss die Produktion hochwertiger Titel weiter angekurbelt werden. Für die Titelauswahl gibt der »HörKules 2007« bedeutende Hinweise: Am Ende der Publikumsabstimmung setzte sich Carlos Ruiz Zafóns »Der Schatten des Windes« mit einem bei insgesamt 120.000 abgegebenen Stimmen hauchdünnen Vorsprung von 443 Stimmen gegen Dan Browns »Sakrileg« und Patrick Süskinds »Das Parfum« durch. Sonach gilt: Je populärer das Buch, desto populärer das Hörbuch. Mund-zu-Mund-Propaganda wirkt da für zehrendere Produktionen Wunder, auch die übersichtliche ddp-Meldung wird ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass mehr Leser künftig hören werden. Und zwar von ihren Mitstreitern, versichert Juror Unglaub: »Du, das hör’ dir mal an. Das ist gerade erschienen – und etwas sehr Kostbares!«

Eileen Stiller

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