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Textkritik: Die unsichtbare Frau – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

Die unsichtbare Frau

von Silke Blumbach
Textart: Prosa
Bewertung: 1 von 5 Brillen

Schon seit langem traf er sich regelmäßig mit der unsichtbaren Frau, schon damals, als er noch zur Schule ging. Seine Frau, so nannte er sie für sich. Niemand sonst kannte sie, niemand konnte sie sehen, nicht einmal er, aber sie war keine Frau, die gesehen werden musste. Sie war die hörbare, die riechbare, die fühlbare Frau; und wenn er sich nach getaner Arbeit auf die Parkbank vor der großen Hecke setzte und wenn im Winter die Planken unter ihm und hinter seinem Rücken allmählich seine Wärme aufnahmen und sich im Sommer in sein Fleisch gruben und direkt unter den Shorts ihr Muster zurückließen, kam sie regelmäßig auf eben diese Parkbank, setzte sich neben ihn, schmiegte sich in seinen Arm. Er hatte es aufgegeben, anderen von ihr zu erzählen, ein einziges Mal hatte er es versucht, doch wenn ihm nicht einmal sein bester Freund glaubte, so konnte das nur bedeuten, dass die unsichtbare Frau ein Geheimnis war, dessen nur er würdig war.
Weder Namen noch Alter noch Augenfarbe wusste er von ihr, und nur manchmal lag er nachts wach und überlegte, ob eine Unsichtbare überhaupt eine Augenfarbe hatte. Dass er Augen hatte, wusste er von unsichtbar verschlungenen Wegen, Augen und noch viel mehr und eine Stimme, die die nackte Welt in Gewänder aus Worten kleidete; und ihre Wege führten an statuenbewachsenen Brunnen und Einkaufspassagen vorbei, am großen See im Park, über der Erde und unter der Erde in U-Bahn-Schächten, die in gleichbleibender Helligkeit mit wachsender Stundenzahl immer leerer wurden; und wenn sie schließlich allein waren, im Park oder im Schacht, zwischen Enten und Zigarettenstummeln, wurden aus den verschlungenen Wegen kühne Entdeckungsfahrten. Allein sein mussten sie, nicht noch mal wollte er zum Gespött seiner Freunde werden, die ihnen einmal alle zusammen in der Fußgängerzone begegneten und angesichts seines ins Nichts hängenden, Luft umgreifenden Armes losprusteten.
Vielleicht war sie eine Muse, vielleicht eine Göttin, vielleicht ein Stern. Sie sprach in Bildern, dachte und lebte in Bildern wie er; und im Laufe der Zeit hatte sich zwischen oder vielmehr in ihnen eine derartige Vertrautheit eingestellt, dass es ausreichte, ein Wort anzusprechen, und sogleich brach eine Kaskade von Bildern, ein Sturzbach von Erinnerungen los, und er schwamm im gläsernen Aquarium der Welt der unsichtbaren Frau und trank ihre Kristallklarheit, mit der sie die Welt durchleuchtete. Und manchmal wünschte er sich, gleichfalls unsichtbar zu sein und in der tastbaren Welt gleich seiner Gefährtin in grenzenloser Freiheit zu schweben, gleiten und taumeln, ohne die zahlreichen Zugeständnisse, die er aufgrund seines Sichtbarseins an die Welt leisten musste. Dass sie sich stattdessen in ein sichtbares Wesen verwandeln konnte, den bunt gekleideten und gemalten Freundinnen seiner Altersgenossen gleich, auf diesen Gedanken war er entweder nie gekommen, oder er hatte ihn sofort wieder verworfen angesichts der grenzenlosen Freiheit eines Unsichtbaren, der gegenüber der ästhetische Genuss einer schönen Frau – nur als schön konnte er sie sich vorstellen – und die Freude, sie in der Gesellschaft vorzuzeigen, als Nichtigkeiten erschienen.
Eines Tages verkündete die unsichtbare Frau, dass sie schwanger sei. In seiner Unbedarftheit war ihm noch nicht aufgefallen, dass sich ihr unsichtbarer Leib unter seinen Händen zunehmend gerundet hatte. Die unsichtbare Frau war schwanger. Sein einziger Gedanke war, wie das Kind wohl aussehen würde oder besser gesagt, ob es überhaupt aussehen oder sich gleich seiner rätselhaften Mutter nur anfühlen würde. Nach wie vor blieb ihr Leib seinen Augen verborgen, er starrte durch sie hindurch auf die grellweißen, bohrend hellen Planken der Parkbank, ohne dass sich etwas auch nur annähernd an einen Fötus Erinnerndes in sein Blickfeld gezwängt hätte.
Das Ungeborene hatte in ihm etwas verändert. Hatte er sich zuvor mit der Aufteilung der Welt in Sichtbares und Unsichtbares zufrieden gegeben, schien ihm das wahre Leben gar erst im Schutze der Unsichtbarkeit möglich, so sehnte er sich nunmehr mit ganzer Kraft danach, den Fötus, zur Hälfte sein Fleisch und Blut, in das Reich des Sichtbaren zu bannen. Es fürchtete ihn, einen Teil seiner selbst unwiderruflich und unwiederbringlich verloren, im Schoße der unsichtbaren Geliebten einer Welt anheim gegeben zu haben, die ihm im Grunde genommen zutiefst fremd war und deren Vertrautheit sich im Zuge derartiger Gedanken verflüchtigte wie Rauch, der zunächst nicht mehr zu sehen und dann nicht einmal mehr zu schmecken und zu riechen ist, so dass die wilden Kaskaden und breit dahinströmenden Wasserfälle zu Rinnsalen wurden, jederzeit vom endgültigen Versickern bedroht. Nicht mehr der Frau galten seine Sehnsüchte und sein Begehren, sondern sein ganzes Wesen richtete sich zielbewusst auf das Ungeborene, genauer gesagt auf seine Hälfte des Ungeborenen, die Hälfte, die sichtbar hätte sein sollen und die ihm zustand. Seine Ohren, seine Lippen, seine Fingerspitzen versickerten gleich dem grenzenlosen Bilderstrom, der einst das ungleiche Paar genährt hatte, und er zog sich immer mehr in seine Augen und einige ihnen benachbarte Hirnwindungen zurück.
So kam es, dass er das flaumige Köpfchen des unsichtbaren Kindes nicht ertasten konnte und dass er nicht einmal die letzten Sätze verstand, die die unsichtbare Frau an ihn richtete: dass das Kind nicht seines sei. Er saß bloß da auf seiner Parkbank, die unter ihm eiskalt blieb, hatte seine Hand, einer jahrealten Gewohnheit entsprechend, neben sich über die hölzerne Rückenlehne gehängt; er wunderte sich über ein nie gekanntes Gefühl der Einsamkeit und versuchte vergeblich zu ergründen, was nun anders war.

© 2002 by Silke Blumbach. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Der letzte Abschnitt deutet etwas an, was der vorangegangene Text in keiner Weise unterstützt; dazu ist er viel zu unstimmig und unfertig, dazu ist der Charakter des Protagonisten viel zu unbestimmt. Es macht beinahe den Eindruck, als sei dem Erzähler erst am Ende selbst einigermaßen klar geworden, was er eigentlich hatte erzählen wollen. Doch da war es bereits zu spät. Nur so kann ich mir auch die vielen Flüchtigkeiten erklären.
Aus dieser Erzählung ließe sich sicher etwas machen – aber nicht ohne gewaltige Anstrengung: wie bei jedem Text eben!

Was der letzte Abschnitt andeutet: Ich kann mir vorstellen, dass in diesem Text hätte erzählt werden können, wie ein ziemlich isolierter junger Mensch plötzlich aus seiner Traumwelt erwacht (in die er sich während der Pubertät geflüchtet hat), als sich seine »Traumfrau« von ihm verabschiedet, da diese Bilderstrom-Einigkeit nicht mehr trug und neue Zielvorstellungen (»das Kind«) sich entwickelten.
Aus genannten Gründen ist das notwendig sehr, sehr vage; aber nur unter diesem Aspekt kann ich mit »Die unsichtbare Frau« überhaupt etwas anfangen!

Die Kritik im Einzelnen

Was ist an diesem Satz wichtig? Ich denke doch, dass der Protagonist die unsichtbare Frau schon sehr lange kennt; das wird aber in der vorliegenden Konstruktion zu wenig deutlich, dazu müsste das Kennenlernen viel weiter zurückverlagert werden, beispielsweise durch die Verwendung des Plusquamperfekts: das verlängert den Zeitraum von ganz allein: Mit der unsichtbaren Frau hatte er sich schon regelmäßig getroffen, als er noch zur Schule ging. zurück
Wieso kann niemand sie sehen, nicht einmal er? Seine Frau ist doch angeblich unsichtbar?? Ach so: Wasser ist nass, Schnee ist weiß, Unsichtbares kann man nicht sehen; man betone das Selbstverständliche, und schon hat man das Außergewöhnliche des Selbstverständlichen philosophisch erhebend vollends flachgetreten: Das wirkt sehr betulich-kitschig! Der Satz sollte vielleicht besser heißen (nach Eliminierung der Banalitäten): Niemand sonst kannte sie, denn sie war keine Frau, die gesehen werden musste. zurück
Das ist zäh und umständlich: Die Planken, die bei Bänken eigentlich Bohlen heißen, können nur dann ein Muster in seinen Schenkeln hinterlassen, wenn sie sich in sein Fleisch graben können; im Winter hinterlassen sie keine Muster, denn vernünftigerweise trägt der Protagonist im Winter mehr als Shorts. Also liegt die Ursache für das Muster nicht in erster Linie an den Bohlen, sondern an der Bekleidung. Das war jetzt ähnlich umständlich und zäh, aber ich schreibe keine Erzählung. Empfehlen würde ich folgende Kürzung: (…) und im Sommer direkt unter den Shorts ihr Muster zurückließen.
Zusätzlich wäre das angedeutete vertrauliche Verhältnis zur Bank enger zusammengerückt: Bank nimmt Wärme und gibt dafür Muster. zurück
Wenn jemand etwas aufgibt, gehe ich davon aus, dass der Aufgeber sich mehrfach und intensiv um etwas bemüht hat. Hier aber hat der Protagonist nur ein einziges Versüchlein gestartet! Welch Anstrengung! Oder ist er ein Feigling? Zurechtrücken würde ich den Satz folgendermaßen: Ein einziges Mal hatte er versucht, seinem besten Freund von ihr zu erzählen; doch nicht einmal dieser hatte ihm geglaubt. Das konnte nur bedeuten, dass allein er der unsichtbaren Frau würdig war.
Sprachlich bin ich mit dieser Verbesserung nicht zufrieden: zufrieden bin ich nur, dass unnötiger Ballast abgeworfen wurde. zurück
Warum denn nicht? Kann die unsichtbare Frau etwa nicht sprechen? Doch, sie kann, wie sich später erweist! Wieso fragt der Protagonist nicht nach solchen Selbstverständlichkeiten wie Name und Alter und meinetwegen Augenfarbe (wenn ihre Augen denn eine haben)? Und falls der Feigling doch jemals gefragt haben sollte: wieso hat sie keine Auskunft gegeben? Werden Unsichtbare sichtbar, wenn man sie beim Namen nennt oder ihnen zum Geburtstag gratuliert? Es ist im höchsten Grade albern und überflüssig, die von Anbeginn an außergewöhnliche Situation gewaltsam zu etwas noch Außergewöhnlicherem zu stilisieren! Hier gerät der Text dank überflüssigster Geheimniskrämerei in heftigste Kitschdrift!
Interessant sind des Protagonisten Grübeleien: und damit sollte der Satz beginnen. Der Rest gehört in den Orkus! Manchmal lag er nachts wach und überlegte, ob eine Unsichtbare überhaupt eine Augenfarbe hatte. Das führt auf eigentliche Situation zurück, und der Protagonist wird lebendiger, als wenn sein nicht nachvollziehbares Nichtwissen breitgetreten wird. zurück
Jetzt beweist der Protagonist auch noch seine eigenen Augen: ja ist der nicht ganz dicht? Dass er Augen hat, will er von unsichtbar verschlungen Wegen erfahren haben: die haben ihm wohl gesagt: Hey, du hast ja Augen!
Das muss von den Wegen allerdings purer Spott gewesen sein, denn der Protagonist kann das unsichtbar Verschlungene der Wege keinesfalls sehen, er kann nicht einmal wissen, dass unsichtbar verschlungene Wege mit ihm gesprochen haben, es sei denn, die Wege hätten sich ihm so vorgestellt: Hallo, wir sind die unsichtbar verschlungenen Wege, und weil du das nicht sehen kannst, hast du Augen!
Merkwürdige Spaßvögel, das: vermutlich waren es in Wirklichkeit die unhörbar verschwurbelten Wege; wer will das schon so genau wissen? Ich glaube kein Wort von dem, was hier geschrieben steht: es ist blanker Unsinn.
Ich werde den Verdacht nicht los, dass der Beginn dieses Satzes vielleicht lauten könnte: Dass sie Augen hatte (lautet er aber nicht. Und ich kann nur exakt die Texte besprechen, die ich bekomme, nicht die gedachten oder gemeinten.). Doch selbst wenn der Satz so begänne, bliebe der Unfug der unsichtbar verschlungenen Wege: Hey, deine Unsichtbare hat Augen, nur zur Info, du traust dich ja nicht zu fragen!
Dass die Unsichtbare Augen haben muss, ist wiederum so trivial, dass diese angestrengte Herumgeheimnisserei nur lächerlich wirkt! Wie soll Madame sich sonst zurechtfinden? Sie wäre doch zumindest beim ersten Mal voll fett in die Bank gebrettert. Jetzt aber endgültig genug von diesem Augenkitsch! zurück
Um den brauchbaren Inhalt zu retten, gehe ich zum Ausgangspunkt zurück: der Protagonist grübelt, ob Unsichtbare überhaupt eine Augenfarbe haben. Dazu brauchen sie Augen, aber das Thema ist ein für alle Mal erledigt. Jetzt folgen Gewissheiten, nämlich noch viel mehr und ihre Stimme. Das noch viel mehr hat einen Namen: es ist ihr Körper, den er fühlen kann. Warum nicht den Körper beim Namen nennen? Honi soit qui mal y pense!:
Manchmal lag er nachts wach und überlegte, ob seine Unsichtbare überhaupt eine Augenfarbe hatte; einen Körper und eine Stimme, die die Welt in Wortgewänder kleidete, hatte sie.
Ich habe den Protagonisten hier an seine Unsichtbare denken lassen, was den Sinn ändert, aber wegen des Zusammenhanges notwendig wurde. Außerdem halte ich es für angemessen, dass er nachts an seine Unsichtbare denkt und nicht an das Problem der Augenfarbe bei Unsichtbaren! zurück
Warum streunen sie ausgerechnet durch Einkaufspassagen und U-Bahn-Schächte, wenn sie allein sein mussten? Rätsel über Rätsel! zurück
Erstens: der Arm hing nicht (es sei denn, die Unsichtbare war zwergwüchsig). Zweitens: der nicht-hängende Arm hing keinesfalls ins Nichts (aber Nichts und Genossen kitschen halt so bedeutsam). Schön dagegen das Bild, wie der Arm die Luft umfängt! Drittens ist es unglaubhaft, dass alle seine Freunde (die für ihn sonst keine Rolle spielen: seltsame Freunde!) ihn gleichzeitig in dieser seltsamen Haltung gesehen haben sollen! Das muss sich doch ziemlich zu Beginn dieser Bekanntschaft ereignet haben; da hätten bereits wenige Klassenkameraden für ausreichend Gespött gesorgt! Viertens hat er sich zum Gespött gemacht und ist damit zum Gespött geworden: er muss sich gar nicht erneut zum Gespött machen: warum also umfasst er nicht weiter einfach die Luft, wenn eh schon gespottet wird? Fünftens kuschelt zu Beginn dieser Erzählung sie sich auf einer Parkbank in seinen Arm: wieso macht ihm das nichts aus, wenn sein Arm gegen 16.30 parköffentlich Luft umfängt? Oder schiebt er nur Spätschichten?
Angesichts all dieser Ungereimtheiten und den Unklarheiten über Rolle und Charakter des Protagonisten sehe ich mich außerstande, detaillierte Verbesserungsvorschläge anzubieten: die Vorlage ist viel zu unausgegoren. Problemlos und einfach aber könnte ab und ihre Wege führten der Rest des Abschnittes gelöscht werden: das ist mein entschiedener Verbesserungsvorschlag. zurück
Vielleicht war sie ein Zombie, vielleicht war sie ein Gummibärchen, vielleicht war sie der kleine Bruder von Vampirella: die Kette ließe sich beliebig fortsetzen: wenn er für sie schwärmt, will ich das Schwärmen lesen, nicht die Etiketten der Schubladen, in die er seine Unsichtbare steckt. Weg mit diesem Satz! zurück
Sprach er nicht in Bildern? Immerhin denkt und lebt er doch in Bildern! Sollte er wider mein Erwarten tatsächlich nicht in Bildern sprechen können, muss der Satz unbedingt so bleiben, wie er ist! Sollte er jedoch in Bildern sprechen können, muss der Satz folgendermaßen lauten: Sie sprach, dachte und lebte in Bildern wie er. zurück
Nur zur Erinnerung: der Protagonist bewunderte die Frau, wie sie die nackte Welt in Gewänder aus Worten kleidete (was ich verbessert hatte in die Welt in Wortgewänder kleidete – aber das spielt für das Folgende keine Rolle!).
Was treibt die unsichtbare Dame jetzt? Sie durchleuchtet die Welt mit Kristallklarheit! Bei allem Respekt: wieso kleidet sie die Welt dann erst an? Damit sie diese besser durchleuchten kann? Wurde hier erneut verworfen, was zuvor geschrieben wurde? Hangelt sich der Erzähler hier wieder von Einfall zu dürftigerem Einfall?
Der Erzähler täte gut daran, seine Protagonisten und deren Situation ernster zu nehmen, denn der Text zerfasert zunehmend in gefühlsduselige Beliebigkeit! Und der Autorin gebe ich den Rat, sich Erzähler und Erzählhaltung genauer vorzustellen, damit der nicht gedankenlos ausführt, was ihm zufällig ins Hirn kaskadiert!
Hier schwallt Kitsch selbstvergessen vor sich hin und auf: er schwamm im gläsernen Aquarium der Welt der unsichtbaren Frau – Die Freiheit der Skalare und Wasserflöhe und japanischen Kampffische ist sicher ohnegleichen, die können in ihrem Glaskasten tun und lassen, was sie wollen, sie wollen halt nix, genau so wenig  wie der Schwulstschwärmer, für den dieses Aquarium grenzenlose Freiheit bedeutet: gleich seiner Gefährtin in grenzenloser Freiheit zu schweben, gleiten und taumeln will der Protagonist; bisher dachte ich, dass die Unsichtbare auch auf dem Boden geht (und nicht in einem Aquarium taumelt) und Gegenständen ausweicht, also durchaus ihre Zugeständnisse an die Welt macht. Welche Zugeständnisse an die Welt der Protagonist aus seiner Sicht auf Grund seine Sichtbarseins machen muss, bleibt selbstverständlich sein Geheimnis: wieder genügt dem Erzähler das Etikett, statt zu erzählen. zurück
Entweder hat der Protagonist einen Gedanken gehabt oder nicht: was ist denn jetzt wieder los? Hat der Erzähler jeden Kontakt zu ihm aufgegeben? Dabei wäre die Aussage so leicht zu retten:
(.) auf diesen Gedanken war er nie gekommen, und er hätte ihn sofort wieder verworfen (.) Hier wüsste ein Erzähler, von wem er spricht! zurück
Angesichts der Unsichtbarkeit hat etwas sehr unfreiwillig Komisches! Zum Glück ist das nicht so direkt sichtbar, denn de facto schaut sich einer die grenzenlose Freiheit eines Unsichtbaren an: der muss gehörig rumlaufen und gucken, bis er definitiv feststellen kann, dass es nirgendwo Grenzen gibt! Lassen wir ihn deswegen in Ruhe, denn ehrlich: das schafft der sein Lebtag nicht!
Vielleicht könnte jemand sich seiner erbarmen, ihn an eine bekannte Liedzeile von Reinhard May erinnern, die da heißt: Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein! Ich mache zwar mir nichts aus Reinhard May, weiß nicht einmal, ob er sich so schreibt, wie ich ihn schreibe, aber ich halte ihm seine Ehrlichkeit zu Gute, denn er schwafelt nicht schwülstig von grenzenloser Freiheit, sondern versucht eine verbreitete qualitative Vorstellungsweise vorsichtig-distanziert zu formulieren (»muss . wohl«): seine Unsicherheit bleibt.
Warum grenzenlose Freiheit schon wieder zu Papier gebracht wird (wir durften im vorigen Satz ca. 5 Zeilen zuvor uns bereits daran gütlich tun – ca. wird dabei näher bestimmt von Bildschirmdiagonale, Auflösung und Browser), warum die Unsichtbare unversehens ihr Geschlecht wechselt: das sind Fragen, die ich nicht stelle, weil sie mir niemand beantworten wird. zurück
Was wir bisher noch nicht gewusst haben: Blinde kennen keinerlei ästhetischen Genuss, denn der beschränkt sich ­- trotz der mehrmalig beschworenen grenzenlosen Freiheit des Unsichtbaren – auf das Sichtbare! Tja, liebe Blinde: nie werdet ihr in den ästhetischen Genuss einer Frau kommen – so steht es geschrieben. Was meint ihr, was ich heilfroh bin, dass ihr diesen Text nie lesen werdet! zurück
Dumpf wird wiederholt, was die Frau erst im vorletzten Satz gesagt hat! Gerade so, als ob jemand für Zeilenschinderei bezahlt würde… zurück
Die Mutter ist überhaupt nicht rätselhaft, die ist unsichtbar; rätselhaft ist und bleibt einzig und allein der Text höchsteigen! zurück
Rätselhaft: wieso sollte die Unsichtbare plötzlich sichtbar werden? Selbstverständlich kann er ihren Leib nicht sehen, denn seine Freundin ist unsichtbar; ist doch schon oft genug vom Erzähler erwähnt worden. Stirnrunzel, Kofschüttel & Seufz. zurück
Eigentlich unmöglich: aber es wird noch schlimmer! Wenn ich nicht schon seit Langem fanatischer Adjektivhasser wäre: Bei diesem Ungebilde wäre ich es allerspätestens geworden: die grellweißen, bohrend hellen Planken der Parkbank. Wirkt’s schon? Noch nicht? Also noch einmal, zum Abgewöhnen: die grellweißen, bohrend hellen Planken der Parkbank!!!
Grellweiß
: Frisch gestrichen, oder was? Warum wird das nicht erwähnt? Ist doch wichtig! Noch nie habe ich übrigens eine weiße Parkbank gesehen, solch eine würde auch viel zu schnell schmuddelig, schließlich ist dieses Teil unablässig Wind und Wetter ausgesetzt, und bei Bohlen hilft kein Taft (ausgenommen bei einer namens Dieter, aber die gehört überhaupt nicht hierher)! Falls es doch welche gibt (was gibt es schließlich nicht, einmal abgesehen von grenzenloser Freiheit oder Händis, die den Benutzer sofort erdrosseln, wenn der er es vor dem Besuch kultureller Veranstaltungen auszuschalten vergessen hat), müssen diese aber nigelnagelneu sein  – oder halt ofenfrisch gestrichen! (Nachtrag: es gibt weiße Parkbänke, zumindest reinweiße. Weiß nur nicht, ob die jemals in dieser Farbe gekauft wurden…)
Gut vorstellen kann ich mir: der Unbedarfte schleppt jeden Abend nach getaner Arbeit eine grellweiße Gartenbank (mit dem Blauen Umwelt-Engel, weil aus recycelten Jogurt-Bechern) in den Park und wuchtet sie nach dem trauten Beieinand zurück ins traute Heim .
Bohrend: Dieser Parkbank eignen handwerkliche Fähigkeiten: zuerst hat sie eigenbohlig gegraben (und zwar sich in unbedarftes Fleisch), jetzt bohrt sie sogar; vermutlich kam sie beim Graben nicht tief genug. Bedauerlicherweise wird sie nicht fündig werden.
Hell: Aha: die Bohlen sind nicht etwa grellweiß: sie sind nur hell; einverstanden! Hellbraun ist auch hell, ebenso hellgrau, hellschwarz usw. Vermutlich soll bohrend-hell dem tumben Leser erklären, was grellweiß in seinem tiefsten Innern (siehe auch unter bohren) bedeutet; je nun: dann hätte der Erzähler auch sofort bohrend-hell verwenden können: warum denn so umständlich? Habe es befürchtet: das ist in diesem Text ein Stilmittel!
Es bleibt unbegreiflich, warum jemand meint, grellweiß erläutern oder ergänzen zu müssen – als ob Grelles nicht genug in den Augen sticht! Und es bleibt unbegreiflich, warum plötzlich ein Farbe gebraucht wird: ging doch bislang sehr gut ohne! zurück
Der Unbedarfte schaut durch seine Augenschlitze (muss er, wegen der grellweiß-bohrenden Helle, andernfalls würde er erblinden und könnte die Unsichtbare nicht mehr sehen) die Parkbank an, und zwar durch den Leib (immer noch der Leib, deswegen müsste er grammatikhalber anschließend durch ihn schauen – statt durch sie) seiner unsichtbaren Freundin. Offenbar hat er dabei sein Gesicht auf ihren Bauch gepresst (obwohl sie schwanger ist!), denn nur so kann ich mir erklären, warum etwas Fötusähnliches überhaupt auf den Gedanken (einmal voraus gesetzt, das ginge) verfallen könnte, sich in das Blickfeld zu zwängen – denn dafür müsste es schon sehr eng zugehen!
Doch welchen Grund sollte etwas Fötusähnliches überhaupt haben, sich in ein Blickfeld zu zwängen (einmal voraus gesetzt, das ginge), wenn es nicht einmal das vom Papi ist? Und selbst dann. Des Rätsel Lösung: Täter und Opfer werden vertauscht, Ursache und Wirkung. Hauptsache, es geht schön philodramatisch zu: sich in ein Blickfeld zwängen – Aber hallo! zurück
Das ist gelogen! Damit hat er sich keinesfalls zufrieden gegeben! zurück
Sagte ich ja: der erste Teil des Satzes ist gelogen! zurück
Diese Form ist mir völlig unbekannt: es fürchtet mich! Ich fürchte mich oder – etwas antiquiert – mich fürchtet; doch es fürchtet ihn? Besser: Es ängstigt ihn. zurück
Nur allzu gerne würde ich wissen, was für Gedanken sich da verflüchtigen sollen: ich kann mich an keine erinnern! Ist das wieder nur Etikett? Oder sind nicht Gedanken gemeint, sondern Wünsche oder Träume oder Wunschträume oder Fantastereien oder Faseleien (siehe Aquarium und grenzenlose Freiheit und leuchtende Kristallklarheit oder so)? Auch hier wäre Präzision angesagt und Erzählen. Kommt halt nicht vor. Einfachste Lösung: im Zuge derartiger Gedanken auslöschen – schon kehrt wieder Sinn ein! zurück
Sofort streichen: vorhin ging es doch auch ohne! zurück
Warum werden die Sturzbäche von oben jetzt zu breit dahinströmenden Wasserfällen umfunktioniert? Wenn Kaskaden bleiben dürfen, gibt es keinen Grund, Sturzbäche zu verwerfen – die gehören zusammen! Doch wenn begründet die Sturzbäche verschwinden sollen: dann auch oben! Aber bitte, bitte, bitte weder Sturzbäche noch Wasserfälle mit Adjektiven verwässern! zurück
Wann soll das gewesen sein? Er wollte doch in der grenzenlosen Freiheit der Unsichtbarkeit sich verlaufen, darauf richtete sich sein Begehren und seine Sehnsucht; dass er die Frau als Frau begehrt hat, davon war nichts zu merken! Irgendwann muss er zwar mit ihr geschlafen haben – vielleicht sogar auf der Parkbank: müsste für einen zufälligen Zeugen eine grotesker Anblick gewesen sein ­-, wenn er sich schon für den Vater hält; das hat aber nicht notwendig etwas mit Begehren und Sehnsucht zu tun. Hier fehlt der Bezug zum vorangegangenen Text! zurück
Oha: machen Sehnsüchte und Begehren sein ganzes Wesen aus? Oder wie ist das gemeint? Gelten seine Sehnsüchte und sein Begehren als Teil seines Wesens jetzt dem Fötus? Wenn oben gemeint war, dass er die Frau wirklich begehrt hat (was der Text nicht hergibt), dann hegt der Kerl jetzt aber höchst eigenartige Gedanken! Hier wird eine schlüpfrige Bahn betreten: ich bitte doch um mehr Klarheit! zurück
Erst heißt es zielbewusst, dann genauer gesagt : in einer Blödelei würde ich das genießen können, hier verstärkt es den anderen ungewollten Unsinn. zurück
Genau: zielbewusst wird die Hälfte zweimal genannt! Warum heißt das nicht wirklich zielbewusst:
sein ganzes ???? richtete sich zielbewusst auf seine Hälfte des Ungeborenen, die sichtbar hätte sein sollen und die ihm zustand. Ich bitte die Fragezeichen zu entschuldigen: ich weiß nicht, was dort korrekterweise stehen sollte: das ist die Sache der Autorin, nur sie weiß, was zu schreiben sie vor hatte! zurück
Tusch! Scheint das Lieblingsadjektiv zu sein: diesmal ist aber nicht die Freiheit grenzenlos, sondern der Bilderstrom; egal, grenzenlos passt schließlich überall! Ist schon grenzenloser Bilderstrom ein lächerliches Bild, platzt der versickernde grenzenlose Bilderstrom aus allen Kitschnähten: Worin soll denn etwas Grenzenloses versickern? Im Grenzenlosen? Warum darf nicht einfach der Bilderstrom versickern? Ist das nicht schlimm genug, dass diese – irgendwie innige – Verbindung zwischen den beiden überhaupt abreißt? zurück
Das mag ja durchaus Bedeutung haben, aber im Zusammenhang mit all dem Verquasten ist mir das inzwischen ziemlich schnuppe; meine hilflosen Vermutungen stehen in der zusammenfassenden Beurteilung. zurück
Da er sich zurückgezogen hat, hatte er auch das Kind nicht mehr betasten wollen, deswegen ist die Anmerkung, dass er es nicht mehr konnte, völlig überflüssig (kitscht dafür umso schöner: Flaumköpfchen streichili, dudidudidudidudi!).
Entscheidend (für einen Leser) ist allenfalls der Satz, den der Protagonist nicht gehört hat – obwohl ich mir auch da ziemlich unsicher bin (was Wunder bei all den Unklarheiten): mir wäre es lieber, die Frau wäre im letzten Abschnitt völlig verschwunden. zurück
Endlich! Ich schlage einen leicht gekürzten Schluss-Satz vor und versuche dabei, allzu dicke Zaunpfähle zu entfernen. Der würde dann lauten:
Er saß auf seiner Parkbank, hatte seine Hand in alter Gewohnheit neben sich über die Rückenlehne gehängt; fühlte sich plötzlich einsam und versuchte zu ergründen, was eigentlich los war.
Wenn er das Gefühl der Einsamkeit nicht kennt, kann er sich darüber auch nicht wundern; er kann sich höchstens fragen, was mit ihm eigentlich los ist; eine Gewohnheit ist nicht Jahre alt, sondern alt, wenn sie schon jahrelang anhält! Ob er je zu einem Ergebnis kommt bei seinen Ergründungsversuchen, ist gleichgültig: ich würde ihm gerne eine Chance geben! zurück

© 2002 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.