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Textkritik: Dem Sepp sein Auftritt – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

Dem Sepp sein Auftritt

von Josef Ehrhart
Textart: Prosa
Bewertung: 5 von 5 Brillen

Diesmal hatte Herr Haslinger sich selbst übertroffen. Ein Drama hatte er zu Papier gebracht, das die Geschichte Wimpfelsbergs an der Hutzen in einer Weise darstellte – also gran-di-os, wie der Bürgermeister und Kronenwirt nach erster Lektüre lobte – dass einem Hören und Sehen verging. Die Schlacht im Hutzental, jenes legendäre Gemetzel, in dessen Verlauf die Wimpfelsberger Bauern den fürstlichen Söldnern Paroli geboten und sie schließlich in die schmatzenden Sümpfe des Hutzenmoores gescheucht hatten – dies als Unterlage für eine zartbittere Liebessaga – die Worte fehlten einem: Gran-di-os!
Wobei er im Pegasusgalopp nicht richtig gezählt hatte. Herrn Studienrat Haslinger war es unterlaufen, dass das Werk schließlich mehr Rollen enthielt, als die Laienspielschar Wimpfelsberg an der Hutzen e.V. zu besetzen in der Lage war. Wohl konnte man den einen oder anderen Söldner oder auch ein paar Marktmädchen aus den Beständen des Progymnasiums Wimpfelsberg a.d.H. auffüllen. Wohl war hier und da eine Laienspielscharmitgliedstochter willens, ein zierliches Fräulein am Hofe des abgrundverderbten Fürsten zu geben, sofern sie mehr Kostüm als Text darzustellen hatte. Aber die eine Rolle in der einen Schlüsselszene wollte und wollte keinen Darsteller finden: Der mannhafte Häufleinführer. In finsterer Nacht sollte ein Häuflein versprengter Söldner den Rand des Hutzenmoors erreichen. Der Führer des Häufleins, der Häufleinführer also, sollte in das Moor, respektive die atemlos lauschende Masse der Wimpfelsberger im Kronensaal, hineinspähen und ausrufen: »Schwarz liegt das Moor – unsere letzte Zuflucht – in seinem Dampf.« Danach sollte hinter ihm irgendein Krawall ausbrechen, der ihn weiterer rhetorischer Anstrengungen entheben würde. Eine kleine Rolle in einer großen Szene! Aber nicht und nicht zu besetzen. Alles abgegrast.
Die Wimpfelsberger Theatertage im Kronensaal waren gefährdet! Bis schließlich der Bürgermeister und Kronenwirt seinen Maßkrug auf den hauseigenen Stammtisch knallte und ausrief: »Haslinger, verzweifelns nicht, den Rädelsführer macht ihnen der Sepp!« »Häufleinführer, bitte!« Studienrat Haslinger war mäßig begeistert. Der Sepp?! Der Sepp war Stallknecht in der kronenwirtseigenen Landwirtschaft und allerdings ein Mordsmannsbild, wenn auch etwas maulfaul. Nun ja, diesen einen Auftritt, diesen einen Satz – es gab eh keine andere Wahl.
Der Sepp machte fast freiwillig mit. Es wurde ihm beigebracht, wie sein Satz zu heißen habe. Er übte und übte. Molk er die Braunen, skandierte er mit jedem Zitzenzug: »Schwarz liegt (spritz) das Moor (spritz) unsere (spritz) letzte (spritz) Zuflucht (spritz) in seinem (spritz) Dampf. Sakra.« Mistete er den Stall aus, war jeder Gabelschwung ein Wort: »Schwarz (wurf) liegt (wurf) …« und so weiter. Sein Satz ging ihm in Fleisch und Blut über. So wurde er zu einem der pflegeleichtesten Darsteller auf allen Proben. Trampel, trampel – Rampe – spähen – Satz brüllen. Kein Problem. Der Autor und Regisseur war zufrieden.
Bis zur Premiere. Obwohl sein Auftritt erst im dritten Akt vorgesehen war, hibbelte der Sepp schon seit Saalöffnung in den Kulissen herum – in vollem Wichs. Die Sonntagskrachlederne und das Oberteil einer Faschingsrüstung zum Söldnergewand umfunktioniert, eine vom Wimpfelsberger Schlosser aus Blech und Besenstiel gefertigte Hellebarde vor sich her tragend, repetierte er: »Schwarz liegt das Moor – unsere letzte Zuflucht – in seinem Dampf.« Endlos zogen sich die weniger bedeutenden Teile der Vorstellung hin. Bis sich schließlich und endlich das Häuflein hinter ihm formierte. Gleich! Sekunde noch! Das Stichwort! Und raus!
Trampel, trampel. Die Rampe. Der spähende Blick in die finstere Masse des Publikums. Und da saßen sie, im Widerschein des Rampenlichts, das gerade noch die Honoratiorenreihe erkennen ließ: Der Pfarrer. Der Apotheker. Der Doktor. Der Feuerwehrhauptmann. Jeweils mit Frau Gemahlsgattin (außer dem Pfarrer, bei dem die dicke Haushälterin saß). Und der Chef selbst, der Kronenwirtbürgermeister. Dem Sepp schnürte sich alles zusammen, was sich zusammenschnüren konnte. Er spähte. Er schluckte. Und schließlich:
»Sch … Sch …
SCHWAMPF!«

© 2000 by Josef Ehrhart. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

So soll es sein! Lebendig, anschaulich, sprachlich durchgearbeitet, mit nötiger liebevoller Distanz: Man muss den Sepp einfach mögen, ich hätte ihn gerne getröstet ob seines zusammengeschnürten Satzes: eine Erzählung in allerbester unterhaltsamster Schwankmanier!
Das schreit nach Fortsetzungen – aber ich habe gut schreien, weiß ich doch, dass Josef Ehrhart mehr vom Theater in Wimpfelsberg und Sepp geschrieben hat; sogar eine direkte Weiterführung gibt es, in der erzählt wird, wie dieser Theaterabend vollendet wurde und von Sepps Chance, alles wieder gut zu machen. Vielleicht stellt der Autor den oder die Folgetexte sogar ins literaturcafe.de, wenn er lieb darum gebeten wird? Schließlich ist der gerade besprochene dort schon länger zu lesen

Anmerkung der Café-Redaktion: Diesem Wunsch unseres Kritikers kommen wir doch gerne nach, und so können Sie hier den Teil 2 der Sepp-Geschichten lesen: »Der Schwampf hat einen Stolz«

Die Kritik im Einzelnen

Das hat aber lange gedauert, bis ich etwas gefunden habe, an dem ich rumnörgeln kann… Ist aber auch ein herrlicher Text! Also: »sein Auftritt« kann missverstanden werden – mir ist das beim ersten Lesen widerfahren, denn ich habe sein auf »Autor und Regisseur« bezogen, das letzte männliche Subjekt. Hieße der Satz »Obwohl Sepps Auftritt erst im dritten Akt vorgesehen war, hibbelte er schon seit Saalöffnung .«, wäre (m)ein Missverstehen verunmöglicht (Weia! Welch widerliches Wort!). zurück
Dieses »Wichs« ist mir zu gewollt; ich kenne es nur im Zusammenhang mit prügelnden – pardon: schlagenden Studentenverbindungen, die in diesem Zustand (dem des vollen Wichses) alles das anhaben, was traditionell vaterländisch und besonders verbindend ist, einschließlich Bierzipfel und Sauf-Orden (sofern das nicht identisch ist) und neckischen bunten Strumpfbändern um die Mützen und was weiß ich nicht noch alles. Solch Kleidung wird der Sepp wohl nicht tragen, sondern eher eine häufleinsführermäßige. In voller Montur oder voll ausstaffiert wäre etwas unauffälliger (der Autor Josef Ehrhart ist wortgewaltig genug, seine eigene Lösung zu finden – das gilt als möglicher Vorschlag lediglich all denen, die diese Geschichte nicht geschrieben haben, aber gerne so schreiben können wollten). zurück
Hier habe ich eine klitzekleine Verbesserung vorzuschlagen (wenn es denn eine ist): Wir hatten vorhin diese genüsslich-ironischen Comic-Reminiszenzen, als Sepp beim Arbeiten seinen Text lernt und sich auf der Bühne seinen Auftritt einprägt; ich würde etwas mehr davon wiederholen, nämlich: »Trampel, trampel – Rampe – spähen – in die finstere Masse des Publikums: und da saßen sie (.)«. Der Grund: Für Sepp wird sein Auftritt erst in dem Augenblick dramatisch, als er das Publikum sieht, denn das gab es beim Proben nicht. Alles andere war Routine. zurück

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