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Textkritik: Das Spiel – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

Das Spiel

von Thomas R. Buntrock
Textart: Prosa
Bewertung: von 5 Brillen

Sie stand da. Stand einfach nur da. Wie eine Statue. Wortlos. Ohne sich zu bewegen stand sie an der Straßenecke und schien auf etwas zu warten. Sie trug einen langen Trenchcoat und hatte den Gürtel nicht mit der Schnalle geschlossen, sondern die beiden Hälften verknotet. Unter dem Trenchcoat schauten die schwarzbestrumpften Beine heraus. Schöne Beine, wie er meinte. Sie hatte die Unterschenkel verschränkt und beide Hände in den Taschen. Ihr langes, sorgfältig gekämmtes, blondes Haar war rechts über die Schulter geworfen, die linke Seite lag auf der Vorderseite des Trenchcoats. Sie trug hochhackige Schuhe, die ihre Figur betonten. Ihr Make-up war sehr elegant und dennoch unscheinbar. Der Halsausschnitt des Trenchcoats gab den Blick auf eine dezente Perlenkette frei. Und sonst gar nichts. Man konnte vermuten, dass sie nichts darunter trug. Das war es vielleicht, was ihn veranlasste, hinzusehen. Männer haben einen Blick für so etwas.
Er saß in einem Straßencafé in Zweibrücken, inmitten der Altstadt, um die Tageszeitung zu lesen, als sie ihm auffiel. Beim Lesen trank er immer mal wieder an seinem Café au Lait. Beim Absetzen der Tasse fiel sie ihm auf, als sein Blick zufällig aus dem Fenster des Cafés schweifte. Seltsam, dieser ruhende Pol inmitten der Hektik der Passanten. Er beobachtete sie eine Zeit lang, um sich dann wieder der Zeitung zu widmen.
Nach einiger Zeit schaute er auf die Uhr, da er zur Messe musste. Eine Schuh und Lederwarenmesse, die hier in Zweibrücken stattfand. Er hatte noch reichlich Zeit, stellte er fest. Wie zufällig blickte er aus dem Fenster, und stellte fest, dass sie immer noch dastand. Wie eine Erscheinung aus einer Anderen Welt. Er runzelte die Stirn und dachte: »Wer würde eine Frau solange warten lassen
Da begegneten sich ihre Blicke. Kurz nur, aber es war deutlich zu spüren. Verlegen schaute er wieder in die Zeitung, Desinteresse heuchelnd. Aber nichts desto trotz schauten die Augenwinkel dennoch hin.
Nach einiger Zeit hatte er sie vergessen. Zu vielfältig die Neuigkeiten, und zu stressig der vor ihm liegende Tag.
Plötzlich sagte eine sehr weibliche stimme:
»Darf ich mich zu ihnen setzen?«
Er schaute auf und war erstaunt. Es war die Frau von der Straßenecke. Sie schaute ihn an, eine Antwort erwartend. »Natürlich, bitte«, antwortete er verduzt.
»Äh, Entschuldigung, aber ich habe Sie beobachtet. Mag sein, dass ich zu sehr geglotzt habe«, versuchte er verlegen.
»Ist schon gut. Ich bin offensichtlich versetzt worden.«
»Welcher Volltrottel würde eine Frau versetzen? Ich meine grundlos?«
»Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn ja nicht.«
Er war ein wenig sprachlos in diesem Augenblick. Gab sie ihm doch Anlass zu vielen Spekulationen.
»Aah, ein Blind Date. Treffen mit einem Unbekannten. Stelle ich mir sehr aufregend vor«, sagte er, die Verlegenheit ablegend. Jetzt war nur noch Neugier da. Brennende Neugier. Er betrachtete die Frau jetzt, da sie nahe war, genauer. Ein edles Gesicht, hohe Wangenknochen, braune Augen. Die Augenfarbe ließ ihn die Stirn runzeln. Blondinen mit braunen Augen? Eher selten.
»Ja«, sagte sie, »Wenn man nicht versetzt wird?«
»Ist bestimmt ein blödes Gefühl, wenn man sich freut, zurechtmacht, pünktlich da ist, und dann stehen gelassen wird«, sagte er, ihre Antwort mit Spannung erwartend.
»Stimmt. Ist aber auch nicht das erste Mal«, sagte sie
»Na ja, ob man sich so leicht daran gewöhnt…ich weiß nicht
Die Serviererin stand mittlerweile am Tisch und wollte die Bestellung aufnehmen.
»Café au lait, bitte«, sagte sie zu dem Mädchen.
»Zwei, ich bekomme auch noch einen«, korrigierte er die Bestellung.
»Ich möchte ja nicht indiskret sein«, sagte er, »Aber wie geht so etwas vonstatten? Ich hatte nämlich noch nie das Vergnügen eines Blind Date
Sie sah ihn erstaunt an. Als ob es Menschen geben könnte, die diese Erfahrung noch nie gemacht hätten. Er hielt ihrem prüfenden Blick stand. Schaute direkt in ihre Augen. Er konnte normalerweise in den Augen der Menschen lesen, wie in einem Buch. Aber da war nichts. Absolut nichts, was er hätte erkennen können. Ihre schönen braunen Augen ließen ihn nicht die Tiefe ihrer Seele erkennen. Das machte sie nur noch interessanter für ihn. Er wartete lange auf eine Antwort, und schaute ihr dabei unablässig in die Augen. Sie erkannte wohl keine negative Absicht in seinen Augen, und sagte:
»Kontaktanzeigen. Es passiert über Kontaktanzeigen. Gott, das glaube ich nicht. Ich erzähle Ihnen hier Dinge über mich…..Sie müssen ja denken, ich sei Nymphoman oder so!«
»Äh, ich will ganz ehrlich sein, der Gedanke ist mir gekommen. Aber, wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich das SIE ablegen. Mein Name ist Kyle
Er streckte ihr die Hand entgegen. Hoffte, sie würde sein Angebot annehmen.
Und tatsächlich, sie ergriff seine Hand. Er erhob sich, nahm ihre Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. (…)

(Der Originaltext ist noch lange nicht zu Ende – aber genau hier habe ich jede Lust verloren, eine weitere Zeile auch nur zu anzuschauen; wer den Rest lesen will, möge sich an den Autor wenden)

© 2000 by Thomas R. Buntrock. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Schrott.

Die Kritik im Einzelnen

Oha: das fängt aber schon sehr bedeutsam an! Eine sie stand da, stand einfach da (zweifach geht auch nicht), stand wie eine Statue (die pflegen bekanntlich immer einfach so dazustehen), wortlos (wohl im Gegensatz zu den schwätzenden Statuen) und – man lese und staune: – ohne sich zu bewegen! Eine Statue, die sich nicht bewegt!
Ob diese Statue dabei nicht vielleicht doch ein wenig vor sich hin gemurmelt hat? Wie will das dieser Mensch hören, der sie durch ein Fenster sieht (wie sich später herausstellt), es sei denn, er hat Augen mit Ohren? Oder ist das eine messerscharfe Schlussfolgerung, die daraus gezogen wird, dass Statuen von Haus aus gemeinhin stumm sind? Muss deswegen als sensationelle Erkenntnis unbedingt zu Papier gebracht werden: Wenn schon jemand wie eine Statue steht, dann hat er gefälligst nicht zu reden?
Es hätte vollkommen gereicht zu schreiben, dass jemand eine sie beobachtet, die bewegungslos wartet (warten tut man immer auf etwas oder auf jemanden, das bedarf keiner besonderen Betonung): hier wird etwas Normales zu einer Sensation aufgeblasen, indem immer Gleiches wiederholt wird bis zur Blödsinnigkeit: Das mag als Steigerung gedacht sein, kommt aber nur kitschig: was ist an Bewegungslosigkeit so einzigartig, dass über sie dermaßen überzogen und albern herumgefaselt werden muss? zurück
Auch hier: Geschwafel! Warum heißt es denn nicht: Sie (…) hatte die beiden Hälften des Gürtels nicht mit der Schnalle geschlossen? Logisch: Es wäre überflüssig – aber warum müssen dann die beiden Hälften des Gürtels verknotet werden? Vermutlich, weil der Gürtel kaputt war: in zwei Stücke zerrissen – eine obere und eine untere Hälfte oder eine linke oder rechte. Sonst wären es ja keine Hälften. Ich bin glücklich, dass meine Gürtel nur zwei Enden aufweisen und keine Hälften. So hätte ich ganz einfach schreiben können: »Sie hatte den Gürtel nicht mit der Schnalle geschlossen, sondern die Enden verknotet.« Das kann ich mir vorstellen zurück
Es gibt Erstaunliches: Gürtel haben Hälften, und Haar hat zwei Seiten, nämlich eine linke und eine rechte! Es freut immerhin, dass hier nicht ebenfalls Hälften steht, wäre irgendwie doch auch möglich gewesen, so zu schreiben, oder! Ich nehme mal an, dass es eigentlich nicht so gemeint war – aber so steht es da, und ein Leser gerät ins Grübeln …
Also: Rechts war das Haar über die Schulter geworfen, links lag es auf der Vorderseite des Trenchcoats. Schön. Dennoch kann ich mir die Frisur immer noch nicht vorstellen – obwohl viel Wert auf Präzision gelegt wird: Man denke nur an die Darstellung des bewegungslosen Dastehens, der Körperhaltung, des Gürtels (bei allem sprachlichen Unfug bleibt der Wunsch nach Genauigkeit unbestritten) – ich kann mir also immer noch nicht genau vorstellen, auf welcher Seite dieser Frau das Haar über die Schulter geworfen ist, denn rechts ist abhängig vom Standort: meint rechts jetzt die linke Hälfte der Frau (aus Sicht des gegenüber sitzenden Betrachters) oder die rechte Seite der Frau (aus Sicht der vollständigen Frau)? Das wäre problemlos zu lösen, wüsste der Leser, ob die Frau das Haar über ihre (das wäre dann auch ihre Sicht) rechte bzw. linke Schulter geworfen hätte. zurück
Was für eine Figur? Die verbirgt sich nach meinem Kenntnisstand unter einem Trenchcoat, und das sind ziemlich geräumige Kleidungsstücke, unter denen sich allerhand an Nicht-Figur verstecken kann; oder ist der Trenchcoat gar keiner, sondern ein figurbetonender Maßmantel? Lösung: dem heimlichen Beobachter geht die Fantasie durch, weil er überhaupt nichts sieht! zurück
Da wird ein gräuliches Ragout zusammengebraut: das elegante, aber dennoch unscheinbare Make-up (elegante Make-ups sind, so wird dem Leser weis gemacht, normalerweise aufdringlich); die Perlenkette war dezent (vielleicht gibt es tatsächlich protzige Perlenketten, da kenn ich mich zu wenig aus, Geschmäcker sind auch verschieden: doch wenn der Typ, wie er selbst sagt, vermutlich genau deswegen die Frau anglotzt: warum beschreibt er die Perlenkette nicht genauer, z.B. ob es ein oder zwei kleine oder mittelgroße Perlen waren, zumal unter der Perlenkette ausdrücklich gar nichts zu sehen war, nicht einmal Haut); er sieht nichts unter der Perlenkette und vermutet, dass sie nichts darunter trägt – tatsächlich sieht er Haut unter der Perlenkette; und der geile Bock, der er sein muss, vermutet nicht etwa, dass eine darunter liegende Bluse den gleichen Ausschnitt aufweist, nicht einmal ein weiterer oder tiefer Blusenausschnitt genügt seiner Gier: In seinem Kleinhirn hat er die Statue bereits ausgezogen bis auf Schuhe, Strümpfe, Perlenkette und Trenchcoat: Männer haben einen Blick für so etwas, steht da geschrieben. Nun, dann bin ich eben kein Mann, ich würde so was nie an einer Perlenkette erkennen können, sei sie noch so dezent. zurück
Die Qualität des Ragouts bessert sich nicht, die neuen Zutaten passen wieder nicht – oder eigentlich gerade! Da hockt einer im Straßencafé, um zu lesen: das heißt, er hat die Absicht zu lesen! Und während er noch diese Absicht hat, fällt ihm die Trenchcoat-Figur auf. Wie wir bereits wissen, hat er sie ausgiebig beglotzt und ist bereitwillig seinen Fantastereien gefolgt; aus den folgenden Zeilen wird deutlich, dass er schon längst beim Lesen war, als er die Blonde erblickte – demnach saß er nicht im Café, um zu lesen, sondern er saß im Café und las (man mag diese Kritik für überzogen halten, aber wer es ernst meint mit dem Schreiben, sollte das Schreiben selbst ernst nehmen. In »Das Spiel« türmt sich bereits gefährlich Unausgereiftes, Unfertiges und Unsinniges, und ich bin gerade erst mitten im zweiten Absatz!)
Sie fiel ihm also auf. Und warum fiel sie ihm auf? Weil etwas seltsam war – das ist ein Killer-Adjektiv, denn es enthebt jeden Autors des Nachdenkens und des Formulierens, da er von vornherein aufgeben darf: seltsam suggeriert Unfassbarkeit und Einzigartigkeit, die in Worte zu übertragen jeder Versuch sinnlos ist, denn Vergleichbares gibt es nicht. Was ist hier seltsam? Der ruhende Pol inmitten der Hektik der Passanten. Da ich diesen Satz wieder wörtlich nehme, entsteht tatsächlich ein seltsames Bild: Jemand steht bewegungslos in der Mitte von einer Gruppe Menschenwesen, die hektisch um diesen jemand herumkreisen (soviel zu Pol) – doch da es so bestimmt nicht gewesen ist, war es so auch nicht gemeint; hier ist halt wieder ein sprachliches Bild erfolgreich zu Grabe getragen worden; daran, dass eine Person nicht ebenfalls hektikt, wenn andere es tun, ist gar nichts seltsam – aber angesichts des Killer-Adjektivs soll jeder Leser dem Autor beipflichten: meiner Treu, wie seltsam, diese seltsame Frau! Gottseidank (jetzt schlägt mir Word 2000 ernsthaft »Gottspeidank« als Korrektur vor! Wenn man nicht alles selber macht…) schaut der Typ endlich weg, wäre irgendwie seltsam, wenn er es nicht irgendwann täte. zurück
Er schaut auf die Uhr, da er zur Messe musste; um welche Messe es sich handelt, hätte in einem Aufwasch erledigt werden können, stattdessen stelzt diese Information wichtigtuerisch hinterher; ich schaue übrigens nie auf die Uhr, weil ich irgendwo hin muss: Ich tue das um festzustellen, wie spät es ist oder ob ich noch Zeit habe bis zu irgendwelchen Ereignissen; das Gleiche stellte der Protagonist auch fest, und unmittelbar anschließend stellte er fest (welch Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten), dass die Frauenstatue immer noch stand – aber nicht wie eine Statue, sondern wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt – holla: ein nichtgrünes Marsweibchen. Welch Kitschfloskel: Eine andere Welt muss es schon sein, anders lässt sich Besonderes heutzutage mehr darstellen. So wie der Typ dann die Stirn runzelt, so auch ich: denkt der tatsächlich eine Frau? Denkt er (ich erinnere an seine Geilheit) nicht eher diese Frau? Oder ist er schon so machomäßig drauf, dass er niemals egal welche Frau warten lassen würde, weil sich für ihn jede Frau auf einen Punkt reduziert? zurück
Schnulz: Da begegneten sich ihre Blicke – es steuerte schon von Anfang an darauf zu, und jetzt findet es endlich statt, in bewährter Manier: der Augenkontakt war kurz, aber deutlich zu spüren; kennen wir doch alles, das ist doch der älteste Hut … wieder soll Triviales als Erlesenes verkauft werden! Augenkontakte sind immer zu spüren, so kurz sie auch sein mögen, da gibt es kein wenn und aber, es sei denn zu Pflege des Kitsches; und selbstverständlich schaut er wieder weg: Der Augenkontakt war doch kurz, das habe ich gerade eben gelesen, was soll das bloß!!! Obwohl ich allmählich ernsthaft in Zweifel gerate, ob nicht »nach einiger Zeit« in diesem Text an dieser Stelle (vom Wegschauen war die Rede) ebenfalls möglich gewesen wäre, dann hätten wir es immerhin drei Mal (statt zwei Mal) kurz nacheinander lesen müssen/können/dürfen, und außerdem ist die Dauer von kurz ja schließlich Ansichtssache, Oder? Aber genau!
Och nö: das… Ich weiß nicht, wie lange ich mir das noch antue, das wird ja noch schlimmer: Jetzt geschieht etwas dennoch nichtsdestotrotz, hier wird vor lauter Sülzerei doppelt gemoppelt; da kann ich glatt Verschärfungen vorschlagen, es geht noch dümmer: trotzdem schaute er gleichwohl des ungeachtet nichtsdestotrotz dennoch immerhin hin, wobei das doppelte hin am Ende gewisslich ebenfalls etwas zusätzlich Qualitäts-Förderndes beiträgt. Wobei nicht vergessen werden darf: Ich habe die Textvorlage böse verbogen: Nicht er schaut hin, auch nicht seine Augen, nein – die Augenwinkel schauen hin!!! Die Augenwinkel höchstpersönlich besitzen in diesem Typ ihre höchsteigenen Winkeläuglein!  Der schaut nicht aus den Augenwinkeln, der kann mit diesen gucken – das wären dann 6 Augen, sofern die Winkeläuglein selbst nicht ebenfalls eigene Augenwinkel-winkeläugleinwinkel-winkeläuglein hätten usw., das wird dann sehr schnell unübersichtlich (nicht nur sprachlich: hatte schon mit diesem Wort Riesenprobleme); und wenn er 6 Augen hätte, dann hätte das etwas Spinniges, was bei diesem Text auf eine ganz eigene Weise einleuchtend ist! zurück
Da ist es: das zweite nach einiger Zeit – lassen wir es! Er hatte sie vergessen. Jetzt gucken seine Augenwinkel ganz alleine, er kümmert sich nicht mehr drum, schließlich müssen die zentrale Augäpfel vielfältige Neuigkeiten aufsaugen! Was ist schon ein Nackt-Unter-Trenchcoat-Frauenstatuen-Pol, pausenlos umrundet von hektischen Passanten, also eine wahrhaft außerirdische Erscheinung, gegen die Neuigkeit vom Autounfall auf der B312? Die jedenfalls kann er vor lauter zukünftigem Stress gerade noch lesen, zum Aliennin-Glotzen reicht es nicht mehr (was macht der Spinnenaugenkerl eigentlich, wenn er tatsächlich im Stress ist? Nicht auszudenken: sicherlich etwas Seltsames, vielleicht sogar etwas sehr Seltsames). Oder hat er nicht die Augenwinkel vergessen, sondern die Zeitung oder die Blicke oder die Frau? Alles zusammen? Vergiss es!  zurück
Erstaunt, verduzt, verlegen, ein wenig sprachlos (bedauerlicherweise: Ich hatte ich mir totale Sprachfinsternis gewünscht; vergebens): Gefühlchen oder was weiß ich werden benannt, statt dass die sichtbaren Reaktionen geschildert würden; wie drückte sich denn die Verlegenheit aus (außer in dem kindischen äh, das fast ausnahmslos jedem beim Reden widerfährt)? Rollte er die Zeitung zusammen (irgendwo muss die doch noch sein) und rührte damit in den Resten seines café au lait?
Was ist Spinnenaug für ein Vogel, wenn er sich für ein Glotzen entschuldigt, dass dieses Wesen vom anderen Stern nicht gesehen haben kann, denn ihr Augenkontakt war nachweisbar deutlich & kurz? Ist das Anbiederung der verlegenen Art? Verlegen war er darüber hinaus in einem solchen Ausmaß, dass sie ihn glaubt beruhigen zu müssen – was ein idiotischer Gesprächsanfang! Die dumpf-verlegene Anbaggerei  setzt sich fort: welcher Volltrottel (…) grundlos; hier relativiert Spinnenaug seine prinzipielle Aussage von vorhin, denn er hat dazugelernt und kann sich jetzt Gründe vorstellen, warum jemand eine Frau warten lassen kann: z.B. möchte der Wartenlasser eine Frau einem Glotzer zukommen lassen. Was ihn zur Revision seiner Überzeugung bewogen hat, bleibt sein Geheimnis, ebenso wie seine Spekulationen. Prima: Will ich auch nicht wissen! Nach dem bisherigen Verhalten von Spinnenaug müssen diese oberdümmlichster Natur sein; dem Autor sei dank, dass er den Leser davor fürsorglichst bewahrt! zurück
Aah: der Fachmann spricht, kennt sich aus in Sachen blind date, stellt sich sogar etwas vor, nämlich dass es sehr aufregend ist – Aah: der Fachmann ist doch kein Fachmann, hat keinerlei Erfahrung, muss sich was vorstellen: Was soll dann das aah in der Gesprächseinleitung? Liegt hier ein Tippfehler vor, soll es Ääh heißen? Das könnte dann die Zeitdauer symbolisieren, die Spinnenaug benötigt, um die Verlegenheit abzulegen; laut Text findet dieser Prozess ja während der Formulierung statt (ein Partizip Präsens – wie ablegend – steht unwiderruflich für Gleichzeitigkeit). zurück
Und während er die Verlegenheit ablegt, ist (jetzt) nur noch Neugier da – das geht auch nicht, (aber was geht in diesem Text überhaupt??): während etwas weicht, kann nicht nur etwas anders da sein! Während etwas weicht, kann etwas einem Anderen Platz machen, und irgendwann kann das Andere den Platz des Etwas eingenommen haben, und erst dann ist das Andere nur noch da, ob der Kitsch nun rußende oder glimmende oder verbrannte oder – wie nicht anders zu erwarten: – brennende Neugier heißt. zurück
Dass der geile Bock die Frau jetzt genauer betrachtet, ist selbstverständlich, die Begründung allerüberflüssigst. Ich nehme sogar an, dass die Erscheinung »Ruhender Pol« sich gesetzt hat, ich nehme ebenfalls an, dass die Zeitung auf irgendeine Weise im café au lait ertrunken ist, sie kommt schließlich nicht mehr vor – trotz der irrsinnig wichtigen Neuigkeiten. Aber rätselhaft bleibt der Verbleib der Panik vor dem zukünftigen Stress: sag mir wo die Panik ist, wo ist sie gebliehieben? Gemeinsam mit den Neuigkeiten hatte sie dafür gesorgt, dass Spinnenaug die Frau vergessen hatte (war nicht nachhaltig genug, er hatte sie sofort wieder erkannt – ha, jetzt, ja: Das verursachte sein Erstaunen: er wusste noch, dass er die Außerirdische vergessen hatte, und plötzlich steht die Vergessene leibhaftig vor ihm! Man muss nur nachdenken …). Schön, vergessen wir auch den Lederwaren-Messe-Stress, es hat ihn eh nie gegeben, deswegen wurde er sicherheitshalber vorweg genommenen und verarbeitet …  zurück
Das Make-up war so unscheinbar gewesen, dass er es durch ein Fenster auf Entfernung gesehen hatte; als Trenchcoatfrau ihm gegenüber sitzt, sieht er nichts mehr davon, sondern edles Gesicht mit hohen Wangenknochen (vorher nicht erkennbar, da war bloß Make-up), und braune Augen (das ist die einzige Beobachtung, die ich Spinnenaug als neu durchgehen lasse). Und Frauenspezialist Geilbock erkennt sofort: Etwas stimmt nicht! (hell)Blonde Frauen haben blaue Augen zu haben, so wollte man es schon zu ganz anderen Zeiten, und so stellt sich ein echter Deutscher immer noch seine Traumfrau vor! Gemäß der damaligen Regeln hatte die Kombination hellblond und blauäugig als erwünschte vorzuherrschen; Geilbock hält das für Wissenschaft! Ich befürchte nicht mehr nur, ich weiß es jetzt gewiss: Lederwaren(!)bock hat Schlimmes im Kopf; dieser Text wird wohl im Sado-Maso-Quälkitsch endgültig verenden. zurück
Was will Blondchen mit ihrer Frage? Was will sie wissen? Oder sollen mit dieser Frage alle Vorurteile gegenüber Blondinen bestätigt werden? Ich nix kapieren Frage! zurück
Geilbock auch nix verstehen Frage, reden irgendwas. Fein. Und die brennende Neugier ist einem unbekannten Löschvorgang zum Opfer gefallen, hat jetzt einer »seltsamen« Spannung Raum gegeben: Was kann daran eigentlich spannend sein, wenn jemand auf eine Antwort wartet, obwohl er gar keine Frage gestellt hat? Wartete er darauf, dass Blondi ihre eigene Frage beantwortet (schafft sie nie, garantiert)? Da Blondi nicht wusste, dass Geilbock auf eine Antwort wartete, bestätigte sie schlicht und einfach seine Aussage (was eigentlich schade ist, denn ansonsten hätte das Gesabbel spätestens hier abbrechen müssen, eine Weiterführung wäre nicht möglich gewesen – ginge es in diesem Text mit rechten Dingen zu. Tut es aber nicht.) zurück
Wie lange hat die Serviererin sich dieses Gerede anhören müssen, da sie mittlerweile schon am Tisch stand? Wie hat sie das ertragen? Oder war sie etwa in diesem Augenblick an den Tisch getreten? Wurschdegal, viel wichtiger ist doch, dass jetzt zum allerersten Mal in diesem Text etwas Interessantes geschieht: Die Serviererin bestellt café au lait bei Trenchcoatblondi! Mit Mädchen muss die stehen gelassene Blind-daterine gemeint sein, grammatisch jedenfalls: Denn das letzte feminine Subjekt, das agiert hatte, war Serviererin; folglich spricht die Serviererin zu dem Mädchen; das ist vom Satzbau her notwendig & logisch – jajaja, ich weiß, ich weiß: selbstverständlich war es gaaaanz anders gemeint: dann könne alle autore besser viel schreibe egal Wörter in Reihenfolge aufeinander wenn könne verstehe man was wolle autore irgendwie …
Dass er anschließend eine korrekte Bestellung korrigiert (statt sie zu ergänzen oder eine eigene aufzugeben), kann nicht mehr überraschen: Er hat sich gedacht, Blondi hätte aus dem aufgeweichten Zeitungsrest in seiner Tasse schließen müssen, dass er ebenfalls einen café au lait hätte trinken wollen, und da er sie zum Sitzen eingeladen hat, hat sie ihn selbstverständlich zu einem solchen einzuladen: Deswegen korrigiert Macho Spinnenaug unverzüglich. zurück
Hier kapiert sogar Spinnenaug etwas: Erst kündigt er an, dass er indiskret sein will (genau deswegen werden solche Floskeln verwendet: Ich will ja nicht unverschämt sein, aber Sie sind ein ziemlicher Torftriefel – das trifft!), dann will er wissen, wie so etwas vonstatten geht. Unsere blonde Erscheinung hat nichts begriffen, denn sie ist immer noch mit dem Problem beschäftigt, wie sie die Bestellung der Serviererin am sinnvollsten erledigen kann: Das merkt der Geilbock, und da er bei der Blonden landen will, verbessert er sich flugs, er habe noch nie das Vergnügen eines blind date gehabt. Diese unüberlegte Äußerung outet ihn als definitiven Nicht-Kenner der einschlägigen blind-date-Szene (ganz im Gegensatz zu seinem Kennen-wir-kennen-wir-doch-alles-Aah von zuvor; zu Spinnenaugs Glück ist Trenchcoat-Tussi zu blöd, um das zu merken, oder es ist ihr egal). zurück
Oha? Hat sie sein Ich-kenne-alle-Fraun-Gehabe doch durchschaut, wenn sie erstaunt schaut? Aber sie schaut ihn gar nicht erstaunt an, ihr Blick ist prüfend, so will es der Autor 1 Zeile weiter. Vermutlich besitzt Blondi als Wesen von einer anderen Welt diese einzigartige Fähigkeit, jemanden mit prüfendem Blick erstaunt anzuschauen – und diesem Blick hielt Geilbock stand. Da der Normalleser im Gegensatz zum Autor nicht weiß, wie man einem Blick stand hält, folgt die Gebrauchsanweisung: Willst du einem Blick stand halten, dann schaue direkt in des Gegenüber Augen – danke für den Tipp! (Das halte ich nicht mehr lange durch … ) zurück
Da Geilbock bestimmt keine Bücher lesen kann, trifft der Vergleich absolut. Andererseits ist der Vergleich nicht ernst gemeint, sondern nichts weiter als billigstes Kitsch-Klischee. Selbstverständlich war da nichts, genauer: absolut nichts (im Unterschied zu »weniger als nichts«), wo er hinschaute (ich erinnere an die Nicht-Haut unter der Perlenkette) – Nichts-zu-Sehen ist gewissermaßen Spinnenaugs Normalzustand. Lesen wollte er eigentlich auch nicht, sondern erkennen (sofern erkennen hier nicht Überhaupt-irgendetwas-sehen bedeuten soll). Die nicht-arisch braunen Augen sind in der Zwischenzeit zu schönen geworden (beliebtes Adjektiv der Kategorie »Nichtssagend & Überflüssig«), und da Augen immer der Spiegel der Seele sind – weil Seele dann außen vor bleibt – will Spinnenaug die Seele ausloten; angeblich hatte er absolut nichts gesehen, weswegen Seele bei ihm gleichbedeutend ist mit absolut nichts: Denn zumindest die Seele muss er erkannt haben, sonst hätte er ja nicht gewusst, wem die unsichtbare Tiefe zuzuordnen ist! Sie hätte auch die des Schwachsinns sein können, der in jenen bedeutungstriefenden Sätzen produziert wurde. zurück
Bisher war Trenchcoatwoman expressis verbis noch nie interessant für ihn, das wird durch den Komparativ wett gemacht; und endlich kann Geilbock sich mit eigenen Augen überzeugen, wie Recht Aristoteles mit seiner Ansicht hatte, dass Frau so wenig wie Hammer oder Sklave eine Seele besitzt und folglich zu den Gebrauchsgegenständen gezählt werden muss: Geilbocks feuchtester Traum droht hier wahr zu werden – da lohnt sich schon ein genaueres und unablässiges Hinsehen.
Was ist denn das? Perspektivenwechsel? Wird jetzt aus Blondis Sicht erzählt? Oder handelt es sich um eine Spekulation (wohl), die Geilbock Spinnenaug anstellt, in der Hoffnung, dass seine negative Absicht nicht erkannt wird (welche denn, bitteschön? Was hat er denn vor? Will er sie in ein Lederkostüm zwängen und mit einer nagelgespickten Peitsche züchtigen? Das ist die einzige negative Absicht, die Trenchcoatwesen kennt! – selbstverständlich ist wieder mal alles gaaaanz anders, gemeint ist: bösen Absichten)- da: sie wird tatsächlich nicht erkannt! Blondi kann ebenfalls nicht lesen! Welch Erleichterung… zurück
Ich werde mir mal Kontaktanzeigen genauer anschauen. Kontaktanzeigen. Wenn Trenchcoattussi das Wort zweimal nacheinander verwendet, wieso glaubt sie es dann nicht? Was geht denn hier schon wieder ab? Ach so – vor Gott muss sich der Leser eine Pause denken, Gott gehört zur nächsten Äußerung! Diese Pause hätte aber gefüllt werden können, ja müssen mit einer schönen Erläuterung, z.B. »In seinem seltsamen Augenaufschlag erkannte sie die negative Tiefe seines überraschten Erstaunens. Sie erschrak. Fürchterlich. Rang mit sich. Mit ihrer Verfassung. Kämpfte tapfer, fasste sich und sprach mit ihren schönen braunen Augen: Gott (usw. usw. usw.)« Damit wäre Gott (usw.) in den richtigen Zusammenhang gerückt, und sprachlich oder inhaltlich würde sich beileibe nichts verschlechtern!
Wer in aller Welt ist Nympho-man? Der Gegenspieler von Spiderman (ha: Spinnenaug!)? Batman? Ironman? Machoman? Aquaman? Wieso glaubt Blondi, Geilbock könne sie für einen Mann halten? Hat sie das in seinen Augen gelesen? Auf die Frage war Geilbock nicht gefasst, prompt greift Verlegenheit um sich und findet die bekannte sprachliche Vollendung: Äh. Blöd, wie er nun einmal ist, gibt er zu, dass er sie tatsächlich für Nympho-man gehalten hat, und erfindet aus lauter Verlegenheit einen abscheulichen Namen für sich: Kyle! Mit dem wird normalerweise kleinen Kindern gedroht: »Wenn du nicht sofort aufhörst zu schreiben, kriegst du Keile!« Ob das bei Blondi fruchtet? Ich will es eigentlich nicht wissen. Die Schmerzgrenze ist erreicht … zurück
Er streckte ihr die Hand entgegen und hoffte, sie würde sein Angebot annehmen. Dieser (von mir sprachlich schon erheblich verbesserte) Satz gibt erneut Anlass zu unergiebigem Rätselraten: Das einzige Angebot ist die Hand; wenn sie diese annimmt, hat er eine weniger. Ansonsten möchte er das SIE ablegen, was aber ein Wunsch ist und kein Angebot. Blondi versteht ihn vollkommen richtig: Sie ergreift tatsächlich seine Hand. Aber statt dass er sich freut – er hat es doch so gewollt -, erhebt er sich und – nimmt ihre Hand: Jetzt hat er wieder zwei, der Glückliche!
Was in aller Welt soll dieser Händetausch? Was ist daran auszusetzen, wenn sich zwei Menschen die Hände reichen? Warum wird Einfaches in diesem Text immer so undurchschaubar kompliziert? Es reicht jetzt! Die Schmerzgrenze ist überschritten! Ich mag nicht mehr! zurück

© 2000 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.