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Textkritik: Das Büffet – Lyrik

Eine Textkritik von Malte Bremer

Das Büffet

von Ulrich Selzer
Textart: Lyrik
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Ein Büfett
ist schon okay,
stehst du vorne in der Menge.

Aber es ist äußerst trist,
wenn man ganz weit hinten ist
und nicht ran kommt im Gedränge.

Denn du siehst die leck’ren Sachen
schnell verschwinden in den Rachen
all der vielen Menschen hier,
die im Gegensatz zum Tier,
wenn sie satt sind weiter fressen
und im Saufen sich noch messen,
die sich, randvoll bis zum Kragen,
endlos mästen bis ihr Magen
alles wieder von sich speit
und sich von dem Schmaus befreit;
doch man findet dies gerecht,
weil man schließlich dafür blecht.

Auch du selbst, der du weit hinten
siehst das Festmahl schnell entschwinden
und drum geiferst Gift und Galle,
bist im Grunde wie sie alle,
bist nur leider unbesonnen,
viel zu spät dazugekommen.

© 2000 by Ulrich Selzer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Wer sich mit Gedichten auch nur ein bisschen auskennt, leidet in der Regel unsäglich, wenn selbst ernannte Dichterfürsten mit zusammengestümperten endlosen Versen irgendwelche Jubilare ehren wollen: Diese Ergüsse sind in der Regel handwerklich grauenerregend schlecht, ganz zu schweigen vom Inhalt, aber die Vortragenden kommen sich Wunder weiß wie vor. Solch Gerümpel in Kurzfassung findet sich – finanziell honoriert – zu Hauf in der Regenbogenpresse, angeblich fabriziert von Hausfrau &Co.

Büffet hat den unschlagbaren Vorteil, handwerklich sauber gemacht zu sein. Die Reime stimmen, durch alle Strophen zieht sich ein einheitliches Versmaß, es hat einen Rahmen (den Standort des du) – ich kann mir durchaus Gelegenheiten vorstellen, wo es Menschen Spaß machen kann, dieses Gedicht zu hören.
Aber unbestreitbar bleibt, dass der Reim stellenweise auch dieses Gedicht unter Preisgabe des Inhalts dominiert. Das ließe sich problemlos durch zusätzlichen Arbeitsaufwand beheben (der müsste ebenfalls begradigen die allzu auffälligen Verschiebungen im Satzbau der letzten Strophe). Es würde dann ein kleines, nettes Gedicht ohne Ambitionen außer der: zu unterhalten.

Die Kritik im Einzelnen

Warum der Wechsel von du zu man? Fast alle weitere Zeilen haben ebenfalls du; ändern lässt es sich ebenfalls blitzschnell, da ohne jede Umstellung innerhalb des Satzes. Die ersten beiden Ströphlein ließen sich zu einer verbinden: das ergäbe eine 6-zeilige Eingangsstrophe, parallel zur Schlussstrophe; inhaltlich beschreiben beide 3-Zeiler die Ausgangssituation: die Bewertung eines Büffets in Abhängigkeit vom Platz in der Menge – die Verbindung zu einer Strophe wäre also inhaltlich sogar geboten. zurück
Die fehlenden Satzzeichen erschweren ein Lesen und damit ein Verständnis; sinnvoll müsste oder könnte es heißen: die – im Gegensatz zum Tier -, wenn sie satt sind, weiter fressen (.) zurück
Der Inhalt dieses Verses findet sich bereits zwei Zeilen zuvor im satt; die Doppelung ergibt sich aber nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern aus der Notwendigkeit, für fressen einen Reim zu bilden, der sich in der folgenden Zeile in messen findet; daraus ergibt sich die seltsame Folge zu viel essen – zu viel trinken – zu viel essen. Um das zu beheben, müsste stärker inhaltlich in den Text eingegriffen werden. zurück
Die Menschen mästen sich gerade nicht endlos, sondern nur bis zu dem Augenblick, an dem sie alles von sich geben; endlos hieße, sie würden in kolportierter römischer Manier nach dem Reihern erneut essen, per Pfauenfeder sich von dem Schmaus befreien usw.; davon aber ist in diesem Gedicht nicht die Rede! Darüber hinaus bedeutet randvoll bis zum Kragen, dass jedes weitere Krümelchen unweigerlich zum Überlaufen führen muss – mithin ist endlos weiter mästen dreifach falsch und übertrieben. Hier diktiert eindeutig der Reim das Geschehen, nicht das Geschehen den Reim! zurück
Zwei verschiedene Magenaktionen werden einfach aneinander gereiht, anstatt dass die verschiedenen Aspekte verdeutlicht werden, nämlich der Vorgang speien und das Ziel befreien. Ich würde folgende Änderungen anregen: alles wieder von sich speit, so sich von dem Schmaus befreit oder (was ich vorziehen würde): (.) und sich so vom Schmaus befreit. zurück
Da sich man auf die Menschen bezieht, ließe es sich das erste durch sie ersetzen: doch sie finden dies (.) Eine Änderung des folgenden man geht technisch nicht so einfach, wäre aber auch nicht unbedingt notwendig; das Hauptproblem liegt jedoch ganz wo anders:
Gerecht und blecht reimen sich, als seien sie eigens dafür geschaffen; aber was ist gerecht am Kotzen? Gemeint ist doch nur, dass die Gesellschaft ihre Reiherei ganz okay findet. Das hat mit Gerechtigkeit bzw. ihrem Gegenteil nicht mal im Ansatz etwas zu tun. Hier verzerrt der Reim den Inhalt gewaltig! zurück

© 2000 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.