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StartseiteLiterarisches LebenNeugründung statt Neustart: PEN Berlin will der bessere PEN sein

Neugründung statt Neustart: PEN Berlin will der bessere PEN sein [Update]

Zoom-Screenshot von der Gründungsversammlung am 10. Juni 2022 im Berliner Literaturhaus mit dem gewählten Führungsduo Deniz Yücel und Eva Menasse (von rechts).
Zoom-Screenshot von der Gründungsversammlung am 10. Juni 2022 im Berliner Literaturhaus mit dem gewählten Führungsduo Deniz Yücel und Eva Menasse (von rechts).

»Wir wollen einen neuen PEN«, sagen 232 Schrifsteller:innen. Nach den Streitigkeiten beim Treffen des PEN Deutschland wird am 10. Juni 2022 der PEN Berlin gegründet. Bereits die Liste der 232 Gründungspersonen wirkt zeitgemäßer. Ein Zehntel von ihnen ist (oder war) auch beim »alten« PEN dabei. [Update: Der PEN Berlin ist gegründet.]

Nach dem Zoff ein »Gegenverein«

Die intellektuelle Schriftstellervereinigung PEN ist nicht anders wie der örtliche Tennisverein: Wenn’s internen Zoff gibt, wird nicht selten ein »Gegenverein« gegründet.

Nach den medial viel beachteten Auseinandersetzungen beim PEN-Treffen im Gotha um den ehemaligen Präsidenten Deniz Yücel und die Ausrichtung des Vereins, die schließlich zum Rücktritt Yücels führten, haben sich 232 Autorinnen und Autoren zusammengetan, um den »Gegenverein« PEN Berlin zu gründen.

Diese PEN-Vereinigung soll ebenfalls unter dem Dach des internationalen PEN angesiedelt sein. Mitglieder können »auf Deutsch schreibende oder in Deutschland lebende Schriftsteller:innen und Übersetzer:innen aller literarischen und publizistischen Genres« sein. Sie müssen also nicht in Berlin leben.

Man wolle »einen PEN von und für Kolleg:innen, die sich für Meinungsfreiheit und einen offenen Diskurs einsetzen, ohne Präsident:innen und andere Titel, mit einem paritätischen Board an der Spitze«, heißt es auf der Website. Auch dies ist eine klare Positionierung gegen die hierarchische Ordnung des »alten« PEN Zentrums Deutschland.

Deniz Yücel schrieb nach seinem Rücktritt erbost auf Twitter, der PEN werde »dominiert von einem Haufen Spießern und Knallchargen«. Es gebe dort »Persönlichkeiten. …, denen das eigentliche Verdient (sic) gebührt, die Ranzigkeit dieses Ladens tapfer verteidigt zu haben«. Yücel spricht weiter von einem »kolonialherrenhaften Umgang mit den Stipendiaten«.

»Wir brauchen diesen neuen PEN«

Mit dem neuen PEN Berlin soll sich dies ändern. So heißt es weiter auf der Website:

»Denn die Freiheit des Wortes ist weltweit bedrohter als jemals zuvor. Immer mehr Autor:innen fürchten um ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit. Unser Fokus wird deshalb auf der materiellen und ideellen Unterstützung verfolgter Kolleg:innen liegen.

Wir brauchen diesen neuen PEN, um dem Wort, der Literatur, der Poesie und jedem anderen textbasierten Genre den Raum zu geben, der notwendig ist, um sich frei zu entfalten.

Und wir brauchen diesen neuen PEN, der gemeinsam und unabhängig von Herkunft und Haltung Missstände anprangert und denjenigen hilft, die in ihrer freien Meinungsäußerung bedroht werden.«

Nach den Streitigkeiten will sich der »alte« PEN reformieren und einen Neustart wagen, doch das trauen ihm wohl nicht alle Mitglieder zu.

Ein Zehntel der Mitglieder sind auch beim »neuen« PEN dabei

Website des PEN Berlin unter penberlin.de
Website des PEN Berlin unter penberlin.de

232 Unterzeichner:innen werden daher zum 10.06.2022 den PEN Berlin gründen. Es seien »alle willkommen, die mit dem Wort arbeiten und bereit sind, sich uns bei diesem Vorhaben anzuschließen.«

Zu den Unterzeichner:innen gehören nicht nur Autor:innen, sondern auch Verleger wie Gunnar Cynybulk, Kerstin Gleba, Michael Krüger, Wolfgang Ferchl, Daniela Seel, Klaus Schöffling und Jörg Sundermeier.

Vergleicht man die 232 Unterzeichner:innen mit der öffentlich einsehbaren 760 Mitglieder umfassenden Liste des bestehenden PEN Deutschland, so sind oder waren hiervon 76 auch beim PEN Berlin mit dabei, wie Eva Menasse, Judith Schalansky, Daniel Kehlmann und Feridun Zaimoglu. Allerdings ist die Mitgliederliste des PEN Deutschland längst nicht mehr aktuell, da einige Autor:innen nach den Ereignissen von Gotha ausgetreten sind.

156 der Unterzeichner:innen sind bislang nicht PEN-Mitglied, darunter beispielsweise Nora Bossong, Antje Rávik Strubel, Julya Rabinowich, Wladimir Kaminer und Volker Weidermann. Auf der anderen Seite fehlen (noch?) einige von Yücels Wunschkandidat:innen wie Sophie Passmann oder Sascha Lobo.

Allein der Blick auf die Liste bildet eine buntere, jüngere und zeitgemäßere literarische Landschaft ab und zeigt bekanntere Autor:innen als die längere Mitgliederliste des »alten« PEN. Dort sind selbst Literaturkenner:innen einige Namen gänzlich unbekannt.

In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk fasst Eva Menasse die Gründe für eine Neugründung gut zusammen: »Ich glaube, dass solche Gruppierungen – Vereine wie Organismen – eine begrenzte natürliche Lebensdauer haben, und irgendwann versandet das Ganze. Auch wir im PEN Berlin werden vielleicht in 30 Jahren an irgendeine Wand laufen. Das sind historische Entwicklungen, Gruppen, die da übernehmen, Gruppen, die glauben, das gehört alles ihnen, und die sich wehren gegen Modernisierungen. Ich möchte gern nach vorne schauen und sagen, dass jetzt plötzlich sehr viele junge Kolleginnen und Kollegen aufgewacht sind und gesagt haben: Was ist denn da los? So wollen wir das nicht mehr. Lasst es uns gemeinsam anpacken.«

Der PEN Berlin wird zunächst rein ehrenamtlich arbeiten. Inwieweit sich dieser zweite deutsche PEN auch um Bundesmittel zur Erfüllung der Ziele bemühen wird und wie sich die Koexistenz mit dem PEN Zentrum Deutschland in Darmstadt gestalten wird, wird sich zeigen.

Wolfgang Tischer

Nachtrag: PEN Berlin ist gegründet

Zoom-Screenshot von der Gründungsversammlung am 10. Juni 2022 im Berliner Literaturhaus mit dem gewählten Führungsduo Deniz Yücel und Eva Menasse (von rechts).
Zoom-Screenshot von der Gründungsversammlung am 10. Juni 2022 im Berliner Literaturhaus mit dem gewählten Führungsduo Deniz Yücel und Eva Menasse (von rechts).

Am 10. Juni 2022 fand um 11 Uhr wie geplant die Gründung des PEN Berlin im Berliner Literaturhaus statt. Rund 50 Menschen saßen vor Ort im Saal, viele waren per Zoom digital dabei. Eva Menasse und Deniz Yücel bilden das Führungsduo des PEN Berlin, dem zum sogenannten Board gehören an: Alexandru Bulucz, Simone Buchholz, Joachim Helfer, Konstantin Küs­pert, Ralf Nestmeyer, Ronya Othmann, Elke Schmitter, Mithu Sanyal und Sophie Sumburane. 370 Personen gehören zu den Mitgründer:innen.

In einem Kommentar sieht Andreas Platthaus von der FAZ – trotz Betonung der flachen Hierarchie seitens des PEN Berlin – Deniz Yücel als dominante Figur der neuen Schriftstellervereinigung.  Der PEN Berlin sei aktuell »vor allem PEN Yücel«, schreibt Platthaus.

Im November 2022 wird die erste Jahrestagung des PEN Berlin stattfinden.

Links ins Web:

Im Beitrag wurde der Hinweis ergänzt, dass die Mitgliederliste des PEN Deutschland längst nicht mehr aktuell ist.

Nachtrag und Offenlegung: Der Verfasser dieses Beitrags gehört mittlerweile zu den 367 Mitgründer:innen des PEN Berlin.

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