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Mareike Nieberding: Ach, Papa – Geplagt vom Familienweh

Mareike Nieberding: Ach, Papa

Die eigene Familie beschäftigt jeden, egal ob man ihr nahe steht oder nicht. Darüber zu schreiben ist sehr persönlich. Mareike Nieberding hat genau das getan: Sie hat ein sehr persönliches und ehrliches Buch über sich und die Konstellationen innerhalb ihrer Familie verfasst. Gleichzeitig geht sie ein auf die Rollenverteilung zwischen Vater und Tochter und allgemeiner zwischen Männern und Frauen in der heutigen Zeit. So bringt sie das Thema auch auf eine gesellschaftliche Ebene.

Die Autorin, die regelmäßig für ZEIT, SPIEGEL und F.A.S. schreibt, wird bereits seit einigen Jahren von dem geplagt, was sie als »Familienweh« bezeichnet: einer Mischung aus Heimweh und Wegwollen. Nach dem Abitur zog Mareike Nieberding zum Studium in die Großstadt und hat sich dabei von ihrer Familie und ihrer Heimat nicht nur räumlich distanziert: »Ich wollte mit aller Macht anders sein als die mir bekannte Gegend meiner selbst.« Die Basis für tiefgründige Gespräche mit ihrem Vater fehlt von nun an, das Gefühl der Distanz verstärkt sich über die Jahre. »Diese merkwürdige Traurigkeit, das Familienweh, erzählt von dem, was zwischen mir und meinen Eltern und vor allem zwischen mir und meinem Vater steht«, definiert Nieberding den von ihr geschaffenen Begriff. Mit Ende Zwanzig will sie diesen Zustand nun ändern. Ihr erstes, im Januar 2018 beim Suhrkamp Verlag erschienenes Buch »Ach, Papa« handelt von einer Reise mit und zu ihrem Vater.

Die Tochter schlägt ihrem Vater vor, mit dem Auto von ihrem Heimatort und seinem Wohnort Richtung Süden zu seinem Studienort zu fahren. Von Steinfeld in Niedersachsen geht es nach Freiburg im Breisgau. Die gemeinsame Reise hat das Ziel, die beiden wieder näher zueinander zu bringen.

Das nur knapp zweihundert Seiten umfassende Buch liest sich schnell und flüssig. Mareike Nieberding verwendet eine klare, ehrliche Sprache und deutliche Worte. Quasi nebenbei und unerwartet streut sie gelegentlich fast poetische Sätze ein wie: »Der Tag blüht. Der blaue Dunst von Papas Zigaretten vermischt sich mit dem Rosa der Magnolienbäume.« Oder wortgewaltige Textpassagen wie: »[…] wenn die Luft immer dünner wird und der fehlende Sauerstoff einem das Herz aus der Brust drückt. So als würde da gleich eine Tür aufspringen, aus der das Organ pumpend hinausspazieren kann.«

Nieberding richtet einige Vorwürfe an ihren Vater, sodass man als Leser manchmal fast für den Vater Partei ergreifen möchte und sich fragt, ob es der Vater seiner Tochter denn überhaupt hätte recht machen können. Geht sie mit ihm nicht zu hart ins Gericht? Glücklicherweise reflektiert die Autorin auch selbstkritisch, was sie wiederum sympathisch macht: »Mein Vater und ich haben das Reden nicht nur vergessen, weil er nicht gefragt und ich nicht geantwortet habe, sondern auch weil ich es mir bequem gemacht habe in meiner Passivität, in meinen Vorwürfen.«

Mareike Nieberding: Ach, Papa

Mareike Nieberding engagiert sich politisch und bezeichnet sich selbst als Feministin. So geht sie auch auf die Rollenveränderungen zwischen ihrer Generation und der vorherigen ein, die sich innerhalb von Familie, Partnerschaft und Gesellschaft vollziehen. Sie erzählt über vergangene und aktuelle Beziehungen zu Männern. Ebenso thematisiert Nieberding gegen Ende des Buches über viele Seiten hinweg die Geschlechterrollen und spricht über die Emanzipation der Frau. Somit geht die Geschichte des Buches über die einer Vater-Tochter-Beziehung hinaus. Wer primär dies erwartet, könnte enttäuscht werden. Denn die Leserin oder der Leser wartet vergebens darauf, wie der genaue Annäherungsprozess zwischen Vater und Tochter aussieht. So gibt es im Buch lediglich einige wenige Interview-Seiten, auf denen die Tochter ihrem Vater Fragen zu seiner Lebenseinstellung stellt. Diese werden relativ kurz per E-Mail abgehandelt und sind auch in diesem Format abgedruckt. Das kann man als Anleitung für eigene Gespräche verwenden, muss man aber nicht. Weltbewegendes oder Neues wird nicht gesagt. Somit steht das durch den Buchtitel und Klappentext ausgewiesene Wieder-zueinander-Finden nicht im Vordergrund.

Dies macht wiederum das Buch für ein allgemeineres Publikum interessant. So werden beim Lesen Erinnerungen an die eigene Familie geweckt. Das Buch regt an, über die eigene Familie und die Beziehung zu ihr nachzudenken.

Jeder hat seine eigene Familiengeschichte. Auch wenn jede Vater-Tochter-Beziehung individuell ist, können sich junge Leser mit Nieberdings Gedanken und Erklärungsansätzen sicherlich gut identifizieren, was das Buch auch für die Generation der Eltern der heute um die 30-Jährigen interessant macht. Es kann ihnen dabei helfen, die Denk- und Handlungsweise ihrer Kinder besser zu verstehen und deren Herangehensweise, sich ihren Platz in der Welt zu suchen.

»Wir sind einander immer noch Vater und Tochter. Einfacher macht es das nicht.« Allgemeiner könnte man sagen: Wir sind einander immer noch Familie. Einfacher macht es das nicht. Dies sind andere Worte für den bekannten Satz: Familie kann man sich nicht aussuchen. In diesem Sinne ist Nieberdings Buch ein Plädoyer für die Familie, für Gesprächskultur sowie fürs Zueinanderfinden und Nähe.

Juliane Hartmann

Mareike Nieberding: Ach, Papa: Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden (suhrkamp taschenbuch). Broschiert. 2018. Suhrkamp Verlag. ISBN/EAN: 9783518468128. 14,95 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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