Vor gut zwei Wochen wurde die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 bekannt gegeben. Die 20 Bücher auf der Liste haben die Chance, am 9. Oktober 2017 den mit 25.000 Euro dotierten Preis zu erhalten. Am 12. September 2017 werden es nur noch sechs sein, denn dann wird die Shortlist bekannt gegeben.
Unser Textkritiker Malte Bremer hat wie im Vorjahr mit allen 20 nominierten Titeln den »Buchhandelstest« gemacht und sich die jeweils ersten Seiten angeschaut: Taugt das was? Will man das weiterlesen? Spannend? Oder langweiliges Gelaber?
In dieser Woche lesen Sie von Montag bis Freitag die Anmerkungen zu je vier Titeln.
Diesmal: Mirko Bonné, Franzobel, Monika Helfer und Christoph Höhtker.
Mirko Bonné: Lichter als der Tag
Ein Junge namens Raimund Merz hat ein für ihn besonderes Licht gesehen – und das folgt ihm (oder er ihm?) in seinem weiteren Leben: So entdeckt er es etwa in einer Bahnsteighalle, zumindest ab und zu. Und dann freute er sich. Und er weiß auch nicht, warum es dieses Leuchten zwar Ende April gab, nie aber im Mai.
Zudem entdeckte er genau dieses Leuchten bei einem gymnasialen Museumsbesuch auf einem Bild von Camille Corot mit dem Namen »Weizenfeld in Morvan«. Dieses Licht begleitet ihn seitdem.
Das ist einfach, klar, unprätentiös – und macht neugierig: Schließlich ist Raimund erwachsen, als er sich erinnert.
Mirko Bonné: Lichter als der Tag: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Schöffling. ISBN/EAN: 9783895614088. 22,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Franzobel: Das Floß der Medusa
»Dreimal neun ist Donnerstag« beginnt dieser Text – aber was hat das mit 27 zu tun, wenn sofort das Datum diese Tages genannt wird, nämlich der 18. Juli 1816? Dass die Quersumme von 18 neun ist, also zweimal vorkommt? Und die von 16 sieben, also die Monatszahl vom Juli? Und 27 hat ja auch die Quersumme neun? 18, 18 & 27? … Da hat Franzobel mich ollen Sinnsucher bereits voll erwischt!
Und als dann der Text beginnt und Franzobel uns mitten aufs Meer schickt auf die Brigg Argus (Ja, genau: der Riese mit den 100 Augen, der ein göttliches Schäferstündchen verhindern sollte) – da sind wir voll in einem spannenden Abenteuer! Das ist mal ein Beginn! Werde ich ganz lesen!
Franzobel: Das Floß der Medusa: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Paul Zsolnay Verlag. ISBN/EAN: 9783552058163. 26,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Monika Helfer: Schau mich an, wenn ich mit dir rede!
Ein Ich-Erzählwesen (Geschlecht unbekannt) wird in der U-Bahn Zeuge von einer Verbalattacke einer blonden Mutter gegen ihre etwa 10jährige Tochter, weil sie von der wissen will, ob sie ihren Vater immer noch für lieb hält und der seine Tochter. Das Ich-Erzählwesen hört zu und stellt sich die Blonde in verschiedenen Filmen vor – und dann hagelt es von Filmtiteln und Schauspielernamen, ob und wie die Blonde wohl dazu passen würde.
Ich kann damit nichts anfangen, fühle mich ausgeschlossen. Offenbar weiß frau sich zwecks »Charakterisierung« nicht anders zu helfen als mit Analogien.
Die Mutter schafft es schließlich, ihre Tochter zum Weinen zu bringen.
Das mag ich nicht weiter lesen: Dass Kinder nach Scheidungen und Trennungen meistens als Waffe missbraucht werden, um die jeweils andere Person zu ärgern, ist bekannt und schrecklich. Aber das brauche ich nicht auch noch als Roman.
Monika Helfer: Schau mich an, wenn ich mit dir rede!: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Jung u. Jung. ISBN/EAN: 9783990270943. 20,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Christoph Höhtker: Das Jahr der Frauen
Es beginnt mit einem Zwiegespräch: Der angebliche Psychotherapeut Dr. Yves Niederegger will Anfang eines neuen Jahres von seinem Patienten Frank Stremmer wissen, ob dieser dieses gut begonnen hat, also das vergangene Jahr bilanziert oder Pläne gemacht hat, sich Ziele gesetzt hat oder etwas erhofft (also der landesübliche Neujahrs-Schwachsinn: Statt mit dem Rauchen einfach aufzuhören, verschiebt man es auf das nächste Jahr.).
Stremmer hält zwar nichts von diesem Neujahrskitsch des inkompetenten Psychotherapeuten, lässt sich aber schließlich doch dazu hinreißen, dass er in diesem Jahr versuchen wird, pro Monat eine Frau zu verbrauchen. Auf die Frage, was er sich davon verspräche, antwortet er lapidar: »Absolut nichts«. Doch schlägt er seinem Psychotherapeuten eine Wette vor: Falls er gewönne, dürfe er sich anschließend umbringen. Sollte der angebliche Psychotherapeut gewinnen, müsse der selbst entscheiden, was er dafür wolle.
Aha. Soso. Der Titel wäre geklärt.
Aber wieso braucht dieser potentielle Frauenverbraucher Frank Stremmer von seinem Psychofuzzi die Erlaubnis, sich selbst ins Nirvana befördern zu dürfen? Das ist nur noch albern!
Und konsequent albern beginnt das erste Kapitel inkonsequenterweise mit zehn statt zwölf Kandidatinnen einer Partnervermittlung und deren dazugehörigen Sprüchen, z. B »Bin ich wirklich hier? Na ja, warum nicht?! Merkt ja eh keiner.«
Das erste Kapitel beginnt mit Stremmers Schreiben an die Kandidatin VXE09SD8, aber das habe ich bereits nicht mehr gelesen. Mehr Albernheiten werde ich mir nicht antun.
Ein Trost: das Buch hat außer dem Pro-Dialog nur zwölf Kapitel, wohl eines pro verbrauchter Frau.
Christoph Höhtker: Das Jahr der Frauen: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Weissbooks. ISBN/EAN: 9783863371180. 22,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Malte Bremer
Alle fünf Teile mit den 20 nominierten Büchern zum #dbp17 in der Übersicht »
Bin auch schon beim Buchpreislesen, Mirco Bonnes in schöner Sprache geschriebener Mainstreammidlifekriseroman war für mich nicht ganz nachvollziehbar, dafür das „Jahr der Frauen“ eine <überraschung, die ich empfehlen kann.
Hallo Malte,
bisher stimme ich der Einschätzung voll zu. Fluss der Medusa und der Bonne haben bisher Eselsohren erhalten, mit denen ich mich weiter beschäftigen werde. Die anderen hier angerissenen Titel habe schon wieder ins Vergessen geschickt. Hoffentlich kommt davon nix auf die kurze Liste.
Gruß
Marc
Im Kommentar zu Christoph Höhtkers „Das Jahr der Frauen“ müsste es heißen: Auf die Frage, was er sich davon verspreche (nicht „verspräche“), antwortet er … Und: Falls er gewinne (nicht „gewönne“), dürfe er sich anschließend umbringen. Trotzdem Dank für die Leseeindrücke.
Curdin
ja, ja, alles ganz genau!