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Lesetipp: Stephen Kings E-Book-Novelle »UR« für Amazons Kindle

Stephen Kings Novelle: UR für den Amazon KindleStephen King ist ein Meister der zeitgenössischen Novelle. Und der amerikanische Autor liebt »Gadgets«, also elektronische »Spielzeuge«, zu denen E-Book-Lesegeräte zählen. Mit der Novelle »Riding the Bullet«, die seinerzeit exklusiv als E-Book erschien, löste er im Jahre 2000 den ersten E-Book-Hype und die folgende Ernüchterung aus.

Neun Jahre später veröffentlichte Stephen King mit »UR« eine weitere Novelle als E-Book. Der Text aus dem Jahre 2009 ist bis heute ausschließlich für Amazons Kindle erhältlich – und das E-Book-Lesegerät spielt darin eine wichtige Rolle.

Als Amazon im Frühjahr 2009 die 2. Gerätegeneration des Kindle präsentierte, war King persönlich anwesend und las den Anfang von UR direkt aus dem Kindle vor.

Das setzte King erwartungsgemäß dem Vorwurf aus, dass die Geschichte lediglich ein Werbetext für Amazon sei, was King und sein Agent bestritten. Später wurde der Text zusätzlich als Hörbuch angeboten.

Wer UR lesen will, benötigt nicht unbedingt ein Kindle-Gerät, denn immerhin gibt es für fast alle Plattformen – von iPhone über Android-Geräte bis hin zu Mac und PC – entsprechende Software, die digitale Kindle-Bücher anzeigt.

Im deutschen Kindle-Store findet sich die Geschichte unter den Top-100-Titeln, obwohl sie bislang nur auf Englisch verfügbar ist. Ob mit dem Start des deutschen Kindle-Stores eine Übersetzung folgen wird?

Die UR-Handlung

Hauptfigur der Novelle »UR« ist Englischlehrer Wesley Smith. In der Beziehung zu seiner Geliebten kriselt es, unter anderem wirft sie ihm vor, er stecke seine Nase zu oft in Bücher und lese nie »off the computer«. Als Smith bei einem seiner Schüler das erste Mal einen Kindle sieht, bestellt er sich bei Amazon ein solches Gerät. Smith findet es nicht nur praktisch, er glaubt auch, auf diese Weise seine Geliebte zu beeindrucken, die Trainerin des örtlichen Frauenbasketballteams ist.

Smith ist verwundert, dass sein Kindle statt in weiß in pink geliefert wird, aber dies scheint ihn nicht weiter zu stören (An dieser Stelle sei auf das schöne Zitat hingewiesen: »Nothing only comes in white,« he said. »This is America.« )

Unter dem Menüpunkt »Experimental«, den es auf dem Kindle-Geräten tatsächlich gibt, entdeckt Smith den ungewöhnlichen Eintrag »UR FUNCTIONS« mit dem Unterpunkt »UR BOOKS«. Beim Durchsuchen dieser Bücher findet Smith bis dahin unbekannte Werke bekannter Autoren wie beispielsweise Ernest Hemingway. Eine Stilanalyse lässt daran keinen Zweifel, und als Smith entdeckt, dass Hemingways Sterbedatum in den biographischen Angaben variiert, wird Smith klar, dass ihm das Gerät Bücher aus Paralleluniversen zeigt, in denen Hemingway keinen Selbstmord begangen hat, sondern noch drei weitere Jahre Zeit zum Schreiben hatte.

Wesley Smith liest auf seinem E-Book mehr Bücher als je zuvor und findet kaum noch Schlaf. Um nicht verrückt zu werden oder um herauszufinden, ob er nicht schon längst verrückt ist, zeigt er den Kindle seinem Kollegen. Doch die Texte sind wirklich da, und sein Kollege ist begeistert von den bislang unbekannten Dramen Shakespeares.

Dann gibt es da noch einen weiteren Untermenüpunkt »UR NEWS ARCHIVE«, der ähnlich funktioniert: Auch dort sind Zeitungen aus Paralleluniversen abrufbar, und Smith recherchiert in Ausgaben der »New York Times«, in denen nicht Obama, sondern Hillary Clinton Präsident der USA geworden ist oder Kennedy dem Attentat in Dallas entkam.

Smith vermutet, dass der pinkfarbene Kindle nicht für ihn bestimmt war, sondern für den Wesley Smith in einem Paralleluniversum.

Und schließlich öffnet sich ein dritter Menüpunkt, der bislang »UNDER CONSTRUCTION« war: Darüber lassen sich Kindle-Ausgaben lokaler Zeitungen abrufen. Diesmal sind es nicht die Artikel möglicher Vergangenheiten, sondern Texte aus der Zukunft.

Es ist ein erschreckender Artikel, den Smith lesen muss: Der Mannschaftsbus des Basketballteams wird auf der Rückfahrt von einem gewonnenen Spiel verunglücken. Die Trainerin und viele Mädchen der Mannschaft werden sterben.

Kein Gefälligkeitstext für Amazon

Kings Novelle ist spannend und beileibe kein Gefälligkeitstext für Amazon. Sie zeigt sehr gut, wie King den Kindle in die Story einflicht und das Gerät plötzlich »lebt« und sich gegen den Protagonisten wendet – ein bei King wiederkehrendes Motiv, man denke nur an das Killerauto »Christine«. Obwohl zwischen Kings erstem E-Book »Riding the Bullet« und »UR« neun Jahre liegen, ist es sicher kein Zufall, dass sich ein weiteres Grundmotiv durch beide Novellen zieht: Was würdest du tun und wie würdest du handeln, wenn du die Zukunft kennst?

Von Kings Plot-Aufbau kann man zudem als Autor einiges lernen, und es lohnt sich ein näherer Blick: Grandios montiert ist die Szene, in der Smith den bejubelten Mannschaftsbus aus einem Café heraus beobachtet, um kurz darauf die Nachricht über das bevorstehende und eigentlich schon geschehene Unglück zu lesen. Dass der Protagonist im Café sitzt, ist ebenfalls kein Zufall, sondern resultiert aus der Handlung. So soll es sein. Ein weiterer Aspekt im Plot zeigt, dass King mehr drauf hat als die Drehbuchautoren Hollywoods: Im Handy-Zeitalter ist jeder fast immer überall erreichbar. Das macht es für einen Autor schwierig, wenn es für die Handlung erforderlich oder spannender ist, dass ein Mensch in einer Gefahrensituation nicht erreichbar sein soll. Die beliebtesten Lösungen sind dann das Funkloch oder der leere Akku. Doch solche Lösungen sind mittlerweile genauso zum Klischee verkommen wie das nicht anspringende Auto just dann, wenn der Protagonist fliehen muss. King zeigt in UR eine andere Lösung, warum Wesley die Geliebte nicht per Handy über das drohende Unglück informieren kann.

Kings Novelle ist also ein ganz besonderer Kindle-Lesetipp, bei dem ohne Frage ein Vorteil des Geräts zum Tragen kommt: das eingebaute Wörterbuch, das beim Verständnis englischsprachiger Texte hilft. Oder wissen Sie, was local rag bedeutet?

Stehen King, UR [Kindle Edition], 2009, 2,52 EUR (Bei Amazon für den Kindle kaufen)

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