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Literatur-Café

Schrecken ist Befreiung
Ein Interview mit dem Schriftsteller E. W. Heine über makabere Geschichten und das Schreiben nach den Anschlägen vom 11. September.

Ernst W. Heine ist gelernter Architekt und nun hauptberuflicher Schriftsteller. Neben bitterbösen Kurzgeschichten wurde er auch durch seine historischen Romane Das Halsband der Taube und Der Flug des Feuervogels bekannt. E. W. Heine ist der Bruder des Zeichners Helme Heine.
     Zuletzt erschien von E. W. Heine bei Bertelsmann eine neue Sammlung von Kille Kille Geschichten mit dem Titel
Kinkerlitzchen (ISBN 3-570-00575-5).

E. W. Heine liestDas Literatur-Café: Herr Heine, wie brav muss man sein, um so böse Geschichten zu schreiben wie Sie?

E. W. Heine: Die pornographischsten Bücher werden meistens von den treuesten Ehemännern geschrieben und die schrecklichsten Geschichten von den bravsten Vätern. Zum Beispiel Tomi Ungerer, den ich gut kenne: wenn man dessen Kamasutra der Frösche und all diese schrecklichen Dinge von ihm sieht, glaubt man, er wäre ein wilder Bursche. Aber in Wirklichkeit hängt er sehr an seiner Frau. Ich glaube, dass wirklich böse Menschen ganz böse Dinge gar nicht schreiben, aus Angst, dass sie sich verraten. Die Engländer sind ja eine sehr zivilisierte, sportliche Nation und dafür bekannt, dass sie den schlimmsten schwarzen Humor auf die Beine stellen, und so sehe ich mich auch. Ich schreibe sehr böse Geschichten, und mir passierte es immer wieder mit meinem Verlag, dass man sagte »mit Rücksicht auf die älteren Leser« sollte man die ein oder andere Geschichte doch herausnehmen; aber ich habe mal den Literaturpreis der Stadt Düsseldorf gewonnen, der alle 2 Jahre für schwarze, makabere Erzählungen verliehen wird, und seitdem macht mir da auch mein Verlag keine Schwierigkeiten mehr.

Das Literatur-Café: Nach den furchtbaren Anschlägen vom 11. September haben plötzlich ganz viele Menschen gemerkt, wie viel Verbrechen in Filmen und Büchern auftauchen, und es gab fast schon so etwas wie eine Selbstzensur. Viele haben sich überlegt: darf ich das jetzt überhaupt noch schreiben? Ging es Ihnen da ähnlich?

E. W. Heine: Nein. Eine Frau hat einmal das Atelier von Picasso besucht, und Picasso hat ihr ein Bild gezeigt von einer Frau. Da hat die Frau gesagt: »So sieht eine Frau doch gar nicht aus!«. Dann sagte Picasso, das ist auch keine Frau, das ist das Abbild einer Frau. Ein Bild einer Frau. Das ist etwas anderes.
     Meine Geschichten sind auch nicht das Leben, meine Geschichten sind wie Märchen oder wie Erzählungen. Eigentlich ein Mittel um dem Menschen Frust oder Angst zu nehmen. Ich habe viele jüdische Freunde, die erzählen die schrecklichsten jüdischen Witze. Auch im Dritten Reich oder in der DDR: wie viele schlimme, makaberen Witze hat man gerade in dieser Zeit erzählt. Da liegt dann auch eine gewisse Befreiung darin, das ist wie Kabarett: die Menschen öffnen sich und dann wird etwas Schreckliches gesagt. Vor allem Kabarett in einer Diktatur: zunächst ist man entsetzt - und dann lacht man drüber. Und Schrecken - und vor allen Dingen Schrecken, den man nicht erlebt, sondern aus einem Buch entnimmt - ist auch eine Befreiung. Ich glaube unsere Liebe zu Kriminalromanen hindert viele Leute daran selbst eine Bank auszurauben, wenn ich das mal so überspitzt ausdrücken darf.

Das Literatur-Café: Dann ist zu wünschen, dass noch mehr Leute Ihre Bücher lesen.
     Sie schreiben zum einen die Kille Kille Geschichten, zum anderen haben Sie auch Romane geschrieben, allen voran natürlich Das Halsband der Taube. Wo sehen Sie da den Unterschied? Schreiben Sie lieber kurze Geschichten, weil da mehr Abwechslung geboten ist, oder arbeiten Sie lieber ausführlich an einem großen Werk, für das es viel zu recherchieren gibt?

E. W. Heine: Das eine schließt das andere nicht aus. Ein gutes Beispiel ist Friedrich Dürrenmatt, der hat immer ein großes Theaterstück geschrieben und zwischendurch mit viel Liebe zum Detail seine Kriminalromane Die Panne und Der Richter und sein Henker. Ich bin von Beruf eigentlich Architekt, aber ich wäre nie gerne Architekt geworden, der nur Krankenhäuser baut oder nur Warenhäuser. Ich habe Freude daran gehabt, dass ich zwischendurch mal für den Stuttgarter Zoo das Giraffenhaus entwerfen durfte. Bei mir ist das so, dass mir, während ich an einem großen Roman oder an Drehbüchern fürs Fernsehen arbeite, solche spannenden Erzählungen oder Geschichten begegnen. Die schreibe ich dann nieder - gar nicht in der Absicht auf ein Buch oder auf ein Ziel. Die lege ich dann in mein Schubfach, und wenn ich mal 15 Stück zusammen habe, dann habe ich wieder ein Buch von Kille Kille Geschichten. Das entsteht nebenbei. Das ist die Erholung vom großen Schreiben.

Das Literatur-Café: Herr Heine, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Wolfgang Tischer

11.10.2001, Buchmesse Frankfurt

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