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Hinter dem Erfolg: Was »Fourth Wing – Flammengeküsst« zum Bestseller macht

Fourth Wing mit Drachen

Lange angekündigt und endlich gelesen. Was ist das Geheimnis von »Fourth Wing – Flammengeküsst« von Rebecca Yarros? Das Talent der Autorin scheidet aus. Aber was ist es dann? Warum wurde dieser Fantasy-Roman ein Bestseller? Wolfgang Tischer hat nach langwieriger Lektüre die beiden Erfolgsfaktoren gefunden.

Nicht die Zielgruppe

»Ich bin nicht die Zielgruppe«, das habe ich von Anfang an gesagt. Aber genau darin bestand die Herausforderung. Kann ich ergründen, warum dieser Roman zum Bestseller wurde? Maßgeblichen Anteil daran hatten die Videos auf TikTok.

Ein erstes Video, das ich selbst im Januar 2024 zur deutschen Übersetzung aufgenommen habe, hat mittlerweile fast 180.000 Views und über 16.000 Likes erreicht. TikTok selbst weist aus, dass 93% der Zuschauer weiblich sind, 58% sind 18 bis 24 Jahre alt, 34% sind in der Altersgruppe 25 bis 34. Das ist die Zielgruppe des Buches.

Es hat lange gedauert, bis ich den Roman gelesen hatte. Fast ein halbes Jahr. Als Literaturkritiker und Moderator musste ich in dieser Zeit einige andere Bücher lesen. »Fourth Wing – Flammengeküsst« hatte nicht die oberste Priorität. Ich habe den Großteil des englischen Originals gelesen, teilweise und meist zum Vergleich in die deutsche Übersetzung reingelesen und sicherlich ein Drittel in der deutschen Hörbuchfassung beim Autofahren konsumiert. Das Hörbuch mit den bis zur Lächerlichkeit überzogenen Synchronstimmen eines Teenyfilms macht den Konsum nicht einfacher.

Natürlich darf ich »Fourth Wing – Flammengeküsst« nicht als Literaturkritiker lesen und bewerten, wenn ich die Faszination an diesem Buch ergründen möchte. Ansonsten wäre es die übliche und wenig ergiebige Gegenüberstellung »Vom Publikum geliebt, von der Literaturkritik gehasst«. Wer einen kitschigen Liebesroman lesen möchte, um abzuschalten und den Kitsch zu genießen, dem oder der bringt es nichts, wenn ich dem Werk Kitsch attestiere.

Warum wird das gelesen?

Warum also wird »Fourth Wing – Flammengeküsst« von Rebecca Yarros gelesen und geliebt?

Fast erwartbar muss man Rebecca Yarros attestieren, dass sie keine gute Autorin ist. Sprachlich bewegt sich das Werk im Bereich der minderwertigen Fanfiction. Dies ist kein Pleonasmus sein, denn es gibt durchaus hochwertige Fanfiction. Doch Yarros befindet sich in allen sprachlichen und inhaltlichen Bereichen dort, wo jemand will, aber nicht kann. Dass »Fourth Wing« eine zusammengerührte Motivsuppe aus »Game of Thrones« und »Die Tribute von Panem« ist, wurde schon oft geschrieben. Doch Yarros fehlen sämtliche sprachlichen Mittel. Sie beschreibt die Dinge in einfachster Aufsatzsprache, kann keine Atmosphäre und keine Welten schaffen, und ihre Figuren bleiben flache Pappaufsteller ohne Charakter und persönliche Geschichte (Ok, »flache Pappaufsteller« ist ein Pleonasmus). Wer wann wo im Buch stirbt ist daher reichlich egal.

Eine der langweiligsten Passagen ist die Schlachtenbeschreibung gegen Ende des Romans. Jede IKEA-Aufbauanleitung ist spannender – und die hat nicht einmal Text. Selbst der Cliffhanger am Ende des Buches ist so erwartbar und belanglos, dass man sich fragen muss, warum die Leute auch noch einen zweiten Band lesen.

Ein Bestseller ist ein Buch, das gut verkauft wird. Doch auch der zweite Band hat es auf die obersten Plätze geschafft. Band 1 hat die Menschen offenbar nicht enttäuscht. Was also ist es, was die Leute zum Kauf des zweiten Bandes treibt? Was macht die Lektüre spannend?

Verstörende Gewalt

Verstörend an »Fourth Wing – Flammengeküsst« ist die Gewalt in dieser Fantasy-Welt. Hier darf nach Belieben und ohne Konsequenzen selbst aus niedrigen Beweggründen getötet werden. Beim Sportunterricht bricht einer dem anderen das Genick? Ups. Kann schon mal passieren. Verräter werden ohne Gerichtsverhandlung auf der Stelle hingerichtet. Grausam werden sie bei lebendigem Leibe durch das Feuer der Drachen getötet. Der deutsche Untertitel »Flammengeküsst« wirkt da reichlich makaber. Die faschistische Welt, die Yarros beschreibt, wird an keiner Stelle von der Erzählerin oder gar der Autorin hinterfragt. Mord und Gewalt und Ausgrenzung gehören hier selbstverständlich dazu. Eine furchtbare Ideologie. Und das in einer Zeit, in der auch in der realen Welt Hass und Kriegsgefahr zunehmen. Der Bestseller als Spiegel der Zeit? Kann es das wirklich sein?

Die unterkomplexe und geradlinig erzählte Geschichte besticht zudem nicht durch Logik und Konsequenz. So haben die Drachen eine Bindung zu ihren Reitern und können ihre Gedanken lesen und mit ihnen Kommunizieren. Yarros setzt diese Fähigkeit ein, wenn sie für die Handlung nützlich ist und sie vergisst sie, wenn sie stört. Die übernatürlichen Fähigkeiten ihrer Figuren und Drachen ordnet sie so zu, wie es für die Handlung praktisch ist.

Warum also ist »Fourth Wing – Flammengeküsst« ein Bestseller?

Nahtlos niedrig

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass sich die deutsche Übersetzung nahtlos in das niedrige Niveau einfügt. Niemand scheint hier auch nur ansatzweise einen Qualitätsanspruch gehabt zu haben. Die Übersetzung wirkt dahingeschludert, um sie rasch auf den Markt zu bringen, damit nicht alle schon das englische Original gelesen haben. Halbherzig versucht man sich an einer gegenderten Fassung, was reichlich misslingt und der Reiterquadrant bleibt ein Reiterquadrant, weil ein Reiter:innenquadrant doch allzu lächerlicher gewesen wäre. Man ist verwundert, warum man in der deutschen Version englische Dienstgradbezeichnungen einführt, die es in der englischen gar nicht gibt. Bisweilen fehlen ganze Sätze in der deutschen Version.

Also wieder die Frage: Was macht den Reiz des Buches aus?

Gründe für den Erfolg

Nach langer Lektüre und Analyse wird klar, dass es im wesentlichen zwei Dinge sind, die die Leserinnen an diesem Buch lieben.

Die Drachen

Die sind teilweise so süüüß. Da gibt es den kleinen Babydrachen, da gibt es den mürrischen Papadrachen. Sie sprechen mit ihren Reitern meist ironisch und sarkastisch und bringen vieles auf den Punkt. Sie sind die besseren Wesen, die überdimensionalen Freaky-Sidekicks, auch wenn ihr Verhalten, wie oben beschrieben, nicht immer logisch ist.

Geschlechtsverkehr

Euphemistisch wird Sex in Büchern für die junge Zielgruppe als Spice bezeichnet. Und interessanterweise gibt es nur zwei Medienarten, bei denen der Geschlechtsverkehr in all seinen Spielarten explizit dargestellt wird: Pornofilme und Bücher. Hier wird der genaue technische Ablauf im Detail gezeigt und Geschlechtsteile beschrieben und gezeigt. So auch in »Fourth Wing – Flammengeküsst«.

Es sind zwei Tropes (Plotmuster), denen der Roman in erster Linie zuzuordnen ist: »Ememy to Lovers« und »Slowburn«. Von Anfang an ist klar, wer hier im Laufe der Geschichte zusammenkommen (sic!) wird. Das also kann auch nicht der Reiz der Geschichte sein.

Das Wann und das Wie sind entscheidend!

Und wenn man Rebecca Yarros leider keine schriftstellerischen Fähigkeiten bescheinigen kann, so gibt es dennoch einen Bereich, in dem sie brilliert. Sex.

Sexszenen, die in vielen Büchern meist zu unfreiwilliger Komik führen, beherrscht die Autorin meisterlich. Erwartbar sind es in »Fourth Wing – Flammengeküsst« auch primär die Triebe und eher schleichend die Liebe, die die Figuren zusammenbringt. Im fulminanten ersten Geschlechtsakt des Romans spiegeln die Drachen diesen animalischen Drang wieder und befördern ihn, beim nächsten Verkehr wird es noch besser.

Wann, wie und wo geschieht es das nächste Mal?, daraus generiert das Buch die Spannung.

Wie Josephine

»Fourth Wing – Flammengeküsst« erinnert in der Dramaturgie an Pornofilme der 1970er-Jahre, wie »Josephine Mutzenbacher«, in denen man rund um die Geschlechtsakte noch viel Geschichte und Kostüme webte, die zwar da, die aber im Grunde nicht weiter relevant waren. Man wartet nur auf das eine.

Dass man in »Fourth Wing – Flammengeküsst« lange aufs erste Mal warten muss (Slow Burn) erhöht die Spannung. Yarros ist eine Meisterin der expliziten Sexszene mit gekonnt eingesetzten phantastischen Elementen – und süßen Drachen.

Für einen Bestseller reicht’s.

Wolfgang Tischer

Die Rezension als TikTok-Video

@literaturcafe.de

Fourth Wing – Die Rezension. Warum ist dieses Buch ein Bestseller? Ihr musstet lange warten, aber hier kommt endlich meine Rezension zu Rebecca Yarros und die Antwort auf die Frage, warum dieses Buch ein Bestseller ist. Wie ist eure Meinung? Ich bin gespannt! booktok booktokgermany fourthwingrebeccayarros rezension fourthwingdeutsch fourthwingbook rebeccayarros fantasy bookchallenge booktokdeutschland lesen bücher booktokgermany fourthwingrebeccayarros germanbooktok flammengeküsst fourthwing

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4 Kommentare

  1. Wirklich schöne Rezension. Bitte schreiben Sie auch einen Text darüber, wie ihre Meinung auf TikTok aufgenommen wird. Das kleine Experiment verfolge ich wirklich gerne. Dass man nicht zum Publikum gehört, heißt ja übrigens auch nicht, dass man keine Meinung haben darf. Ich denke an Lessings Diktum, dass man kein Koch sein muss, um eine versalzene Suppe zu erkennen. Die Beobachtung, dass es vor allem der “Spice” ist, der für den Erfolg verantwortlich ist, kann man denke ich auf eine ganze Reihe aktuell erfolgreicher New- und Young-Adult-Titel übertragen. Lyx und co. haben ihre Nische gefunden. Das muss man ja auch nicht gleich moralisch fragwürdig finden (ohne Ihnen damit unterstellen zu wollen, dass die Rezension dies tut, den Eindruck hatte ich nicht.) Wie dem auch sei – ein toller Text, vielen Dank!

  2. Ich habe das Buch mal in einer Bahnhofs-Buchhandlung aufgeklappt und nach dem Lesen einer halben Seite erschrocken wieder zugeklappt. Sogar die Blöd-Zeitung hat einen besseren Stil. EInen winzigen Punkt kann man diesem billigen Yarrowschen Wortpüree mit Bedeutungssoße aber geben: Es hat wenigstens eine äußerst lustige Rezension provoziert.

  3. Zuerst fragte ich mich:
    Weshalb tut Wolfgang Tischler sich das an, wenn er früh feststellt, dass das Talent der Autorin als Grund für ihren Verkaufserfolg ausscheide. Tischlers Qual war demnach vorhersehbar, als er unverdrossen der Frage nachging:

    »Warum also wird »Fourth Wing – Flammengeküsst« von Rebecca Yarros gelesen und geliebt?«

    Die Antworten, die er findet, sind eigentlich unfassbar. Da ich das Buch nicht gelesen habe, will ich vorsichtig von Tischlers Thesen sprechen. Und seine Thesen legen nahe, dass die üblichen Klischees von den »gewaltverliebten« Jungs und den jungen Männern, die »immer nur an das Eine denken« dringend der Ergänzung bedürfen!

    Mädchen und junge Frauen haben offenbar genau die gleichen Vorlieben. Sie leben sie nur etwas anders aus, verwenden Drachen statt Panzer, Feuer statt Messer.

    Aus rein feministischer Perspektive ließe sich das noch als »Empowerment« begreifen und als »weiterer Schritt zur Gleichberechtigung« schönreden. Als Makel bliebe aber die Begeisterung für das Lesen bzw. Hören offensichtlich erbärmlicher Texte, die so gar nicht zum Klischee der Frau als »bessere« Version des Mannes passen will.

    Aber das führt vielleicht schon zu weit weg von der Frage »Was macht den Reiz des Buches aus?«
    Wolfgang Tischlers Antworten darauf führen in eine Parallelwelt, an der alle PISA-Studien abprallen müssen.

    Vielleicht kaufe ich mir das Buch sogar. Meine Idee wäre, während der bevorstehenden langen Sommerabende Freunden daraus vorzulesen und gespannt ihr Erstaunen zu erwarten – darauf hoffend, nicht allzu lange warten zu müssen…, ein echter Freundschafts-Lackmus-Test!

  4. Möchte W. Tischer einen Blick in John Sanfords »Die Menschen vom Himmel« empfehlen, offenbar das Gegenteil von “Fourth Wing” – ein gutes Buch, das niemand liest außer A. Platthaus und ein paar anderen.

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