Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat letzte Woche (4. Juli 2024) die wirtschaftlichen Kennzahlen der Branche für das Jahr 2023 bekannt gegeben. Die wichtigsten Zahlen sollten auch Autorinnen und Autoren kennen, um einen realistischen Blick auf den Buchmarkt zu bekommen.
60.230 neue Bücher pro Jahr
Wenn vor dem Jahr 2020 über die jährliche Buchproduktion berichtet oder geredet wurde, schien man sich in den Medien und auf den Podien mit den Zahlen fast schon überbieten zu wollen. Von 70.000, 80.000 oder gar 90.000 jährlichen Neuerscheinungen war da die Rede, natürlich immer mit der Frage verbunden »Wer soll das alles lesen?« oder »Welche Chancen hat da mein eigenes Buch?«
Tatsächlich, so hat es der Börsenverein in seinem jährlichen Wirtschaftsbericht am 4. Juli 2024 verkündet, wurden im Jahre 2023 »nur« noch 60.230 Erstauflagen produziert, im Jahre 2019 waren es noch rund 10.000 Titel mehr (70.395). Die Frage »Wer soll das alles lesen?« kann man da immer noch stellen, jedoch sind nicht alle Bücher für alle Leser gemacht. Niemand muss sie lesen. Dennoch: Die Verlage gehen weniger Risiken ein, haben ihre Programme verschlankt und konzentrieren ihre (Marketing-)Aktivitäten auf weniger Bücher.
In 10 Jahren 11 Millionen Buchkäufer verloren
Denn die Zahl derer, die für Bücher oder Hörbücher Geld ausgeben, hat weiter abgenommen, seit Jahren eine große Sorge der Buchbranche. Im Jahre 2023 gab es 25 Millionen Buchkäufer, die berühmt-berüchtigte Studie »Buchkäufer – quo vadis« ermittelte zehn Jahre zuvor (2013) noch 36 Millionen Menschen, die Geld für Bücher ausgaben. In einem Zeitraum von 10 Jahren hat der Buchmarkt also 11 Millionen Käufer verloren. Eine erschreckend hohe Zahl, denn natürlich sehen wir im Gegenzug eine Zunahme der mobilen Online-Nutzung (Social Media) und von Streaming-Serien.
Nur 10% Hörbücher werden als CD verkauft
Wenn der Börsenverein von Büchern spricht, so sind Schul- und Fachbücher nicht eingeschlossen, es geht also um Belletristik, Ratgeber, Sachbücher in gedruckter Form, als E-Book und als Hörbuch.
Letztere werden – wenn wundert’s? – nur noch zu knapp 10% auf CD erworben, sondern überwiegend per Download (48,8%) oder Stream (41,4%) konsumiert.
Umsatzsteigerung trotz Käuferrückgang
Weniger neue Titel und weniger Buchkäufer, das lässt Schlimmes für den Umsatz erwarten. Doch hier ging der Trend weiter nach oben. Bei 9,7 Milliarden Euro lag der ermittelte Umsatz im Jahr 2023. Das ist ein Anstieg von +2,8% gegenüber dem Vorjahr, auf das Jahr 2019 bezogen sogar um +4,5%. Natürlich ist Umsatz nicht Gewinn, zu dem leider keine Zahlen vorliegen. Und auch die Frage muss gestellt werden, welche Rolle beim Anstieg die höheren Buchpreise spielen. Auch hierzu wurden Zahlen vorgelegt: So gab es 2023 ein Absatzminus von 1,9% bei einem Preisanstieg von 4,9%, was zur erwähnten Umsatzentwicklung von +2,8% führte.
Immer weniger Menschen geben also immer mehr Geld für Bücher aus. Treibende Kraft bzw. die Warengruppen mit dem größten Anstieg sind hier Belletristik mit 35,5% Anteil und 7,7% Steigerung gegenüber dem Vorjahr 2022 und Kinder- und Jugendbuch mit einem Anteil von 18,3% und einer Steigerung von 2,5%. Gleichzeitig sank z. B. der Anteil der Warengruppe »Naturwissenschaft, Medizin, Informatik und Technik« um 7%.
Junge Buchkäufer, New Adult und TikTok
Als Grund für die positive Entwicklung der Warengruppen Belletristik und Kinder- und Jugendbuch gibt der Börsenverein den Boom von New-Adult- und Young-Adult-Büchern an, für die sich insbesondere junge Leserinnen begeistern. Ein Trend der speziell durch TikTok getrieben ist, was die Frage aufwirft, wie sehr der deutsche Buchhandel von diesem chinesischstämmigen Netzwerk abhängig ist. Der TikTok-Bestseller-Aufkleber wird mittlerweile sogar vom kommerziellen Arm des Börsenvereins (MVB) vermarktet.
In der Altersgruppe 16 bis 19 Jahre stiegen die Ausgaben »von und für Kinder« (Formulierung des Börsenvereins) um 77% auf 160 Millionen Euro. In der Gesamtheit aller bis 19 Jahre sind es 32% (793 Millionen).
Wir haben beim Börsenverein nachgefragt, wie groß der Anteil von New und Young Adult in den Warengruppen Belletristik und Kinder- und Jugendbuch ist, doch gibt es hierzu leider keine Zahl. Man stützt die Einschätzung auf die Studie »Bock auf Buch«.
Wir haben daher beim Zahlen- und Ranking-Spezialisten Media Control nachgefragt. Auch dort nennt man nicht die konkrete Zahl, allerdings weist das Segment Young Adult von Januar bis Mai 2024 eine Steigerung von 25,5% im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres auf. Im Bereich New Adult beträgt die Zunahme im genannten Vergleichszeitraum sage und schreibe 243,7%!
Was es für den Umsatz bedeutet, wenn der TikTok- und New-Adult-Hype irgendwann nachlassen sollte, mag man sich besser gar nicht vorstellen.
E-Book-Anteil stabil und ohne große Steigerung
Was den E-Book-Anteil am Gesamtumsatz angeht, so bezeichnet ihn der Börsenverein als »stabil«, jedoch sind die Steigerungen hier alles andere als rasant. Der E-Book-Anteil am Gesamtumsatz liegt bei 6,1%, in den vier Jahren zuvor stieg der Anteil jeweils nur um 0,1 Prozentpunkt. Lediglich von 2019 auf 2020 machte der Anteil Lockdown-bedingt einen Sprung von 5,0 auf 5,8%.
Der gemittelte Wert ohne Schul- und Sachbücher sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der E-Book-Anteil in der Belletristik um ein Vielfaches höher liegt.
Interessant auch hier, dass mit nur 3 Millionen E-Book-Käufern diese Zahl so tief ist wie nie zuvor. Selbst 2014 waren es noch 3,9 Millionen Menschen, die E-Books kauften.
25% des Umsatzes online
Als letztes lohnt sich noch ein Blick auf die Vertriebswege des Jahres 2023. 41,8% des Umsatzes wurden über den Sortimentsbuchhandel erzielt (hierzu zählen Einzelbuchhandlungen und Ketten), über das Internet liefen 24,8% des Umsatzes. Aus anderen Zahlenquellen geht hervor, dass der Amazon-Anteil am allgemeinen Online-Handel (nicht nur Bücher) bei 60% liegt. Der Börsenverein wiederum geht davon aus, dass rund die Hälfte des Online-Umsatzes mit Büchern auf die Shops der stationären Buchhandlungen entfallen.
Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins, fasst die Zahlen anlässlich der Pressekonferenz so zusammen: »Bücher sind nach wie vor relevant und gefragt – als Kompass in einer komplexen Welt, Grundlage für die eigene Meinungsbildung und als kreative Freizeitbeschäftigung. Während bislang eher die ältere Zielgruppe als die sichere Bank des Buchmarkts galt, beflügelten aktuell die jungen Leser*innen das Buchgeschäft.«
Nachtrag: Auch englische Bücher unter den Umsätzen
Es kam die Frage, ob sich die Umsatz-Angaben nur auf deutschsprachige Titel beziehen oder auch auf die Ausgaben in der Originalsprache, die gerade im Segment New Adult sehr gefragt sind. Die nicht-deutschsprachigen Bücher sind in den Umsätzen jeweils mit enthalten
Mitschnitt der Pressekonferenz des Börsenvereins des deutschen Buchhandels vom 04.07.2024
Link ins Web:
Auch größere Buchläden und Ketten haben im Jahr 2023 keine 60000 Neuerscheinungen im Angebot gehabt. Jede Wette das der größte Teil dieser 60000 Neuerscheinungen nie in irgend einem Angebot irgend eines Buchladens gelandet ist.