Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören. Demnach sollte Thomas Gottschalk nach seiner Literatursendung vom 10. Dezember 2019 mit dem Lesen aufhören. Doch das Aus nach nur vier Ausgaben hatte er schon vor der Aufzeichnung verkündet. Jedoch hätte man dem Moderator vor der Sendung einen anderen Rat geben sollen.
In der vierten und letzten Ausgabe von »Gottschalk liest?« aus Kolbermoor war alles wie gehabt: Vor Publikum begrüßte Thomas Gottschalk auf der Bühne einer mittelgroßen Halle drei Menschen, die Bücher geschrieben haben. Nach Einzelgesprächen gibt es dann abschließend eine integrative Fragerunde.
In der ersten Ausgabe der Sendung war Gottschalk noch allzu abschreckend onkelhaftig, und die Gäste ließen ihn auflaufen. In der zweiten Ausgabe begann es besser, Gottschalk schraubte das Onkelhafte zurück und fast alle Gäste waren ihm gewogen. In der dritten Ausgabe dann schien man zu sehr einem geschlossenen Kreis zuzuhören.
Die vierte Ausgabe schuf fast die perfekte Balance. Gerhard Polt war da, obwohl er kein aktuelles Buch vorzuweisen hat. Doch es war ihm ein Anliegen, den etwas vergessenen Schriftsteller Oskar Maria Graf zu würdigen und zu empfehlen. Ansonsten war Polt ganz Polt, wie er es immer ist, wenn er auf der Bühne keine Figur verkörpert: ruhig und eher schweigsam, zurückhaltend und verschmitzt. Gottschalk ließ ihm die oft einsilbigen Pointen.
Jackie Thomae überzeugte mit Eloquenz und Natürlichkeit und freute sich, dass Gottschalk zunächst eine komische Passage des Buches ansprach und für »Brüder« nicht gleich die Schubladen »DDR-Vergangenheit« und »Rassismus« aufmachte, in denen es von anderen primär so oft einsortiert wird. Selbst das Thema Rassismus behandelte Gottschalk erstaunlich gut und ohne peinliche Kalauer.
Das dritte Buch des Abends »Kühn hat Hunger« hätte mit seiner Mann-Frau-Thematik und dem darin vom Autor Jan Weiler eingebunden Pseudo-Ratgeber für den echten Mann »Weck die Bestie, Du Sau!« von Ferdie Caparacq wahrlich eine Steilvorlage für Gottschalks peinliche Sprüche geben können. Doch auch hier blieben sie aus. Stattdessen zeigte Gottschalk mit seinen Fragen interessante Parallelen und Unterschiede zwischen den Büchern auf.
Keiner drängte sich an diesem Abend in den Vordergrund, selbst Gottschalk nicht. Freilich wurde da auf der Bühne nichts Weltbewegendes behandelt, und dennoch waren es angenehme Gespräche über Bücher und das Schreiben.
Einen Rat und eine Aufgabe sollte man Gottschalk jedoch für zukünftige Moderationen geben: Er sollte nicht dauernd auf sein Alter anspielen, als sei er bereits knapp vor 100. Der Mann ist 69 und gibt sich dennoch allzu oft so, als spräche da ein über 80-Jähriger im Rollstuhl zu seinen Enkeln. Wie wird das erst, wenn der Mann tatsächlich 80 ist? Da nützt auch der sarkastisch-ironische Unterton nichts. Die peinlichen Gags waren die am Beginn der Sendung über das eigene scheinbar biblische Alter. Selbst Jackie Thomae war leicht irritiert, als Gottschalk sie als »sehr junge Autorin« bezeichnete. Sie bedankte sich fürs »jung sein« und merkte an, dass sie Jahrgang 1972 sei.
Am Ende verabschiedete sich Gottschalk ganz normal. Kein Wort darüber, dass es seine letzte Literatursendung war, obwohl dies bei der Aufzeichnung in der vergangenen Woche bereits bekannt war. Aber es war ja nicht der letzte TV-Auftritt Gottschalks. Aufhören wird er noch nicht.
Wolfgang Tischer
Link ins Web: