StartseiteBuchkritiken und TippsDruckfrisch ohne mit T. C. Boyle – Wir schauen in »Das Licht«

Druckfrisch ohne mit T. C. Boyle – Wir schauen in »Das Licht«

Das Entsetzen ins Gesicht geschrieben: T. C. Boyle beschwert sich in einem Handy-Video in der ARD-Sendung Druckfrisch, dass Denis Scheck sich nicht mit ihm unterhalten hat. (Screenshot: Druckfrisch/ARD)
Das Entsetzen ins Gesicht geschrieben: T. C. Boyle beschwert sich in einem Handy-Video in der ARD-Sendung Druckfrisch, dass Denis Scheck sich nicht mit ihm unterhalten hat. (Screenshot: Druckfrisch/ARD)

T. C. Boyle hat einen neuen Roman veröffentlicht – und Denis Scheck ist nicht in die USA gereist, um sich für seine ARD-Literatursendung »Druckfrisch« mit dem Autor zu unterhalten. Was war los? Selbst T. C. Boyle beschwert sich darüber – am Ende von »Druckfrisch«. Daher folgt im literaturcafe.de ein Blick auf (oder in?) »Das Licht«.

Natürlich konnte man erwarten, dass sich Literaturkritiker Denis Scheck mit T. C. Boyle über dessen Roman unterhält. Schließlich war Boyle in der vergangenen Woche in Deutschland und präsentierte seinen Roman »Das Licht«, der in der Übertragung von Dirk van Gunsteren bereits hierzulande zwei Monate vor dem amerikanischen Original erschienen ist. Unter dem Titel »Outside Looking In« erscheint der Roman erst Anfang April auf Englisch. Boyle hat eine starke deutsche Fangemeinde, und der Deal mit dem Hanser Verlag sorgt dafür, dass diese nicht gleich das Original kauft. Es hat funktioniert: Mit »Das Licht« hat T. C. Boyle erstmals innerhalb kürzester Zeit den ersten Platz der SPIEGEL-Bestsellerliste erobert. Doch nicht mal da konnte Denis Scheck seinen Kumpel Tom Coraghessan loben, denn diesmal waren in der Sendung turnusgemäß die Kommentare zu den Sachbuch-Bestseller dran.

Als Boyle nicht in der Pressemitteilung des NDR auftauchte, twitterte ich

und spielte natürlich auf einen älteren Beitrag im literaturcafe.de an, der die Frage stellte, warum in der Sendung immer Boyle auftritt, was Denis Scheck in der Sendung darauf ironisch konterte – mit T. C. Boyle im Bild.

Nach dem Tweet kam ein kryptischer Antwort-Tweet von Andreas Ammer, dem Regisseur von Druckfrisch

Tatsächlich: Als Running-Gag beschwert sich T. C. Boyle in einem kurzen Handy-Video am Ende der Sendung vom 17.02.2019, dass Scheck offenbar lieber irgendwo in den Tropen herumlaufe, wo er, Boyle, doch derzeit seinen treuen deutschen Lesern sein Buch vorstelle. So gehe das ja nun nicht! »This will not stand, Sir.«

Da also Denis Scheck diesmal nicht mit Boyle über dessen Buch gesprochen hat, sei es im literaturcafe.de besprochen.

T. C. Boyle: »Das Licht« – Die Buchkritik

Boyle greift in »Das Licht« erneut eine reale Person und ihre Geschichte auf. Diesmal ist es der amerikanische Wissenschaftler Timothy Leary (1920–1996), der in den 1960er-Jahren mit LSD und anderen sogenannten »bewusstseinserweiternden« Drogen forschte oder vielmehr: experimentierte. Paradoxerweise war LSD damals in den USA noch nicht verboten, während der Besitz von Marihuana sehr wohl strafbar war.

LSD – in der Langfassung Lysergsäurediethylamid – ist eine chemisch hergestellte Droge. Sie wurde 1943 von dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt. Oder muss man sagen »erfunden«? Hofmann bemerkte die Wirkung der Droge eher irrtümlich, als er bei seinen Experimenten unfreiwillig mit dem Stoff in Kontakt kam.

Boyle erzählt von diesem Selbstexperiment Hofmanns in einem Prolog vor der Haupthandlung des Romans. Es irritiert, dass Übersetzer Dirk van Gunsteren in dieser in der Schweiz spielenden Passage das Wort »Sandwich« nicht zu einem Butterbrot gemacht hat. Normalerweise wird bei van Gunsteren auch ein Fast-Food-Restaurant zu einem Schnellimbiss.

Nach der Schweiz-Einführung befinden wir uns rund 20 Jahre später in den USA an der Harward-Universität. Boyle beschreibt, wie Timothy Leary dort mit seinen Drogen-Experimenten beginnt. Leary gibt vor, alles im Dienste der Wissenschaft zu tun, und verteilt daher Fragebögen an seine Probanden, die nach Einnahme der Droge genau beschreiben müssen, wie ihr Trip verlief. Doch schon bald ist nicht mehr so ganz klar, ob Learys samstägliche Drogenabende tatsächlich der Wissenschaft dienen oder eher dem Vergnügen des »Inneren Kreises«, einer Gruppe von Studenten und Kollegen, die Leary um sich schart. Jener Kreis um den charismatischen Timothy Leary gleicht immer mehr einer Sekte. Nachdem sich andere Professoren der Uni gegen ihn wenden, wird Leary entlassen. Er reist mit seinen Anhängern schließlich nach Mexiko in ein abgelegenes Hotel, und dort befindet sich die Gesellschaft dann mehr oder weniger in einem dauerhaften Drogenrausch. Bis schließlich die mexikanische Polizei auftaucht.

T. C. Boyle erzählt diese prägende Episode aus dem Leben Learys aus der Sicht einer seiner Doktoranden, Fitzhugh »Fitz« Loney, und dessen Frau Joanie. Tatsächlich wechselt Boyle im Laufe der Geschichte die Erzählperspektive.

Boyle, der die Gedanken, Erwägungen und Bedenken seiner Charaktere ansonsten überaus detailliert beschreibt, scheinen just bei der Beschreibung der Drogenräusche die sprachlichen Mittel auszugehen. Doch beim weiteren Lesen stellt man fest, dass dies eher eine bewusste Entscheidung des Autors ist. Was Fitz im Drogenrausch erlebt hat, bekommen er und der Leser oft erst im Nachhinein von Dritten erzählt, was wiederum die Fantasie der Leserin oder des Lesern weitaus mehr beschäftigt.

Wir meinen, beim Lesen sehr nah an den Charakteren dran zu sein, bekommen ihr erstes Zögern beim ersten Drogenabend sehr gut mit und bemerken selbst erst so nebenbei, dass eine Sucht entsteht, die immer mehr zum Verfall von Geist und Lebensstruktur führt.

Dass Drogen keine Lösung sind, ist ein abgenudelter Spruch. Doch genau das zeigt uns T. C. Boyle in »Das Licht«, jedoch weitaus subtiler und lesenswerter.

Wolfgang Tischer

T.C. Boyle; Dirk van Gunsteren (Übersetzung): Das Licht: Roman. Gebundene Ausgabe. 2019. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446261648. 24,70 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
T.C. Boyle; Dirk Gunsteren (Übersetzung): Das Licht: Roman. Kindle Ausgabe. 2019. Hanser, Carl GmbH + Co. 12,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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4 Kommentare

  1. Herr Tischer,

    ich habe Ihre Rezension zu DL mit Interesse gelesen. Da Sie ja nun mit DL Ihr erstes TCB über die ersten zwanzig Seiten hinweg geschafft baben, ist es interessant zu hören wie genau Sie das Buch gelesen haben, und wie Sie über das Sandwich gegrübelt haben. Da Sie es mögen so genau zu lesen, erlauben Sie mir darauf hinzuweisen, dass Sie von einem ‘Prolog’ in DL schreiben, dabei handelt es sich ja eigentlich um ein ‘Vorspiel’ (DL: S. 9)/’Prelude’ in OLJ).

    Danke, dass Sie keine Spoiler zur zweiten Hälfte von DL in Ihren Bericht gepackt haben, da ich diese zweite Hälfte noch nicht gelesen habe.

    Gruss an Sie vom
    FNO von Mr. Boyle

    • Hallo! Ich bin immer auf der Suche nach guten Prologen in zeitgenössischen Werken, um Seminarteilnehmern zu zeigen, was ein echter Prolog ist und was er leisten kann. Gerade in Thrillern oder Fantasy-Romanen wird das Wort “Prolog” inflationär verwendet – und in den meisten Fällen falsch. Dort ist das, was Prolog heißt, oft nur eine Art Teaser, eine Art Vorschau auf das, was im Text noch kommt. Tatsächlich ist aber ein Prolog entweder ein Wort an Leserin und Leser oder aber ein Text, der aus einer völlig anderen Perspektive nochmals einen Blick auf das wirft, was da kommt. Klassisches Beispiel, das immer wieder genannt wird, ist natürlich der “Prolog im Himmel” beim Faust. Der hat ja sogar zwei Prologe, die das Thema aus einer anderen Perspektive beleuchten. T. C. Boyles “Vorspiel” ist ein sehr gutes Beispiel, wie ein Prolog aussehen kann und was ein Prolog leisten kann. Hier steht die berühmte Fahrrad-Legende über die Entdeckung der Wirkung von LSD erzählerisch nicht in einem direkten Zusammenhang zur späteren Hauptgeschichte, tatsächlich bringt sie aber noch einen anderen Blick auf die Droge, und der Leser erfährt auf diese elegante Weise etwas zur Entstehung der Droge. Das ist von Boyle erzählerisch sehr gut und unaufdringlich gelöst. Das Boyle den Prolog nicht als solchen bezeichnet, sondern als “Vorspiel”, ist ja vielleicht sogar eine Referenz an Goethe, bei dem der zweite Prolog auch “Vorspiel” heißt (“Vorspiel auf dem Theater”). Aber das mag jetzt schon überinterpretiert sein.
      Zum Thema “Spoiler”: Sehr heikel! Ich mag es gar nicht, wenn eine Buchbesprechung zu 90% aus der Nacherzählung der Handlunge besteht. Selbst Klappentexte verraten mir oft zu viel. Ich habe versucht, den groben Inhalt aus einer sehr nüchternen Perspektive zu skizzieren und eher einen Cliffhänger zu setzen, der fürs eigentlich Erzählte nicht elementar wichtig ist (und sich bereits in der ersten Hälfte des Buches befindet). Es ist bei diesem Buch extrem schwer, nichts zum Inhalt zu sagen, da hier eben verdammt viel passiert bzw. man vieles an konkreten Beispielen zeigen müsste. Ich habe anschließend andere Besprechungen gelesen, in denen haarklein und teilweise mit Zitaten inhaltliche Wendungen gespoilert wurden und genau berichtet wird, wo die Romanhandlung anfängt und endet. Das geht gar nicht! Andere packen in eine Rezension ihr gesamtes Wissen (oder das was sie recherchiert haben) zu Timothy Leary, was auch nerven kann. Aber das ist eben bei diesem Roman auch nicht einfach. Die Hauptaussage ist eigentlich kurz: “Das Licht” ist lesenswert!
      Wolfgang Tischer

  2. Herr Tischer,
    Ihr Kommentar betreff Prolog/Prelude/Vorspiel in “Das Licht” gefällt mir sehr gut. Ich hatte ja zuerst nur die Übersetzung in den Händen und fragte mich dann, wie es wohl im Original stehen würde. Ich glaubte, Mr. Boyle in Interviews gehört oder gelesen zu haben, dass die Hofmann Story unter dem Titel “Bicycle Day” der eigentlichen Geschichte voranstehe. So wunderte ich mich ob “Bicycle Day”, wohl der Übersetzung zum Opfer gefallen wäre, und “Vorspiel” vielleicht als Titel eines Prologs oder als Übersetzung für “Prelude” stehe. Zweites ist ja dann zutreffend, wie ich in der ARC Ausgabe von OLI gesehen habe.

    Ich mag auch Ihre Meinung sehr zu Spoilern in Rezensionen oder Klappentexte. Wenn ich ein Buch lese, das ich eh lesen werde, vermeide ich alle Rezensionen und Klappentexte, da sie für meinen Geschmack allzu oft zu viel von der Handlung preisgeben. Ich mein so wie wenn man mir im Kino im Vorspann zum nächsten Film die besten Szenen und Witze zeigt.

    Ich wollte Sie dann noch fragen, ob ich Ihren Kommentar vielleich im message board von Mr. Boyle verlinken, oder gar dorthin kopieren darf und versuchen zu übersetzen. Natürlich mit Angabe Ihres Namen als Autor.

    schönen Gruss an Sie.

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