StartseiteLiterarisches LebenDramatische Entwicklung: Was bedeutet die Insolvenz von KNV für Leserinnen und Leser?

Dramatische Entwicklung: Was bedeutet die Insolvenz von KNV für Leserinnen und Leser?

Sitz der KNV-Gruppe in Stuttgart (Foto: Wikipedia/Leon Wallis/CC BY-SA 4.0)
Sitz der KNV-Gruppe in Stuttgart (Foto: Wikipedia/Leon Wallis/CC BY-SA 4.0)

Als wäre der Buchhandel nicht schon genug gebeutelt, kommt heute (14.02.2019) eine fast unglaubliche Meldung: Die KNV-Gruppe ist insolvent. Dem Buchkäufer mag das Unternehmen gänzlich unbekannt sein, obwohl es für die Branche überaus wichtig ist. Was bedeutet die Insolvenz für Leserinnen und Leser?

Ein Unternehmen von existenzieller Bedeutung

Die Nachricht war für viele ein Schock, obwohl sie nicht ganz überraschend kam. Doch dass ein so großes und für Buchhandlungen und Verlage wichtiges Unternehmen heute Insolvenz angemeldet hat, klingt unglaublich. Für die Infrastruktur des Buchhandels ist das Unternehmen von existenzieller Bedeutung.

Das Unternehmen KNV mit Sitz in Stuttgart-Vaihingen gliedert sich hauptsächlich in zwei Bereiche: Das ist zum einen das so genannte »Barsortiment«. KNV agiert hier als Großhändler im Buchhandel. Das Unternehmen kauft von den Verlagen Bücher zum Großhandelspreis und verkauft sie auf eigene Rechnung an die Buchhandlungen. Das KNV-Barsortiment ist das Unternehmen, das dafür sorgt, dass der Buchhändler im Computer nachschauen und sagen kann: »Bis morgen kann ich Ihnen das Buch besorgen.« Mit einer eigenen Infrastruktur, den sogenannten Bücherwagen, beliefert das Unternehmen nach eigenen Aussagen über 5.600 Buchhandlungen über Nacht. Neben KNV gibt es nur zwei weitere relevante Konkurrenten im deutschsprachigen Bereich: die Firmen Libri und Umbreit.

Der zweite Unternehmensbereich von KNV ist die Verlagsauslieferung. Als Dienstleister übernimmt die KNV-Gruppe Lagerhaltung, Auslieferung und Rechnungserstellung für über 250 kleinere und größere Verlage wie beispielsweise Suhrkamp, Piper oder dtv.

KNV ist mit seinen über 1.800 Mitarbeitern für die Versorgung der Buchhandlungen ein existenziell wichtiges Unternehmen, sowohl als schnell liefernder Großhändler als auch als Auslieferer für Verlage. Würde KNV vom Markt verschwinden, hätten die Konkurrenten Libri und Umbreit gar nicht die Kapazitäten, den Ausfall zu kompensieren. Gerade kleinere Buchhandlungen beziehen ihre Bücher oftmals nur von einem Großhändler. Diejenigen, die sich für KNV entschieden haben, sind nun verunsichert. Wird das Unternehmen überleben? Sollte man nicht besser zu einem anderen Barsortiment wechseln, bevor man plötzlich über Nacht keine Bücher mehr für die Kunden besorgen kann? Einige Buchhandlungen setzen zudem ein Warenwirtschaftssystem ein, das KNV als IT-Dienstleister vertreibt. Umgekehrt haben laut Branchenberichten sofort einige Verlage einen Lieferstopp ans Barsortiment verhängt, da man sich in dieser Lage nicht sicher sein kann, ob KNV die Bücher noch bezahlen wird.

Verhandlungen mit einem Investor sind gescheitert

Noch gibt es keinen Insolvenzverwalter [Nachtrag: Am 15.02.2019 wurde Tobias Wahl zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt]. Und wie bei Insolvenzen üblich, beteuert man seitens des Unternehmens, dass dies nicht das Ende von KNV bedeuten müsse. Verhandlungen mit einem nicht näher genannten Investor seien gescheitert, die Insolvenz daher unvermeidlich gewesen.

KNV ist der Hauptlieferant der Mayerschen Buchhandlung, die unlängst von der größeren Buchhandelskette Thalia übernommen wurde. Daher wurde spekuliert, ob der Investor nicht Thalia gewesen sei. Die beiden Buchhandelsketten Thalia und Osiander liefern sich derzeit ein Rennen bei der Übernahme von ehemals eigenständigen Buchhandlungen. Mit dem Einstieg in ein Barsortiment hätte Thalia noch mehr Einfluss auf die Einkaufspreise – vorausgesetzt das Kartellamt würde mitspielen, das derzeit ohnehin die Übernahme der Mayerschen überprüft.

Insolvenz maßgeblich selbst verschuldet

Würde sich KNV nicht über die Insolvenz retten, so hätte dies ungeahnte Auswirkungen auf die Macht- und Lieferverhältnisse im Buchhandel.

Doch wie konnte es dazu kommen, dass ein solch starkes Unternehmen wie KNV zum Insolvenzfall wurde?

Der Niedergang von KNV liegt diesmal nicht an der allgemeinen Krise im Buchhandel oder dem wachsenden Online-Handel. KNV hat die Insolvenz maßgeblich selbst verschuldet.

Bis in die 1990er-Jahre war das Barsortiment mit Sitz in Stuttgart bei den Buchhändlern als »der Knö« bekannt, als »Koch, Neff & Oetinger«. Heute trägt die Verlagsauslieferung der Firmengruppe noch den Namen KNO (früher KNO VA). 2004 fusionierte man mit dem ebenfalls zur Gruppe gehörenden Barsortiment »Koehler & Volckmar« (KV) in Köln und benannte sich in KNV um (Koch, Neff & Volckmar).

Im Grunde ist KNV ein Familienunternehmen. Mit Oliver Voerster sitzt bis heute ein Nachkomme des 1849 von Carl Voerster in Leipzig gegründeten Barsortiments in der Geschäftsführung. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte sich das Unternehmen in Stuttgart an.

Schritt in die Zukunft wurde zum Desaster

Da der Platz im Industriegebiet Stuttgart-Vaihingen beschränkt war und um der wachsenden Konkurrenz im On- und Offline-Handel Paroli zu bieten, verkündete man im Jahre 2011, dass man an einem zentralen deutschen Standort ein neues, großes Auslieferungslager bauen wolle. Die Wahl fiel – nicht zuletzt durch eine 22-Millionen-Euro-Förderung durch das Land Thüringen – auf Erfurt.

Doch was ein Schritt in die Zukunft werden sollte, wurde zum Desaster. Der Bau benötigte etwas länger als geplant und als das neue Lager im Oktober 2014 den Betrieb aufnahm, schien die IT der Sache nicht gewachsen, und viele Sendungen konnten das Lager nicht rechtzeitig verlassen. Im wichtigen Weihnachtsgeschäft kämpfte das Logistikunternehmen mit der eigenen Logistik. Um die Buchhandlungen einigermaßen reibungslos beliefern zu können, wurde in Stuttgart bis ins Jahr 2016 ein teurer Doppelbetrieb aufrecht erhalten. Dennoch wendeten sich sowohl einige Buchhandlungen als auch Verlage von KNV ab und wechselten zur Konkurrenz. Die beiden Geschäftsführer Oliver Voerster und Frank Thurmann entschuldigten sich 2015 für die Probleme. Das Kommen und Gehen im oberen und mittleren Management des Unternehmens nahm zu. 2017 verließ der für die IT zuständige Frank Thurmann aus »familiären Gründen« das Unternehmen. Thurmann ist der Cousin von Oliver Voerster.

Bis heute leidet das Unternehmen am holprigen Umzug, obwohl man ständig Besserung gelobte. 2017 erhob zudem das ZDF in einem Beitrag schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen, die denen gegen Amazon nicht unähnlich waren: KNV verhindere in Erfurt einen Betriebsrat und mute den Mitarbeitern unvertretbare Arbeitszeiten zu.

Es ist derzeit völlig offen, wie es mit dem Unternehmen weitergeht. Die Buchhandelsbranche mit ihren speziellen Gegebenheiten verlangt nach einem Insolvenzverwalter, der hier überaus umsichtig agiert. Aufgrund der nicht gerade großen Konkurrenz und der im stationären Buchhandel enorm ansteigenden Firmenkonzentration, ist der Einstieg eines Investors keinesfalls einfach. Schon jetzt wäre die Konkurrenz nicht in der Lage, den Wegfall des Unternehmens auszugleichen. Tausende von zumeist kleineren Buchhandlungen wären von einer funktionierenden Buchversorgung abgeschnitten – und so auch deren Kunden. Für kleinere Verlage, für die die Listung im Barsortimentskatalog wichtig ist, entfällt ein Vertriebsweg. Ein Niedergang von KNV könnte daher eine verheerende Kettenreaktion in der ohnehin kriselnden Buch- und Verlagsbranche auslösen.

Wolfgang Tischer

Der Autor dieses Beitrags war von 1992 bis 1997 als IT-Anwendungsberater für den Buchhandel für das Barsortiment KNO tätig.

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11 Kommentare

  1. die Managementfehler sind die eine Seite, die andere , beutendere sind Amazon und Co.
    Leider werden es die Menschen die Folgen ihres Einkaufsverhaltens erst dann spüren werden wenn es keine Geschäfte mehr gibt. und dann werden viel Krokodilstränen vergossen werden.

    • Von 100 Büchern die online bestellt werden, liefert Amazon 90 aus. Der klägliche Rest von 10 verteilt sich auf sämtliche anderen Bezugswege, wie z.B. auf ca. 3.000 Buchhandlungen. Es gibt also genügend Kokurrenten für Amazon. Jedoch werden sie von den Kunden schlichtweg ignoriert. Ich bin selbst Inhaber einer Buchhandlung und betreibe zusätzlich einen Paketshop. Täglich holen Paketshop-Kunden Ihre Buchbestellungen von Amazon bei mir ab, die sie in meine Buchhandlung bzw. den Paketshop liefern lassen. Das ist wirklich Realität! Ich versuche diesen Kunden dann zu vermitteln, dass Bücher überall dasselbe kosten und meine Buchhandlung ebenso einen Onlineshop betreibt der Bücher sogar über Nacht liefern kann. Dabei erhalte ich bei 10 Menschen mindestens von 9 die Antwort: “sie würden eben bei Amazon bestellen, weil es schnell geht und bequem sei”. ACHSO!
      Es liegt also nur am Kundenverhalten! Selbst wenn man die Vorteile der eigenen Buchhandlung vorher noch elendig lang und breit erklärt hat und den Kunden einen Werbeflyer in die Hand drückt auf dem nochmal alles über die Bestell-Möglichkeit über den Onlineshop der Buchhandlung aufgezeigt wird: der überwiegende Großteil versteht es trotzdem nicht! Ein Teil meint sogar, mich dann bei der nächsten Bestellung zu berücksichtigen, holt dann aber wieder das Amazon-Paket bei mir ab. Antwort dann: “habe ich ganz vergessen”. Ich frage mich dann wirklich, was diese Masse mit einem Buch möchte und ob sie den Inhalt überhaupt versteht!? Die Realität wird sein, dass die Welt in absehbarer Zeit in vielen Bereichen nur noch aus Amazon besteht. Die Menschen sind selber daran schuld.

      • Man muss diese Zahlen relativieren (So sie überhaupt stimmen. Quelle?). Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels lag 2017 der Anteil des Online-Handels am Gesamtumsatz mit Büchern bei 18,8%. Dass der Amazon-Anteil daran bei 90% liegen soll, ist Unsinn. Nicht in jedem Amazon-Paket steckt ein Buch! Der Börsenverein schätzt den Anteil von Amazon am Online-Buchumsatz zwischen 50 und 70%. Demnach würden in Deutschland 9 bis 12 % des Buchumsatzes auf Amazon entfallen. Es gibt in Deutschland laut Börsenverein rund 6.000 Buchhandlungen (inkl. Filialen und Verkaufsstellen). Zur Quelle der Zahlen (WT)

    • Im Grunde ist das insolvente Unternehmen ein idealer Übernahmekandidat für Amazon. Billiger kommt man wohl kaum an ein funktionierendes Logistikunternehmen, darüber hinaus mit dem Barsortiment einen Buchhändler mit Höchstrabatten.

  2. Wegen der IT zwei Lager halten müssen? Die haben wohl Microsoft Software genutzt. Wenn man das Zeug, das man braucht, nicht selbst bauen kann, dann sollte man keine Millionen in den Bau von irgendwas stecken, um das sich dann irgend ein Dritter kümmern muss , denn schließlich kann es sein, das man keinen findet, der sich drum kümmert.

  3. Ich weiß nicht, ob sich Thalia selbst damit einen Gefallen getan hat – kurzfristig ja, aber Thalia ist ein Anbieter im lokalen Buchmarkt – nicht überall vertreten – > Und wenn der lokale, im einzelnen sicher unbedeutende Buchhändler (die aber in der Fläche noch wichtig sind) als Versorger für mich schlecht liefern, dann werde ich noch mehr Internet nutzen – killt die lokalen Buchhändler und am Ende bleibt das A –
    Leider herrschT in den Vorstandsetagen kurzfristige Denke, abgrasen in 5 Jahren – dann woanders Iinvestieren- was zurückbleibt ist Wüste – Wirtschafts- und Kulturraum Europa ade – mit Fördermitteln werden die Invests gefördert- aber mit weit verbreitetem Niedriglohn und langer Arbeitszeit fehlen den Unternehmen doch am Ende die eigenen Kunden!

  4. Wenn die Konsequenz der Insolvenz die wäre, dass ich bei unserem örtlichen Buchhändler (3000-Seelen-Gemeinde) nichts mehr bestellen könnte, dann hätte ich – ebenso wie viele andere im Ort – ein ziemlich großes Problem. Die üblichen unsinnigen Krimis, Fantasys und anderes Spiegel-Hitlisten-Zeugs liegen schon in jedem Bahnhofskiosk aus. Gerade aber die Kurzfristigkeit der Auslieferung einer Bestellung (egal ob Sachbuch oder Belletristik) – nach einer Rezension in der Tageszeitung resp. im Fernsehen, Hinweis eines Bekannten, u.a. – hält ‘unseren’ (!) Buchladen am Leben. Warum soll ich in der nächsten Stadt der Mayerschen oder Thalia das Geld in den Rachen werfen? Nur von Schulheften und Kinderbilderbüchern kann kein Buchladen leben.

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