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Das Literarische Quartett: Kein Wort über Frisuren

Reden wir nicht über Frisuren, sondern über Buchkritik (Foto: ZDF)
Sasha Marianna Salzmann war Gast im Quartett (Foto: ZDF)

Nach dieser Ausgabe des Literarischen Quartetts im ZDF könnten wir eigentlich über Frisuren sprechen. Aber reden wir besser über die Art, wie über Bücher gesprochen wurde.

Natürlich würde man gerne die längeren Haare von Moderator Volker Weidermann erwähnen und wie er sich mit der Hand bisweilen über den Kopf fährt. Und beim Gast Sasha Marianna Salzmann starrt man unweigerlich auf den Kopf und fühlt sich in die 1970er versetzt – oder auf das Sofa von Atze Schröder. Aber ich lasse das mit den Äußerlichkeiten mal lieber. Gibt sonst nur Ärger.

Reden wir über das Reden über Bücher.

Thea Dorn stellt den Titel »Der Widersacher« von Emmanuel Carrère vor. Meine erste Reaktion: Wow, toll, ein neues Buch von Emmanuel Carrère! Es ist zwar schon einige Zeit her, aber das 2001 erschienene Buch »Amok« gehört zu den Büchern der letzten 20 Jahre, die bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Carrère geht darin einer Geschichte nach, wie wir sie von Zeit zu Zeit mit Entsetzen und Gruseln in den Medien hören: Ein Mann bringt seine Familie um. Der Mann war reich, erfolgreich, Arzt und angestellt bei der UNO in Genf. Und dann stellt sich raus, dass das ganze Leben auf Lügen aufgebaut war, und Carrère beschreibt, wie es dazu kommen konnte und warum Freunde und Nachbarn nichts davon ahnten. Ein Roman, der reportageartig daherkommt und in dem der Autor selbst als Figur auftritt. Für das literaturcafe.de hatte ich seinerzeit eine Kritik verfasst.

Und jetzt also ein neues Buch von Emmanuel Carrère. Worum geht? Thea Dorn fasst den Inhalt zusammen. Carrère geht in diesem Buch einer Geschichte nach, wie wir sie von Zeit zu Zeit mit Entsetzen und Gruseln in den Medien hören: Ein Mann bringt seine Familie um. Der Mann war reich, erfolgreich, Arzt und angestellt bei der UNO in Genf.

Äh, Moment – was …?

Tatsächlich ist »Der Widersacher« von 2018 das Buch »Amok« aus dem Jahre 2001. »Amok«, seinerzeit bei S. Fischer erschienen, ist längst vergriffen. 49 Euro will jemand bei Amazon für eine gebrauchte Taschenbuchausgabe haben. Beim Verlag Matthes & Seitz erscheint nun die Gesamtausgabe von Emmanuel Carrère in neuer Übersetzung von Claudia Hamm. »L’Adversaire« lautet der französische Originaltitel – der Widergänger. Auf der Website des Verlages sehe ich, dass es im September 2018 sogar eine Buchvorstellung mit Iris Radisch geben wird. Der Widersacher als literarischer Wiedergänger?

Ich finde das sehr interessant. Ich stelle mir vor, ein deutschsprachiger Autor würde nach 20 Jahren sein Buch überarbeiten und nochmals neu präsentieren. Ich liebe diese Vorstellung. Schließlich gibt es auch bei Filmen nach Jahren einen »Directors Cut« oder eine Neuausgabe im Steelbook-Case. Ausländischen Autoren ist so etwa offenbar gegönnt.

Nur: Warum wird dies mit keinem Wort im Literarischen Quartett erwähnt? Warum wurde das Buch neu übersetzt? Wie hat sich das Werk sprachlich verändert? Oder war das alles nur eine Lizenzfrage? Warum ist das Buch oder der Autor oder die Übersetzung so gut und so stark, dass es sich lohnt, das Buch nach fast 20 Jahren nochmals im Literarischen Quartett zu besprechen? Das scheint mir doch ein sehr wichtiger Aspekt bei der Rezension zu sein.

Stattdessen ergeht man sich im Quartett wieder in Inhalts- und Glaubwürdigkeitsdiskussionen über die Geschichte und speziell über die Figur des Autors, und ich wundere mich, dass so gut wie keine Trennung zwischen Autor und Figur gemacht wird und die Vier darüber sprechen, als sei die Figur des Autors im Roman mit dem Autor identisch. Trotz allem ist »Der Widersacher« ein Roman, »basierend auf wahren Tatsachen« hin oder her.

Und mit dem nächsten Titel geht es gleich weiter: »Sechs Koffer« von Maxim Biller. Es erscheint mir problematisch, im Quartett über das neueste Buch dieses Autors zu sprechen, der einst dem Literarischen Quartett selbst angehörte. Natürlich kann man den Vieren keine gefällige Lobhudelei vorwerfen, da keiner der Vier von den sechs Koffern begeistert ist. Doch selbst die nicht sehr positive Diskussion wirkt merkwürdig und kumpelhaft. Da sitzen sie und reden über den Maxim. So kennt man ihn, so ist er halt, warum soll da sein Buch besser sein? Auch Billers Buch scheint autobiografisch zu sein, doch auch hier werden mir in der ohnehin problematischen Diskussion Autor und Romanfigur zu wenig getrennt. In keiner Weise habe ich den Eindruck, hier eine sachlich und distanzierte Diskussion zu verfolgen, sondern es wirkt ansatzweise so, als reden sie in der Zigarettenpause über einen ehemaligen, geschätzten Kollegen.

Kein Wort also über Frisuren, sondern zur Notwendigkeit, die Kritikkriterien zu schärfen, wichtige Infos nicht auszusparen und die Auswahlkriterien und -regeln der Werke zu überdenken.

Und in der nächsten Ausgabe des Quartetts, die wieder von der Frankfurter Buchmesse gesendet wird, ist – Überraschung! Überraschung« – Denis Scheck zu Gast. Auch hier: Nichts gegen Denis Scheck, doch originell ist auch diese Auswahl aus dem selbstreferenziellen literarischen Kreis der Immergleichen nicht. Aber wahrscheinlich hatte Rainer Moritz keine Zeit.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Die in der Sendung vom 10.08.2018 besprochenen Bücher:

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5 Kommentare

  1. Sie finden das interessant? Sie können sich genau so schlecht darüber aufregen, wie über die lustigen Frisuren, und das Haarteilgefummel. Es ist eine verdammte Schande, das gleiche Buch unter einem anderen Namen zu bringen. Boykottiert den Verlag!

    • @Rouven: Unsinn, den Sie hier schreiben. Wie Wolfgang bereits schrieb, finde ich es durchaus legitim, Bücher in neuer Interpretation und anderer Übersetzung noch einmal heraus zu bringen. Aber, und das ist das Wichtige, bei alldem anderen Gequassel in dieser Sendung, hätte genau diese Tatsache erwähnt werden müssen und, fast noch wichtiger, die Unterschiede beider Werke hätten herausgearbeitet werden müssen. Das wurde komplett versäumt. Übrigens ist “Amok” damals bei S. Fischer (sowohl als HC wie auch im TB) erschienen. Und ich finde, dass man einen Verlag wie Matthes & Seitz unterstützen muss, wo es nur geht; ist ein großartiger Buchverlag – die machen einfach tolle Bücher. Aber boykottieren Sie gern. Ich kaufe dann dafür ein Buch von Matthes & Seitz mehr pro Monat!

    • In der Tat kann der Verlag nichts dafür. Es gibt durchaus gute Gründe, warum ein Werk nochmals neu übersetzt wird. Im Gegenteil: Es ist einem kleinen Verlag wie Matthes & Seitz hoch anzurechnen, dass sie die Bücher von Emmanuel Carrere in einer Gesamtausgabe nochmals herausbringen. Die Fischer-Ausgaben sind ja längst vergriffen. Ich habe die Ausgabe von Matthes & Seitz nicht vorliegen und weiß nicht, ob dort erwähnt wird, dass es sich um eine Neuübersetzung handelt. Es ist und bleibt das schwerwiegende Versäumnis des Literarischen Qurtetts, den Umstand der Neuübersetzung überhaupt nicht erwähnt zu haben! Außerdem hätte unbedingt die Neuübersetzung, ihre Gründe und ihre Qualität oder Unterschiede thematisierte werden müssen.
      Wolfgang Tischer

  2. Wieso braucht das gleiche Buch einen neuen Namen? Wenn es eine Lizenzfrage war, dann hätte man das mit den Rechteinhabern so weit abklären können, das es hier nicht zu Unstimmigkeiten kommt. Außerdem zieht ja ein alter und bekannter Name automatisch Käufer an. Wenn es einen neuen Namen haben muss, dann hätte man auch draufschreiben können “AMOK, neu übersetzt und neu aufgelegt von Matthes & Seitz”. Wenn das vergriffene Buch denn überhaupt jemand haben will. Wenn es Nachfrage gäbe, dann hätte Fischer es bestimmt nochmals neu aufgelegt. So wie das jetzt gemacht ist, wird es vielen Sammlungen erst später auffallen, das sie das gleiche Buch doppelt haben. Ja, denn auch die Eigentümer der Sammlungen versterben irgendwann und dann werden die Sammlungen von Anderen weitergeführt. Stellen sie ich einfach mal ihre Stadtbibliothek vor. Wann werden die merken das AMOK doppelt vorliegt, und noch dazu in fragwürdiger Übersetzung, oder wieso hat es eine neue Übersetzung gebraucht? Ich führe das Wort “Lizenzgaunereien” hier gar nicht an, ich denke mehr über gesetzliche Lücken nach. Leider gibt es viel zu viele Bücher, die es schon einmal unter anderem Namen gibt.

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