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Büchershow wie Bürgerfernsehen: »Spitzentitel« mit Volker Weidermann auf spiegel.de

Volker Weidermann und Studiogast Monika Maron in »Spitzentitel«, der neuen »Büchershow« auf spiegel.de (Screenshot: spiegel.de)
Volker Weidermann und Studiogast Monika Maron in »Spitzentitel«, der neuen »Büchershow« auf spiegel.de (Screenshot: spiegel.de)

Als Moderator des Literarischen Quartetts im ZDF hat sich Volker Weidermann verabschiedet. Jetzt startet er auf spiegel.de eine wöchentliche »Büchershow«, die mehr an eine Sendung im offenen Kanal erinnert. Sich darüber lustig zu machen, ist leicht. Aber was kann man besser machen?

Das gewisse Quäntchen Schwung

Obwohl die Sendung wöchentlich erscheinen soll, wirkt die erste Folge von »Spitzentitel« aus der Zeit gefallen, wie eine Literatursendung auf 3Sat in den frühen 1980er-Jahren, wie eine Fernsehsendung im Bürgerfunk, der das gewisse Quäntchen Schwung, das gewisse Quäntchen Professionalität fehlt.

Literatur im Fernsehen ist problematisch und muss sich stets die Frage stellen, wie man Bücher bebildert.

Warum produziert der SPIEGEL im Jahre 2020 eine einstündige biedere Literatursendung im Videoformat? Die erste Sendung vom 20. August 2020 ist sogar live. Die Anschlüsse von Studio und Einspielfilmen holpern. Stets hört man das »Und bitte!« der Regie, bevor Weidermann Sekundenbruchteile später die Moderation beginnt.

»Ich könnte da schon drüber reden, aber das wurde mir schon so oft …«, hört man Studiogast Monika Maron noch im »Pausengespräch«, bevor Weidermann gesagt wird, dass der Einspielfilm zu Ende sei und er Sekunden später in die Kamera lacht. Probleme der ersten Sendung. Das wird sich künftig sicher bessern.

Wobei man dennoch die Frage stellen muss, warum das Format live sein muss? Die wenigsten werden es sich an einem Donnerstagmittag um 14:30 Uhr anschauen. Es ergibt sich keinerlei Mehrwert daraus.

Elke Heidenreich? Ja, zum Glück!

Den Bogen der Sendung bildet das Studiogespräch mit Monika Maron. Als trennende Einspielfilme gibt es einen aktuellen Buchtipp von Elke Heidenreich und einen älteren Buchtipp von Antiquar Riewert Q. Tode.

Elke Heidenreich? Ja, tatsächlich hat sie der Spiegel für diese Sendung wieder ins Internet geholt. Sie sitzt Booktuberinnen-artig daheim vor ihrem alphabetisch sortierten Bücherregal und empfiehlt in der ersten Sendung den Titel »Menschliche Dinge« von Karine Tuil.

Elke Heidenreich? Ja, zum Glück! Denn Bücher empfehlen und vorstellen, das kann sie sehr gut. Viele vermissen sie im Fernsehen, nur im Schweizer Literaturclub ist sie hin und wieder zu sehen. Es ist schön, dass der SPIEGEL sie für einen wöchentlichen Buchtipp gewinnen konnte. Das wäre ein eigenes Format gewesen, ohne die restlichen 55 Minuten drumherum.

Das Gespräch mit Monika Maron über die Autorin, ihre Ansichten und ihr neues Buch »Artur Lanz« ist leider im Ansatz misslungen und die Einstiegsfrage »Seit wann wollten Sie Schriftstellerin werden?« die unoriginellste überhaupt. Maron fiel schon bei der Vorstellung ihres letzten Buches »Munin oder Chaos im Kopf« dadurch auf, dass sie Positionen vertrat, die in rechten Kreisen zu hören sind. In ihrem neuen Buch kritisiert sie, dass Männer keine echten Männer mehr seien. Sie nimmt sich weiterer gern diskutierter Themen wie des Genderns an, das Maron nicht für praktikabel hält. Wenn Politik, Behörden und Medien vorschreiben, wie die Menschen zu sprechen haben, dann sehe sie das kritisch.

Zwischen Erzählerin und Autorin

Positionen, über die zu reden interessant sein könnte. Doch das funktioniert zwischen Weidermann und Maron nicht. Als Maron darüber redet, welcher »Manntyp« in den Medien präsentiert werde, nämlich »der schmale Junge« – auch wenn er schon über 40 oder 50 sei –, da wird Maron bewusst, dass Weidermann auch zu dieser Kategorie gehört. Der fühlt sich angegriffen. Maron redet von »ich«, wenn sie über ihre Romanprotagonistin spricht und legt somit selbst Erzählerin und Autorin zusammen. Auf der anderen Seite zieht sie sich mit der Standardfloskel »das ist ein Dialog [im Buch], das darf doch gesagt werden« auf die Erzählebene zurück. Marons Empfindung, dass der Mann aus seiner »Familienernährer und Familienoberhauptrolle« gestoßen werde, das »Männerhass« Mode sei, all das wären Gesprächspunkte, doch die bleiben zwischen Erzählerin und Autorin und zwischen echter oder vermeintlichem Angegriffensein hängen. Irritierend, dass Weidermann stets süffisant lächelt, auch als er Maron auf ihre Beteiligung an der umstrittenen »Exil«-Buchreihe anspricht.

Zwischenrein wird die Spiegel-Bestseller-Top-10 wie in einer Musiksendung der 1980er verkündet: »Auf Platz 10 und damit zwei Plätze schlechter als in der Vorwoche …«. Die Liste wird in der Sendung schon am Donnerstag verkündet, bevor sie am Samstag im gedruckten Spiegel zu lesen ist. Geschenkt. Und überflüssig.

Als wäre sie die perfekte Gegenfigur zu Monika Maron werden dann im Einspieler die 22-jährige muslimische Boxerin Zeina Nasser und ihr Buch »Dream Big« vorgestellt.

Bücher vom Ghostwriter

Obwohl Weidermann die Frage stellt, warum Nasser ein Buch geschrieben habe, macht diese keinen Hehl daraus, dass sie das nicht getan habe, sondern dies von einem Ghostwriter übernommen wurde. Ein Konzept, das bislang eher Verlage wie Riwa verfolgen: Man kauft sich einen bei der jüngeren Zielgruppe bekannten Namen ein, lässt von einem Ghostwriter für diese Person ein auf die Zielgruppe zugeschnittenes Buch schreiben. Hauptziel Umsatz. Zeina Nassers Buch »Dream Big« erscheint bei hanserblau. Ärgerlich, dass derzeit niemand das Buch lesen kann, denn es erscheint erst in einem Monat.

Nach einem letzten antiquarischen Buchtipp (Literatur unter Drogen verfasst!) ist die zähe Stunde um.

Die Sendung ist »frei empfangbar« – um in einer passenden Terminologie zu bleiben -, der Spiegel hat sie nicht hinter eine Paywall gepackt. Als Podcast nebenbei wäre sie besser konsumierbar. Eine Videodatei spielt ein Smartphone im gesperrten Zustand nicht im Hintergrund ab, sodass man »Spitzentitel« nicht beim Joggen hören kann. Man muss erst Video-Downloader und MP3-Konverter bemühen. Es wäre gut, wenn der Spiegel die Sendung künftig parallel als Audio-Podcast anbieten würde.

Hören wir, wie sich die Sendung künftig entwickeln wird und geben wir dem Format dennoch eine Chance.

Wolfgang Tischer

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5 Kommentare

  1. Lieber Wolfgang Tischer,

    sich einer Sache annehmen, weiterer gern diskutierter Themen etwa, ist völlig richtig; das Verb verlangt dann aber in der Beifügung entweder ebenfalls den Genitiv oder, genauso gut, den Nominativ, also hier: wie des Genderns oder: wie das Gendern. Was da steht, ist der sogenannte inkongruente Dativ, der standardsprachlich (noch) als falsch gilt. Wobei ich gern zugebe, daß das Sprachgefühl dafür durch häufigen Mißbrauch in den letzten 40, 50 Jahren langsam abnimmt.

    Was ich empfehlen möchte, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf: die Anschaffung eines Bandes der Schriften von Karl Kraus, die bei Suhrkamp erschienen sind: Die Sprache, für die Redaktionsbibliothek.

    Mit freundlichem Gruß

    jst

    • Vielen Dank für die Auflösung. Meine Vermutungen gingen in diese Richtung. Tatsächlich bin ich ein großer Freund des Genitivs, dennoch lasse ich den Satz in diesem Fall aber mal so stehen. Herzliche Grüße Wolfgang Tischer
      Nachtrag: Sie haben recht. Mit Genitiv klingt es schöner. Ist im Beitrag geändert.

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