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Buchbesprechung: Pop Life von Hermann Mensing

Buchcover: Pop LifeHermann Mensing hat in den letzten Wochen im literaturcafe.de von seinen Lesereisen für sein neues Buch »Pop Life« nach Leipzig und Wien berichtet. Unser Kritiker Malte Bremer gehörte zu den ersten, die das Werk lesen durften. Hier seine Buchbesprechung:

Was für ein Roman! Da treffen sich zufällig drei sehr unterschiedliche Typen aus Europa in Amerika, mögen sich eigentlich nicht und kommen nicht voneinander los – aber warum? War es nur, weil die drei Alleinreisenden wussten, »dass man nicht zögern durfte, wenn man einen anderen Alleinreisenden traf und das Gefühl hatte, der könne ein Partner für die nächsten paar tausend Kilometer oder nur bis zur nächsten Stadt sein«? Wieso treffen die sich noch zweimal nach der Trennung im Tessin viele, viele Jahre später?

Hans Vorrink, erfolgreicher Absolvent der höheren Handelsschule, mit seiner langen blonden Mähne, hat das Münsterland verlassen, »um soviel Geschlechtsverkehr wie nur möglich auszuüben« , getreu dem Motto »Make Love« – aber er ist kein Hippie, sondern hatte einen unvollendeten Roman mit 32 Seiten in der Schublade, und er wusste eines: nämlich »wie es sich anfühlt, wenn es sich falsch anfühlt«.

Der spröde Paul Brunthaler aus einem Bauerndorf hoch über dem Luganer See hat irgendwie erfahren, dass es noch ein Leben außerhalb des Dorfes gibt, und so machte er sich auf, eine Tante in San Francisco zu besuchen; er hat einen Plan und immer alles im Griff.

Der freundlich und sensible Steven McFarlain bricht sein Studium ab, hat aber keine Ahnung, warum, und verlässt England, weil er sich nicht binden will.

Das sind die drei Protagonisten, die uns in die Welt der 70er entführen. Aber wer jetzt glaubt, dass das alles so einfach ist, täuscht sich: Die Handlungsstränge verlaufen kreuz und quer, die drei treffen und verlieren und treffen sich immer wieder an den verschiedensten Orten und zweifeln immer daran, ob das das richtige Leben ist: everybody needs a thrill, we all got a space 2 fill – so ist es! Und der Raum wird gefüllt, im Leben der drei Protagonisten (samt späterem Anhang) sowie zwischen den Buchdeckeln: Japan, Mexico, Südafrika, Copacabana, Honduras, Amazonas, Mazatlan Wir erleben Hurrikane, Wüste, Hawaii, Dschungel, Räusche und Ängste, Gefahren, Enttäuschungen, Berge, Schneestürme, No-Go-Areas, Hexen, Musik, und wir erleben ein Unglück, um das sich schließlich alles dreht, über das man aber nicht redet, nicht reden kann: »Immer wurde das Wichtigste verschwiegen, ganz gleich, wo man landete, es blieb nichts als Oberfläche, und das war zu wenig«.

Mitten im Geschehen: der beobachtende Erzähler, der diese Geschichten dirigiert – es sind viele Geschichten, und mindestens genau so viele, die nicht präsentiert werden: »So könnte man, wenn man wollte, das Leben, das Schicksal der Menschen, ja die Existenz der Erde und des Alls auf das Finden einer 10 Dollar Note reduzieren und auf die Reaktion seiner Finder«. So grübelt er, als eine 10-Dollar-Note gefunden wird von Paul oder Hans: Es sei nicht überliefert, wer es nun wirklich war: das hat Konsequenzen.

Und so greift der Erzähler ein, einmal als Chronist, dann als Arrangeur, der unvermittelt die Schauplätze und die Jahre und Jahrzehnte wechselt, sei es aus inhaltlichen, sei es aus formalen Parallelen (sodass sich manche Geschichten erst in größeren Abständen runden; aber keine bleibt unbeendet!) – eben genau so, wie Erinnerung funktioniert, die manchmal wegen zufälliger äußerer Ereignisse wieder erwacht.

Der Erzähler steht seinen Protagonisten zudem auch nicht neutral gegenüber: Er kommentiert, spottet, deutet an, vermutet, rätselt, greift voraus und begreift durchaus nicht immer, was seine Protagonisten manchmal so treiben – eben ein ausgezeichneter Erzähler mit viel Humor! So heißt es kurz vor Schluss: »Schnitt./Nichts davon ist wahr.//Weder das eine noch das andere.//Alles hat sich jemand ausgedacht, von Anfang bis Ende.« Richtig! Und es folgt der Beweis: Die Beatles hatte sich auch jemand ausgedacht […], Brian Epstein nämlich, und der war auch ausgedacht«. Da kommt man schon mal ins Grübeln (und nicht nur hier), wie das in diesem Buch so ist mit ausgedacht und wahr, und irgendwo sitzt der allwissende Autor und leibhaftige spiritus rector und schmunzelt stillvergnügt vor sich hin.

Pop Life ist ein Roman, so bunt und lebendig wie die Pop-Welt, aber viel mehr als das! Schön, dass der junge und klein-feine Verlag Luftschacht diesen Roman herausgegeben hat im Hardcover und mit Lesebändchen!

Malte Bremer

Hermann Mensing: Pop Life. Gebundene Ausgabe. 2009. Luftschacht. ISBN/EAN: 9783902373434. 21,40 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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1 Kommentar

  1. Ich habe Pop Life mit wachsender Spannung gelesen, wollte wissen, was den Autor bewegt hat, diese Geschichte zu schreiben. Sie hat mich nicht mehr losgelassen bis zur letzten Seite. Wegen der vielen Schnitte habe ich gleich wieder von vorne begonnen, um etwas Klarheit in die räumlichen und zeitlichen Abläufe zu bringen. Was mir auffällt. Ich habe mich mit den Helden der Geschichte sehr verbunden gefühlt, habe teilweise meine Art zu denken wiedererkannt. Es ist ein wirklich gutes Buch für diese Zeit und wahrscheinlich darüber hinaus auch interessant für Leute, die später wissen möchten, wie die heute über Fünfzigjährigen einst gelebt haben…

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