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Mit Schiller zu Schiller

Der folgende Bericht zur Premiere des Stückes »Schiller geräubert« (05.05.2005) erreicht uns heute von unserer Literaturkorrespondentin Ingeborg Jaiser:

»Wäre Schiller nur 200 Jahre später gestorben, wäre er heut noch am Leben« unkt der jugendliche Tour-Guide unseres Busses und hat somit die ersten Lacher auf seiner Seite. Ein lockerer Einstieg für ein über vierstündiges multimediales, interaktives, jahrhundertübergreifendes, mobiles Spektakel des Stuttgarter Staatstheaters, bei dem noch gehörig die Fetzen und Funken fliegen werden. Dass Schiller eher selten und dabei höchst ungern gereist ist, erscheint heute eher nebensächlich.

Gemütlich richten wir uns in den Reisebussen ein, die uns vom Ludwigsburger Residenzschloss nach Marbach bringen. Der gut aussehende Reiseleiter unterhält wortgewaltig mit Rätseln und Fakten aus Schillers Leben, wobei unklar bleibt, ob manch freudscher Versprecher der Premierenaufregung oder dem Manuskript zuzuschreiben ist. Macht nichts: das Publikum, das sich vorwiegend aus Deutschlehrern, Literaten und Schöngeistern rekrutiert, beklatscht begeistert jeden Wortwitz, nicht ahnend, was noch auf sie zukommt.

Um es vorweg zu nehmen: »Schiller geräubert« entpuppt sich als tollkühne Darbietung mit hanebüchener Handlung an ungewöhnlichen Schauplätzen, mit überladenen Szenen und überzogenem Klamauk. Die Veranstaltung gestaltet sich als schweißtreibender Parforce-Ritt durch unterschiedliche Genres, Zeiten und Orte. Doch beklage sich keiner, er hätte es nicht gewusst: »Wetterfeste Bekleidung und festes Schuhwerk sind angeraten« rät nicht umsonst die Vorankündigung.

So stolpern wir, kaum in Marbach angekommen, in eine Szenerie, die glattweg aus der Rocky-Horror-Picture-Show entsprungen sein könnte. Unweit von Schillers Geburtshaus steppt der Bär: eine pinkberüschte und Perücken tragende Band spielt schrägtönend auf, derweil sich die Dichter Kotzebue und Goethe eine kleine verbale Schlammschlacht liefern, flankiert von flippigen Cheerleadern, einer Stretchlimousine, sowie einer überdimensionalen fahrbaren Schiller-Büste. Schon schwindelt den Ersten von ungewohnten Zeitsprüngen und grellbunter Staffage, doch gleich geht es weiter gen Deutsches Literaturarchiv vorbei an üppigen Schönheiten des 18. Jahrhunderts, die mal hier einen Altkleidercontainer plündern, mal dort im Vorgarten eines braven Marbacher Bürgers Teppiche klopfen.

Ungewohnt betreten wir das Literaturarchiv durch den Orkus der Tiefgarage, streifen in der Düsternis fast den Daimler des Hausmeisters und steigen schließlich ungläubig auf in die heiligen Kataloghallen des musealen Ortes. »Alles Schiller« ruft Kotzebue verzagt, während er Karteikasten nach Karteikasten plündert und Bibliothekarinnen anmutig durch die Reihen steppen. Wenn das mal gut geht! Schon trifft die Polizei ein und verfrachtet die Einbrecher plus Publikum zurück nach Ludwigsburg zum gestrengen Herzog Carl Eugen.

Inzwischen reißt der Himmel auf und wir bewundern den farbenprächtigen Hofstaat in surrealer Szenerie vor dem im Abendlicht glänzenden Schlosse. Schnell noch eine kleine Keilerei, ein paar komödiantische Einlagen, dann starten wir im strammen Marsche zum Schlosspark, wo sich schwächelnde Besucher in der Gastronomie des »Blühenden Barocks« mit Brezeln und Maultaschen stärken können, eh es ins grandiose Finale geht. Längst haben sich Schauspieler und Zuschauer ungehemmt angefreundet, man fotografiert sich gegenseitig, teilt sich Schillerlocken als Pausensnack, flirtet über Jahrhunderte und Standesgrenzen hinweg.

Im Schlosstheater dann der große Show-down. Goethe und Kotzebue liefern sich einen genialen Poeten-Wettstreit, der Saal tobt, die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt da taucht kurz vor Ende plötzlich Schiller auf, achja, den hätten wir fast vergessen in dieser dreisten Räuberposse. Müde, doch merkwürdig angeregt, fahren wir nach Hause und nehmen uns vor, nach so viel Irrungen und Wirrungen doch mal wieder unseren Schiller zu lesen. Es könnte sich lohnen.

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