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»Yellowface« von Rebecca F. Kuang: Beklemmendes Vergnügen

YELLOWFACE von Rebecca F. Kuang, auf Deutsch bei Eichborn
YELLOWFACE von Rebecca F. Kuang, auf Deutsch bei Eichborn

Ein geklautes Manuskript wird veröffentlicht, und der Dieb wird zum Bestseller-Autor. Es gibt einige Romane mit diesem Plot. Die Umsetzung macht den Unterschied. In »Yellowface« bringt Rebecca F. Kuang diese Handlung in die Gegenwart von Social Media, kultureller Aneignung und Cancel Culture, dass die Lektüre ein beklemmendes Vergnügen ist.

Athena Liu ist eine gefeierte Bestseller-Autorin. Andere Schreibende blicken neidisch und missgünstig auf sie, würden dies aber nie zugeben. Jane Hayward scheint ihre einzige Freundin zu sein. Auch Jane schreibt, doch reichlich erfolglos. »Vermutlich mag niemand Athena, weil niemand das Gefühl mag, im Vergleich mit ihr ständig den Kürzeren zu ziehen. Vermutlich stehe ich zu ihr, weil ich so armselig bin«, so erklärt sich Jane diese »Freundschaft«.

Als die beiden einen Vertrag mit Netflix feiern und Athena Jane einen ersten Blick in ihr neuestes Manuskript gewährt, erstickt Athena beim Pfannkuchenwettessen. Ein tragischer Unfalltod, nach dem sich das unfertige Manuskript plötzlich in Janes Tasche wiederfindet. Die feilt daran, stellt es fertig, schreibt es um, ergänzt es und veröffentlicht es schließlich unter dem Namen Juniper Song. Ihren alten Autorennamen Jane Hayward empfindet sie durch ihre Misserfolge als verbraucht und mit vollem Namen heißt sie tatsächlich Juniper Song Hayward.

Im Roman »Die letzte Front« geht es um Arbeiter, die China während des Ersten Weltkriegs nach England und Frankreich entsandte, um auf diesem Weg einen Kriegsbeitrag zu leisten. Unter dem Schutzumschlag des Buches gibt es dazu eine gestalterische Anspielung. Auf dem Pappcover von »Yellowface« ist der Titel »Die letzte Front« zu lesen und der Name Athena Liu ist durchgestrichen und durch Juniper Song ersetzt.

Kleiner Gag bei der Buchgestaltung: Unter dem Schutzumschlag kommt der Titel des gestohlenen Manuskripts zum Vorschein

Zwar klingt der Name Juniper Song irgendwie asiatisch, doch Juniper ist eine weiße US-Amerikanerin, während Athena Liu chinesische Vorfahren hat.

Rebecca F. Kuang, mit vier Jahren selbst aus China in die USA gekommen, dekliniert in »Yellowface« alles durch, was Autorinnendasein, Literaturbetrieb, Wokeness, kulturelle Aneignung und Rassismus zu bieten haben. Stets spielt die Kommunikation in den Sozialen Medien eine wichtige Rolle.

Juniper wird für ihren Roman gelobt und muss mit dem plötzlichen Ruhm fertig werden, dann folgt die Welle der Vorwürfe. Von kultureller Aneignung ist die Rede. Darf eine Weiße über Chinesen schreiben?

Und dann kommt von einem anonymen Twitter-Account der Vorwurf, Juniper sei gar nicht die Autorin, sondern sie habe in der Todesnacht das Manuskript gestohlen. Ein Shitstorm bricht los, Beschimpfungen und Morddrohungen machen die Runde.

»Yellowface«, erzählt aus der Ich-Perspektive von Juniper, hat komische Momente, hat Momente der Überzeichnung und dennoch segelt der Roman hart an der derzeitigen Wirklichkeit des Literaturbetriebs und der Gesellschaft. Rebecca F. Kuang lässt durch ihre Figuren die üblichen und oft gehörten Argumente aller Seiten zu Wort kommen. Sie macht sich nicht lächerlich darüber, sondern lässt Juniper berichten, doch wissen wir als Leserinnen und Leser, dass wir auch ihr nicht trauen können. Wie in den schlimmsten Netzdiskussionen interpretiert auch Kuang die Worte und Aussagen stets von neuem. Wer darf was? Was ist die Wahrheit? Was ist wie gemeint? Was ist Zufall, was ist Absicht? Man durchlebt beim Lesen unglaubliche Momente der Peinlichkeit, wenn wir beispielsweise Juniper zu einer Lesung bei einer Ortsgruppe des Chinese American Social Club begleiten und sie feststellen muss, dass die Veranstalter dachten, sie hätte chinesische Vorfahren. Die Stille, als Juniper vor der Lesung der Veranstalterin sagen muss, dass dem nicht so sei.

Rebecca F. Kuang lässt in ihren Roman auch die Behauptung einfließen, dass man es als Frau mit Migrationshintergrund oder gar queere Person, derzeit im Literaturbetrieb unglaublich leicht habe, weil solche Manuskripte von den Verlagen bevorzugt verlegt würden. Aber was ist, wenn man nur das Alibi eines offenen Verlagsprogramms ist? Wenn man nicht wegen seines Schreibens, sondern nur wegen seiner Herkunft zu Lesungen und Podiumsdiskussionen geladen wird?

Immer wieder stellt sich für Juniper die Frage nach dem eigenen Rassismus, die sie allzu oft verwirft.

Was Kuangs Roman ebenfalls unglaublich nah an die Wirklichkeit bringt, das ist die glaubhafte Beschreibung der Diskussionen und Mechanismen in den Sozialen Medien oder die Rezensionskultur auf Goodreads. Natürlich besteht die Gefahr, dass diese Dinge schnell überholt sind, und Twitter heißt seit der US-Veröffentlichung schon längst X, doch »Yellowface« ist gerade dadurch ein unglaublich wirklichkeitsgetreues Zeitdokument – sofern man so etwas über eine erfundene Geschichte überhaupt behaupten darf.

Während in anderen Romanen Passwörter von Laien in kürzester Zeit unglaubwürdig geknackt werden, weil man zufällig den Namen des Hundes eingegeben hat, beschreibt Kuang glaubhaft, wie Juniper die Identität eines anonymen Twitter-Accounts aufdeckt.

»Yellowface ist, zu großen Teilen, eine Horrorgeschichte über Einsamkeit in einer hart umkämpften Branche«, scheibt Rebecca F. Kuang selbst über ihren Roman.

Tatsächlich hat die Story auch ihre ganz traditionellen Spannungselemente, besonders gegen Schluss, als ein schauerlicher Schauplatz der Ort einer anderen Horrorgeschichte ist.

Wolfgang Tischer

Rebecca F. Kuang; Jasmin Humburg (Übersetzung): Yellowface: Roman. »Rasiermesserscharf!« TIME. Kindle Ausgabe. 2024. Eichborn. 23,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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