StartseiteBuchkritiken und TippsWie die Verkündung der Impfreihenfolge: Preis der Leipziger Buchmesse vergeben

Wie die Verkündung der Impfreihenfolge: Preis der Leipziger Buchmesse vergeben

Preisverleihung oder FDP-Parteitag: Der Bühnenaufbau beim Preis der Leipziger Buchmesse 2021 (Screenshot Livestream)
Preisverleihung oder FDP-Parteitag in den 80ern? Der Bühnenaufbau beim Preis der Leipziger Buchmesse 2021 (Screenshot Livestream)

Preisträgerin Iris Hanika war sichtlich erstaunt und erfreut. Sie prustete los wie ein kleines Kind, dem die Erwachsenen verboten haben, in der Kirche zu lachen. Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse 2021 bewegte sich ansonsten emotional und optisch irgendwo zwischen Totenfeier und FDP-Parteitag.

Hinter breiten blockierenden Tischpultungetümen, im Bühnenlicht zwischen weiß und gelb changierend, saßen sechs Jury-Mitglieder, während deren Vorsitzender Jens Bisky rechts am Rednerpult stand. Auf der linken Seite war Buchmessedirektor Oliver Zille hinterpultet. Die Namen groß an den klobigen Blöcken angebracht, wirkte der Livestream optisch wie ein FDP-Parteitag in den 1980er-Jahren. Das Wort hat der Delegierte Platthaus.

Drei Preise galt es wieder zu vergeben für je ein Buch in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung. Was normalerweise in der Glashalle des Leipziger Messegeländes vor großem Publikum stattfindet, musste bereits ein zweites Mal anders organisiert werden, da es die Buchmesse darum herum auch in diesem Jahr nicht gibt.

Im vergangenen Jahr 2020 sprang der Deutschlandfunk ein, und die Preisverkündung fand im Radio statt. »Wie dieses Nichts an Zeremonie auf 55 Minuten Sendedauer gestreckt wurde, darüber möchte man lieber schweigen«, schrieb Andreas Platthaus von der FAZ vernichtend über diese Sendung. Letztendlich habe es 15 Verlierer gegeben, und er meinte damit die 15 nominierten Autorinnen und Autoren, die um eine schöne Würdigung und Verleihungsfeier gebracht wurden.

Und ein Jahr später?

Andreas Platthaus sitzt nun selbst in der Jury des Preises. Aber sonst?

Die Preisverleihung des Jahres 2021 wirkt, als habe man das Bild zur letztjährigen Tonspur wiedergefunden.

Trauer, Tristesse und Corona-Gejammer bestimmte dieses Bild. Leipzigs Bürgermeister berichtete, dass er »Die Pest« von Camus gelesen habe und dass darin ja schon sehr viel von dem vorweggenommen wurde, was wir jetzt erleben. Eine vor einem Jahr oft gehörte Phrase. Und die sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus betonte, dass es einiges an Corona-Folgen aufzuarbeiten gelte und dabei könne die Kultur eine Rolle spielen. Und man fragt sich, ob sie jene Kultur meint, die den Politikern in den letzten Monaten herzlich egal war?

Eine Präsentation der Nominierten wie die Verkündung der Impfreihenfolge. Laudationes wie Grabreden. Es war, als wolle man die Bücher beerdigen.

Depressiver und melancholischer kann man eine Preisverleihung nicht inszenieren.

Echte Freude: Iris Hanika gewann mit »Echos Kammern« den Preis in der Kategorie Belletristik (Screenshot Livestream)
Echte Freude: Iris Hanika gewann mit »Echos Kammern« den Preis in der Kategorie Belletristik (Screenshot Livestream)

Die dreimal fünf Nominierten waren per Zoom auf Bildschirmen hinter der Jury zu sehen. Bei Iris Hanika wusste man zunächst nicht, ob sie da live zu sehen oder ob es nur ein Standbild war. Doch als sie dann mit ihrem Buch »Echos Kammern« als Gewinnerin der Rubrik »Belletristik« verkündet wurde, bewegte sich das vermeintliche Bild ungläubig, und es war so ein wunderbarer Moment, als die Überraschung, die Freude und das Lachen über den Gewinn aus ihr herausbrachen. Wie ein Sonnenstrahl im dunklen Wald. Ein wunderbarer Moment in dieser tristen Veranstaltung. Glück für Sekunden.

Wolfgang Tischer

Die Gewinnerinnen des Preises der Leipziger Buchmesse 2021:

Kategorie Belletristik

Kategorie Sachbuch/Essayistik

  • Heike Behrend: Menschwerdung eines Affen: Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung. Gebundene Ausgabe. 2020. Matthes & Seitz Berlin. ISBN/EAN: 9783957579553. 25,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Kategorie Übersetzung

  • Miklós Szentkuthy; Hanzer Liccini (Designer); Timea Tankó (Übersetzung): Apropos Casanova: Das Brevier des Heiligen Orpheus (Die Andere Bibliothek, Band 427). Gebundene Ausgabe. 2020. Die Andere Bibliothek. ISBN/EAN: 9783847704270. 44,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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