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Textkritik: Wer schön sein will … – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

Wer schön sein will …

von Cornelia Lotter
Textart: Prosa
Bewertung: 5 von 5 Brillen

Ich habe mir die Vagina designen lassen. Ein Geschenk zu meinem vierzigsten. Die Hälfte davon hat Bodo gezahlt, mein Mann.

Er hatte auch die Idee, kam mit einem Artikel aus irgendeiner Zeitschrift. Ich wollte es erst gar nicht glauben. Da ich keine Kinder habe, brauchte ich die Vaginalverkleinerung nicht. Bei mir hat man nur die Laser-Perineoplasty gemacht, eine Verjüngung der großen Schamlippen. Die kleinen hat man bis zur Umschlagsfalte mit Hochfrequenzstrom entfernt und spannungsfrei vernäht, so dass jetzt eine längsovale, wulstartige Randung das Genitale begrenzt. Wozu braucht man heute noch die kleinen Schamlippen? Früher, in Urzeiten, haben sie als Schutz gegen eindringende Fremdkörper gedient, heute sind sie nur ein lästiges und unschönes Überhängsel, dem man das Alter einer Frau ebenso ansieht wie dem Hals oder dem Handrücken. Hat Bodo gesagt. Und er hat Recht. Außerdem habe ich die Standard-Laser-Rejuvenation machen lassen, bei der die Vaginalöffnung geglättet und die erschlafften Muskeln gestärkt werden. Die Kollagen-Unterspritzung des G-Punktes hätte ich gern mal ausprobiert, soll wahre Wunder wirken, aber Bodo meinte, ich solle mich nicht übernehmen.

Wir haben es bei Dr. Schädlich machen lassen, wie auch vor fünf Jahren meine Brüste. Damals war ich sehr zufrieden. Diesmal gab es einige Komplikationen. Schon nach der Narkose waren die Schmerzen sehr stark und ich brauchte zusätzliche Schmerzmittel. Es gab dann eine Entzündung oder Infektion oder was weiß ich. Jedenfalls war alles total geschwollen und ein Bluterguss hat sich auch noch gebildet. An einer schwer zugänglichen Stelle. Den hat Dr. Schädlich dann ohne Betäubung ausdrücken müssen. Ich dachte, ich schrei ihm die Praxis zusammen. Wochenlang habe ich nicht richtig sitzen können, dreimal täglich Kamillenbäder. Ich war so was von am Ende.

Bodo hat gesagt, ich soll mich nicht so haben und an die Millionen Mädchen denken, die jährlich Beschneidungen unter undenkbaren hygienischen Bedingungen ertragen müssen. Mit einer Glasscherbe oder einem stumpfen Messer und ohne Narkose. Irgendwo hat er schon Recht. Aber wenn ich gewusst hätte, dass es hinterher so lange weh tut! Jeder Gang aufs Klo war eine Tortur. Andererseits, man muss heutzutage als Frau schon etwas tun, wenn man ansehnlich bleiben will. Da reicht Walking oder Fitness-Studio nicht aus. Und wie schon meine Großmutter immer sagte: Wer schön sein will muss leiden!

Die Konkurrenz auf dem Markt ist einfach zu groß. Die Versuchungen für den Mann. Immerhin habe ich es geschafft, dass Bodo jetzt nicht mehr so oft abends im Büro zu tun hat. Er schläft wieder öfter mit mir. Allerdings empfinde ich nun noch weniger als vorher. Aber Hauptsache, ich gefalle ihm und er hat seinen Spaß. Das Sexuelle wird heutzutage sowieso überbewertet. Mir ist es lieber, er zahlt ohne zu Murren meine Rechnungen. Was ist dagegen schon ein Orgasmus?

© 2006 by Cornelia Lotter. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Was man aus einem Artikel nicht alles machen kann! Höchst überzeugend, diese gnadenlose Blödigkeit von Bennos Frau, auch sprachlich gut umgesetzt: Sie kennt sich souverän aus mit den »wichtigen« medizinischen Fachausdrücken, bewegt sich ansonsten in umgangssprachlichen Gefilden.
Endlich mal wieder eine leichte Erzählung, die munter vor sich hin schreitet und bei der man nur staunen kann, was sich Menschen so alles einfallen lassen. Je nun: Es soll Männer geben, die sich Hanteln an den Penis hängen, damit er auf natürliche Weise verlängert wird: Blödigkeit ist eben geschlechtsneutral …

Die Kritik im Einzelnen

Erschreckend daran ist, dass es solche Figuren tatsächlich gibt, und die sind auch noch zufrieden …zurück
Tja, was kann man als Frau schon wissen, wenn es einem der Mann nicht sagt? Selbstgewähltes Schicksal, würde ich sagen … zurück
Was ist das? zurück

© 2006 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.