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Textkritik: Plattitüden nicht platt

Wären all diese Plattitüden hochdeutsch geschrieben worden, wäre das langweilig!, meint unser Textkritiker Malte Bremer. Doch da dies nicht der Fall ist, wirken die Plattidtüden nicht platt.

Inne Siedlung

von Achim Dietz
Textart: Prosa
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Wenn die Hilla mit ihrn Ernst abends umme Häuser geht Arm in Arm, eimfach ma so, um Luft zu schnappen, un die Luft noch so schön lau iss, obwohl Oktober iss un die Blätter schonn fallen, dann gehn se meist noch bein Murat vorbei aufm Rückwech anne Ecke bei seine Bude, wo alle schonn stehn wie jehn Abend auf en Quätschken un vielleicht en Bier.

Danach weisse, wie ett iss inne Welt. Datt sollte man ja auch wissen. Un der Murat klacht, datt ja alle kein Geld mehr hättn un er müsste ja auch sparn, getz am Monatsende wärn ja alle klamm un er vor allen Dingen, weil ja immer weniger bei ihn vorbeikomm, weil se alle kein Geld mehr hahm bis zum Monatsende. Un dann würd auch weniger bei ihm hängen bleim, un ers am Ersten gäb ett ja widder Geld un Stütze, dann ging ett widder.

Un da hahm alle noch ein, zwei Bier bestellt, damit ett dem Murat widder watt besser geht, un prosteten sich zu un erzählten alle wild durchenander, wie datt früher wa un dattse da auch keine Kohle hatten weil wegen der Kinder, wo datt alle so viel gekostet hat un dattse datt Auto ja auch noch abstottern mussten un die Frau noch putzen ging, schwarz natürlich, damit watt hängenbleibt.

Abber die paar Kröten machten den Braten ja au nich fett. Un so richtich Urlaub wa nich, nur mippm Zelt nach Holland, obwohl datt auch sehr schön wa un vor allem de Blagen gefallen hat, wie se immer nackich übber den Strand geflitzt sind. Un den ganzen Tach hahm se nur Vla gefuttert, weiß ich noch. Un alle kannten sich da, weil eigentlich alle Nachbarn von hier auch da wahn un wie schön ett immer im Sommer in Renesse wa mit Matjes un Grolsch! Da hasse dich gefühlt wie ein Könich.

Un datt früher wahrscheinlich alles besser wa, viele Sachen abber auch schlechter. Auf jehn Fall wa alles nich so schnell. Un nu machten beim Murat ringsrum de Läden zu, Rollladen runner un Feierahmt! Nur beim Murat standen se noch alle. Ein paar kam noch schnell, um Kippm zu holn oder ne Tafel Schockelade für beim Fernsehen zum Schnabulieren.

Getz bezahlten auch die Ersten un suchten, wo ett nach Hause ging, der Ouzo dann auf et Haus auffe Schnelle, da wa ett dann auch Zeit.

Hilla sachte noch, datt se früh raus muss, un der Ernst, datt er schonn seit fünf auf iss. Alle sachten, wie spät datt schonn iss un wie früh datt getz dunkel wird un dattse ma alle flux inne Falle müssten un kloppten den andern auffe Schultern rum un auffe schmale Theke zum Gruß.

Un später, als die Hilla dann mit ihrn Ernst Arm in Arm nach Hause ging mitten durch de dunkle Siedlung, da war alles gut!

© 2017 by Achim Dietz. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Da gibt es keine Einzelkritik – wie auch? Wären all diese Plattitüden hochdeutsch geschrieben worden, wäre das langweilig! Auf Ruhrdeutsch jedoch – und wahrscheinlich auch in allen denkbaren Dialekten – da lebt das, denn plötzlich wirkt es authentisch und wird dadurch zu etwas Besonderem!

Allerdings habe ich massiv in die Form eingegriffen: Eingereicht wurde der Text in einer freien Gedichtform, also ohne Reim oder Metrum – und das zog sich gewaltig, weil immer wieder Zusammenhänge unterbrochen wurden!

© 2018 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.