Eine Textkritik von Malte Bremer
In München
In Italien sein. Sonne, Leichtigkeit, Sinnesgenüsse! Verliebt sein in das eigene südliche Temperament. Und zu Hause, in München? Da gibt es italienischen Wein zum italienischen Essen. Sie fährt einen Alpha, selbstverständlich mit Trikolore-Aufkleber. »Den Espresso trinke ich nur schwarz und mit Zucker«. Die Crema ist mit teutonischer Perfektion erzeugt. »Wie die Italiener ihn trinken«, sagt sie und schaut dabei sonnenbrillenitalienischcool drein. Sie verzichtet selten auf den Cappuccino am Abend, und wenn »Lambor-dschi-ni« ihren Lippen entweicht, dann klingt das so, als sei jetzt der Moment der Erfüllung aller Sehnsüchte gekommen. Ich schaue in ihre weit aufgerissenen Augen. Ihr Entsetzensschrei lässt mich erstarren. Dabei habe ich nur gefragt, ob es sich bei dem Salat um Löwenzahn handelt. Es war natürlich Rucola.
Zusammenfassende Bewertung:
Das ist eine Vorskizze für eine möglichen Geschichte, noch sehr bemüht und umständlich, ohne klare Linie. Doch dahinter steckt eine brauchbare Idee.
Alles weitere entnehme die geneigte Leserin und der gebeugte Leser der »Kritik im Einzelnen«, an deren Ende sich auch ein kompletter Verbesserungsvorschlag befindet.
Die Kritik im Einzelnen
Da haben wir alle italienischen Klischees traulich beieinand – und mir ist vollkommen klar, dass das ganz bewusst gemacht wurde. Aber wüso dünn bloß? Das Klischeehafte im Verhalten der Freundin wird doch voll fett im Folgenden deutlich! Also rein in die Geschichte, und in den Reißwolf mit der verschnarchten »Einleitung«! zurück
Da der erste Satz restlos verschwunden ist, kann die Erzählung nicht mit der Frage beginnen: die sollte ja einen Pseudo-Kontrast herstellen zu dem Italienkitsch. Ich schlage vor:
Zu Hause, in München, gibt es italienischen Wein zum italienischen Essen.
Das nachgestellte München soll Missverständnisse unterbinden, und wir wären mitten in der Geschichte; zudem wird der Leser zack! in den Konflikt zwischen dem bayerischen Zuhause und der italienischen Küche gestellt. Und schon ist man mittendrin statt nur dabei! zurück
Rechtschreibfehler werden normalerweise nicht verbessert. Hier ist es aber peinlich-falsch, denn sie fährt sicher keinen Alpha, sondern einen Alfa (Anonima Lombarda Fabbrica Automobili). zurück
Keine Zaunpfähle! Nachdem die an der italienischen Entgleisung Schuldige lapidar mit sie eingeführt wurde, muss kein selbstverständlich draufgesattelt werden! Schließlich weiß der Leser jetzt, warum der Protagonist unter dem italienischen Essen leidet: nämlich wegen dem Kontrast zu Hause in München und dem Italienischen. zurück
Auch hier keine Bewertung, bitte! Dieses Wortungetüm leistet nichts, Sonnenbrillen sind an sich cool, und für unsere Jugend, der man ihren Lauf lassen soll, vor allem deswegen, weil Rapper und Hiphopper und andere Furchtbar-Wichtigtuer sich gerne dahinter verstecken! Warum sie nicht über den Rand irgendeiner bekannteren (leider kenne ich keine…) italienischen Gestalter-Sonnenbrille blicken lasse? Immerhin fährt sie doch auch einen Alfa! Eine von Colani z.B.? (Hat der überhaupt Sonnenbrillen designt? Kloschüsseln schon und Eislöffel, sogar einen Deutschen Achter hat er mal erfolglos sanftgekurvt… – aber Sonnenbrillen? Wozu gibt es das Internet!…. Aha: Colani hat Brillenfassungen konstruiert – aber bedauerlicherweise ist er in Berlin geboren, der Vater war zu allem Überfluss auch noch Schweizer: das wäre der Freundin bestimmt nicht italienisch genug! Halt: da: Gucci! Klingt irgendwie verdammt italienisch – zum Beispiel das Modell 2437 für schlappe 110,11 Euro!)
Zurück zum Text! Der könnte dann lauten: »Wie die Italiener ihn trinken«, sagt sie und schaut mich dabei über den Rand ihrer Gucci-Sonnenbrille an. zurück
Halthalthalt: sie hat eine Sonnebrille auf! Schon vergessen? Weg mit diesem Satz, wegwegweg!!! zurück
Ja also, nun. ähem: warum wird das jetzt alles verkehrt herum erzählt? Was soll das leisten? Wo ist die Pointe? Ist dieser Entsetzensschrei nicht etwa entzückend? Ist er kein Grund, diese Italienliebhaberin noch tiefer in sein Herz zu schließen? Oder liefert diese Gefühlsäußerung nicht vielmehr den Anlass für unseren Protagonisten, diese Italo-Idiophile endlich zu verlassen – was ich eher annehme, schließlich wird ihr kitschiges Verhalten in der Vorlage bereits mit dem Eingangssatz gegeißelt?! Dann müsste der ganze Schluss geändert werden!
Weiter: da diese kurze Geschichte nach der überflüssigen Einleitung eigentlich mit dem Essen beginnt und endet, müssen die Erinnerungen als Erinnerungen deutlich gemacht werden: nur dann wird der Rahmen zu einem Rahmen! Ich ändere jetzt einfach einmal alles in einem Aufwasch, ist ja schließlich nicht meine Geschichte, und schreibe sie so um, wie ich sie gerne gelesen hätte:
Zu Hause, in München, gibt es italienischen Wein zum italienischen Essen. Sie fährt immerhin einen Alfa, mit Trikolore-Aufkleber. »Den Espresso trinke ich nur schwarz und mit Zucker« pflegt sie zu sagen, und die Crema erzeugt sie mit teutonischer Perfektion: »Wie die Italiener ihn trinken«, sagt sie dann dazu und schaut mich über den Rand ihrer Gucci-Sonnenbrille an. Selten verzichtet sie auf den Cappuccino am Abend, und wenn »Lambor-dschi-ni« ihren Lippen entweicht, dann klingt das immer so, als sei jetzt der Moment der Erfüllung aller Sehnsüchte gekommen. Als ich sie frage, ob das da auf dem Teller Löwenzahn sei, lässt sie einen solchen Entsetzensschrei fahren, dass mir die Gabel aus der Hand fällt: das sei natürlich Rucola! Daraufhin habe ich sie verlassen. zurück
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