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Textkritik: Gut gemeint, doch zu viel gewollt

Dass es Kürzungen sind, die einen Text besser machen, ist nichts Neues. Der Text, den sich Malte Bremer diesmal anschaut, will einfach zu viel. Er soll eindrücklich sein, aber das wird wegen abgedroschener bzw. schräger Bilder sowie Übertreibungen und inhaltlicher Fehler zunichte gemacht!

Der Gott des Krieges

von Ulrike Haas
Textart: Prosa
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Die Bombe schlug ein, während sie schliefen. Abrupt fiel das Haus in sich zusammen, Steine flogen durch das Schlafzimmer, seine Frau blutete am Kopf, die Töchter schrien nach ihrer Mutter. Durch die Trümmer trug er die Frau hinaus in den Garten, dabei stolperte er immer wieder über das Geröll. Er wusste nicht, ob sie bewusstlos oder tot war, und legte sie auf die Erde. Dann ging er zurück zu seinen Töchtern, die jüngere war unter einem Holzbalken eingeklemmt, sie war mittlerweile still und schneeweiß im Gesicht, während die andere noch immer nach ihrer Mutter schrie. Er befreite die Kleine und trug sie ebenfalls nach draußen, die ältere Tochter folgte ihm. Draußen stellte er fest, dass seine Frau nicht mehr atmete, den Kindern sagte er nichts. Er strich beiden übers Haar und ging zurück ins Haus, um Geld und Ausweispapiere zu suchen. Mühsam schaffte er sich mit blutenden Händen einen Weg durch das Geröll, während die Kinder im Staub bei ihrer Mutter weinten. Er wollte seine Frau begraben, aber die Erde war gefroren, so dass er sie nur mit einem Tuch bedeckte.

Sein Haus war ausgebombt, die ganze Straße war ausgebombt, das Stadtviertel ein Trümmerfeld. Apokalyptische Bilder. Tote Menschen und einzelne Körperteile, Hände, Beine, Arme lagen zwischen den Trümmern, aus denen schwarze Rauchsäulen aufstiegen.

Eine ehemalige Schule war als Notunterkunft eingerichtet worden, ein Saal überfüllt mit Menschen, erschöpft, verzweifelt und schockstarr, manche weinten leise vor sich hin. Hier kauerte er neben seinen Töchtern, es gab weder Wasser noch Nahrung noch Worte. Immer wieder ging er nach draußen, um Wasser und etwas zu essen zu suchen, kam aber stets unverrichteter Dinge zurück. Die Nächte waren eisig kalt, und er wusste nicht, worum es in diesem Krieg ging. So wie manche Tiere sich gegenseitig wärmen, umschloss er seine zitternden Töchter mit beiden Armen.

Nach einigen Tagen beschloss er, das Flüchtlingslager aufzusuchen, von dem ihm jemand erzählt hatte. Kurz vor Morgengrauen machten sie sich auf den Weg. Sie begegneten drei Soldaten, deren Gewehre lässig an den Schultern hingen. Er hielt den Atem an, doch die Soldaten gingen gleichgültig an ihnen vorüber. In der Nacht suchte er Unterschlupf in einem zerbombten Gebäude und deckte seine Kinder mit zerfetzter Kleidung zu, die er in den Trümmern fand, und am nächsten Tag gab es gegen Geld etwas Wasser und eine Schüssel Reis von einem Mann, der plötzlich vor ihnen stand.

Am zweiten Tag erklärte sich ein Mann bereit, sie auf seinem Pritschenwagen zu einem Camp mitzunehmen, das von einer Hilfsorganisation eingerichtet worden war. Am dritten Tag fuhr der Wagen auf eine Landmine, beide Töchter, sie saßen im Führerhaus, und der Fahrer waren sofort tot, die Körper zerfetzt. Er blieb am Leben, hatte lediglich Blessuren am ganzen Körper. Eine Weile starrte er vor sich hin, dann richtete er den Blick zum Himmel und murmelte: „Es gibt keinen Gott. Alles Lüge.“

© 2020 by Ulrike Haas. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Das Problem dieses Textes ist: Es wird zuviel gewollt! Er ist gut gemeint, aber verfehlt sein Ziel. Es soll eindrücklich sein, aber das wird wegen abgedroschener bzw. schräger Bilder sowie Übertreibungen und inhaltlicher Fehler zunichte gemacht! Deswegen erlaube ich mir, diesen Text einzudampfen auf das inhaltlich Wesentliche. Sie finden diese Version unten nach der Einzelkritik.

Die Kritik im Einzelnen

Wieso abrupt? Das Haus fiel zusammen! Geschähe das abrupt, gäbe es keinen Raum für herumfliegende Steine! zurück

Das liest wie eine schlechter Schüleraufsatz: Wieso wusste er nicht, ob seine Frau bewusstlos war oder tot? Das lässt sich ganz einfach daran feststellen, ob seine Frau atmet oder nicht! Dann ging er zurück zu seinen Töchtern – aber das kann er gar nicht, er war doch noch nicht bei den Töchtern seiner Frau gewesen (Sind das also nicht seine Töchter?) – folglich kann er dahin auch nicht zurück! zurück

Das ist überflüssig! Warum denn blutend? Wer sich in solcher Situation befindet, dem ist das egal. Das muss einem nicht aufgezwungen werden, die Situation spricht für sich! zurück

Der Staub ist so selbstverständlich, dass er nicht genannt werden muss! zurück

Diese Steigerung ist kitschig, denn sie enthält zu viel: Haus ausgebombt, Straße ausgebombt Das geht überhaupt nicht: Eine Straße kann man nur zerbomben. Das Stadtviertel ein Trümmerfeld … Es genügte: das Stadtviertel ein einziges Trümmerfeld! Denn das beinhaltet auch die Körperteile usw. zurück

Auch hier ist alles sattsam bekannt, da viel zu oft und immer gleich beschrieben. Und warum es noch eine intakte Schule gibt mit einem Saal, bleibt rätselhaft: Das ist eine Folge dieser übertriebenen Beschreibungen: Angeblich ist ein ganzes Stadtviertel ein einziges Trümmerfeld – dennoch steht da ein intaktes Schulgebäude … Die Konzentration sollte ausschließlich auf dem Vater und den beiden Kindern liegen! Erschwerend kommt hinzu, dass hier ein schräges Bild entsteht: Wie umarmt der Vater seine beiden Kinder? So wie manche Tiere sich gegenseitig wärmen! Mit Verlaub: Das habe ich noch nie bei Kühen noch Katzen noch Hunden noch Elchen Ratten gesehen – allenfalls bei Affen! zurück

Der da vor ihnen steht, ist der berüchtigte Deus-Ex-Machina: Irgendwie müssen die drei ja überleben, also bekommen sie jetzt Reis (gekochten? Oder nur die Körner und dazu das Wasser? Aber wie sollen sie den kochen? Und was sollen die Soldaten: Aller guten Dinge sind drei? Überflüssig! zurück

Nanu? Es gibt doch den Gott des Krieges! So ist schließlich der Titel. Warum soll es den jetzt plötzlich nicht mehr geben? Hier hilft nur eines: Er darf das nicht sagen, sondern muss ihm drohen, z. B. mit der erhobenen Faust. zurück

Der Gott des Krieges – gekürzte Version

von Ulrike Haas. Überarbeitung: Malte Bremer.

Die Bombe schlug ein, während sie schliefen, und das Haus fiel in sich zusammen. Steine flogen durch das Schlafzimmer, seine Frau blutete am Kopf, die Töchter schrien nach der Mutter. Durch die Trümmer trug er seine Frau in den Garten, wobei er immer wieder  stolperte. Er legte sie zu Boden und eilte zu seinen Töchtern: Die jüngere lag eingeklemmt unter einem Holzbalken, sie war mittlerweile still und schneeweiß im Gesicht, während die andere noch immer nach ihrer Mutter schrie. Er befreite die Kleine und trug sie ebenfalls nach draußen, die ältere Tochter folgte ihm. Draußen stellte er fest, dass seine Frau nicht mehr atmete. Er strich beiden übers Haar und ging zurück ins Haus, um Geld und Ausweispapiere zu suchen. Mühsam schaffte er sich einen Weg durch das Geröll, während die Kinder im Staub bei ihrer Mutter weinten. Dann wollte er seine Frau begraben, aber die Erde war gefroren. So bedeckte er sie nur mit einem Tuch.

Das ganze Stadtviertel war ein einziges Trümmerfeld. Zwischen den Trümmern lagen Tote, auch einzelne Körperteile. Eine ehemalige Schule war als Notunterkunft eingerichtet worden, der Saal überfüllt mit Menschen, erschöpft, verzweifelt und schockstarr, manche weinten leise vor sich hin. Es gab weder Wasser noch Nahrung noch Worte. Er kauerte sich neben seine Töchter. Ab und zu ging er nach draußen, um Wasser und Essen zu suchen, kam aber stets unverrichteter Dinge zurück. Er wusste nicht, worum es in diesem Krieg ging. Er umschloss seine zitternden Töchter mit beiden Armen.

Schließlich beschloss er, das Flüchtlingslager aufzusuchen, von dem ihm jemand erzählt hatte. Kurz vor Morgengrauen machten sie sich auf den Weg. Sie begegneten Soldaten, deren Gewehre lässig an den Schultern hingen. Er stockte, doch die Soldaten gingen gleichgültig an ihnen vorüber. In der Nacht suchte er Unterschlupf in einem zerbombten Gebäude und deckte seine Kinder mit zerfetzter Kleidung zu, die er in den Trümmern fand. Am nächsten Tag gab es gegen Geld etwas Wasser und eine Schüssel warmen Reis von einem Mann, der plötzlich vor ihnen auftauchte.

Am nächsten Tag erklärte sich ein Mann bereit, sie auf seinem Pritschenwagen zu einem Camp mitzunehmen, das von einer Hilfsorganisation eingerichtet worden war. Am dritten Tag fuhr der Wagen auf eine Landmine. Beide Töchter – sie saßen im Führerhaus – und der Fahrer waren sofort tot. Er blieb am Leben, hatte lediglich Blessuren am ganzen Körper. Eine Weile starrte er vor sich hin, dann richtete er den Blick zum Himmel und hob drohend die Faust.

© 2020 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.