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Textkritik: Ehegymnastik – Prosa

Eine Gastkritik von Nicole Thomas

Ehegymnastik

von Bubbi F.
Textart: Prosa
Bewertung: von 5 Brillen

Während er in monotonen, gleichmäßigen Stößen gefühlsarm in sie eindringt, erwidert sie mit beinahe automatischen, rhythmisch unvorhersehbaren Bewegungen ihres geübten Vaginalschließmuskels, gut getarnt hinter wollüstig wirkenden geschlossenen Augen, seine allwöchentlichen Turnübungen auf und in ihr und widmet ihre ungeteilte Aufmerksamkeit ihren Gedanken. Nachdem sie jahrelang in sprachloser Wut lautlos in sich hinein gelitten und vor sich hin geweint hat, vermag sie nun fast, sich auf ihre wöchentliche Ehegymnastik zu freuen. Mit zunehmender Klarheit und wachsender innerer Ruhe denkt sie sich nämlich eine, nicht irgendeine, ihre Geschichte aus, feilt an den gewählten Worten wie an einem eingerissenen Fingernagel, legt nicht nur ein jedes auf die sprichwörtliche Goldwaage, sondern lässt auch jede Silbe vor ihrem unerbittlich kritischen inneren Ohr erklingen. Denn diese Geschichte, an der sie in den vergangenen 19 ½ Jahren ihres eintönigen Ehebeischlafs herumgebastelt hat, will sie bei passender Gelegenheit so perfekt formuliert und so wohlklingend wie möglich zu Papier bringen und gegebenenfalls multimedial präsentieren. Deshalb ist ihr der Wortklang fast ebenso wichtig wie die eigentliche Wortwahl.
Und hier scheint ihr der seit 19 ½ Jahren zunächst unbewusst gewünschte, in jüngerer Zeit eher ungeduldig ersehnte Zeitpunkt gekommen:
Der zum dritten Mal ausgeschriebene Wettbewerb der besten Kurzgeschichte in Brigitte war ihr im Wartezimmer des Zahnarztes beim Durchblättern derselben ins Auge gefallen. Mit einer ungeahnt starken, bisher unbekannten Vehemenz, der sie weder widerstehen kann noch will, weiß sie auf einmal, dass dies ihre Chance ist. Sie spürt mit der sich immer stärker in ihr ausbreitenden Ruhe, die durch sein rammelndes Durchstoßen ihres lädierten Unterleibs nur noch kontrastreicher wird, dass dies die einzige, ihre einzige Möglichkeit ist, »bei Troste« zu bleiben, wie ihre Großmutter einen nicht umnachteten Sinneszustand ausgedrückt hätte.
Mit ihrem unbefriedigten Sexualleben hatte sie sich schon vor Jahren abgefunden: sie, die nie verstehen wollte, wie eine Frau frigide sein konnte, merkte plötzlich, dass sie wohl selbst zu der Kategorie gehört. Dabei tut ihr Angetrauter alles ihm Mögliche an akrobatischen Verrenkungen, fummelt an ihrer Klitoris, als sei sie eine Schraube, die es gälte festzudrehen, dreht und klemmt an ihren wunden Brustwarzen, bis diese wie harte Knöpfe stehen – in höchster Erregung, wie er fälschlicher Weise ihren abwehrenden Reflex interpretiert.
Sie würde es der Welt sagen, sich zur Stimme der vielen, routinierten Beischläferinnen machen, für die die ehelichen Pflichten zu genau dem geworden sind: Eine Pflicht, die es zu ertragen gilt, um des lieben Friedens willens.
»Ist es so gut?« fragt er mühsam zwischen zwei grunzenden Stößen seines leicht behäbigen Körpers. »Hm, ja, o ja!« haucht sie mit simulierendem Pathos und weiß, dass ihr – vorausgesetzt, seine unweigerliche Ejakulation ist noch nicht unmittelbar bevorstehend – diese kleine Lüge ein Minimum von drei, vielleicht sogar fünf gesegneten Minuten totaler Einsamkeit mit den eigenen Gedanken garantiert.
Als Kind hatte ihre beste Freundin ihr erzählt, dass ihr Vater ihre Mutter in jeder Mittagspause bestieg, während die Mutter seelenruhig ihre Brigitte las. Damals hatte sie voller Entsetzen und Unverständnis reagiert und sich ein solch >frigides< Verhalten überhaupt nicht erklären können. Heute weiß sie, dass diese Frau nur eine von Tausenden ist und man sie eigentlich für ihr chosenfreies Benehmen nur bewundern kann.
Sein Gegrunze und Gestöhne wird intensiver, ein sicheres Zeichen, dass ihr friedliches Schäferstündchen in wenigen Sekunden gnadenlos beendet sein wird. Sie überwindet sich zu einem routiniert leidenschaftlichen »hm, ooh, ja, … ohjaaa!« und löst damit seinen Samenerguss aus.
Mit einem letzten Aufgebot an tierischen Urlauten bricht er über, in und auf ihr zusammen und erinnert stark an eine von einer Stecknadel gepiekste Gummipuppe. Sie kann es kaum erwarten, bis er schnaufend von ihr abrollt, und sie ins Badezimmer stürzen kann, um sich der klebrigen Spermienmasse, die ihr die Schenkel hinabsickert, zu entledigen.
Als sie erleichtert und unbefriedigt ins Bett zurückkehrt, wird sie von seinem vertrauten Schnarchen empfangen, was ihr das eigene Einschlafen mal wieder unmöglich macht. Mit leisem Seufzen dreht sie ihm den Rücken zu, und widmet ihre Gedanken der weiteren Formulierung ihrer Geschichte.

© 2003 by Bubbi F.. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Die folgende Kritik (Zusammenfassung und Einzelkritik) stammt erneut nicht von mir, Malte Bremer, sondern von Nicole Thomas. Mehr dazu und zu ihrer Person findet sich hier. Jetzt aber zu »Nicoles Meinung«:

Stilistisch nicht ganz ohne Reiz, ist der Text darüber hinaus ein Spiegelbild des geschilderten Beischlafszenarios: Unbefriedigend und im Grunde genommen überflüssig. Insbesondere die weibliche Hauptperson wirkt so eindimensional und unglaubwürdig, dass es scheint, als sei auch die Kurzgeschichte selbst nicht mehr gewesen als eine lästige Pflichtübung.
Erzähltalent ist hier zweifellos vorhanden, sieht man es doch immer wieder durch dieses ganze abstruse Konstrukt hindurchschimmern. Leider kommt es nicht einmal ansatzweise zur Entfaltung. Ich unterstelle einfach mal, dass dieser Mangel nicht zuletzt durch das eigentliche Thema des Textes bedingt ist. Dieses Thema ist so abgegriffen wie die »Brigitte« im Wartezimmer des Arztes der Hauptfigur. Dazu noch etwas Neues oder auch einfach nur etwas Interessantes beitragen zu können, das nicht in einer dieser unzähligen Frauen(frust)zeitschriften in epischer Breite schon durchdiskutiert worden wäre, grenzt an einen literarischen Kraftakt herkulischen Ausmaßes, der hier leider nicht einmal ansatzweise bewältigt wurde.

Die Kritik im Einzelnen

Dieses Adjektiv steht an der falschen Stelle. Aus der weitergehenden Lektüre des Textes wird ersichtlich, dass der Mann offenbar sehr wohl etwas fühlt und recht munter bei der Sache ist. Die Gefühlsarmut während des Beischlafs ist ganz eindeutig das Problem der Frau, nicht das des Mannes, insofern sollte das dann auch zwecks korrekter Zuordnung auf ihrer Seite des Satzes stehen. Noch besser wäre es allerdings, diese Beschreibung ganz wegzulassen, da sie nicht zwingend notwendig ist. Dass Monotonie nicht gerade ein Garant für sexuelle Höhenflüge ist, dürfte wohl hinlänglich bekannt sein. zurück
Diese Zusammenstellung ist so nicht ganz stimmig. Ein Rhythmus zeichnet sich gerade durch eine gewisse Vorhersehbarkeit aus, unvorhersehbar wäre höchstens ein plötzlicher Rhythmuswechsel. zurück
Welch eine Satzkonstruktion! Kann hier nicht wenigstens auf das gut verzichtet werden? Da im Folgenden nichts davon geschrieben steht, dass die Tarnung auffliegt, muss sie wohl gut sein, ansonsten wäre sie durchschaut worden. Die Formulierung gut getarnt hinter wollüstig wirkenden geschlossenen Augen liefert zwar zwei nette Alliterationen, darüber hinaus jedoch ist diese Umschreibung sehr umständlich. Der Lesefluss jedenfalls wird dadurch nicht gerade verbessert. zurück
Eine möglichst genaue Beschreibung in allen Ehren, zu einer m.E. nach dringend erforderlichen Straffung des Satzes trägt es nicht gerade bei. Turnübungen auf ihr wären hier vollkommen ausreichend, dass der wenig begabte Beischläfer in der guten Frau drinsteckt, erschließt sich daraus, dass er mit monotonen, gleichmäßigen Stößen in sie eindringt. zurück
Dass ihre Aufmerksamkeit tatsächlich so ganz und gar ungeteilt ihren eigenen Gedanken gilt, widerspricht den vorhergehenden Aussagen. Immerhin ist da nur von beinahe automatischen Bewegungen die Rede, ein kleiner aber sehr wesentlicher Zusatz, der den Automatismus zumindest relativiert. Darüber hinaus erhält die gute Frau eine wollüstig wirkende Tarnung aufrecht, und das geht nicht, ohne nicht wenigstens dann und wann ein wenig Aufmerksamkeit darauf zu verschwenden, ob Rhythmus und Mimik noch stimmen. Ließe sie den Mann einfach machen, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, ginge die Sache mit der ungeteilten Aufmerksamkeit ja noch in Ordnung. Aber sie lässt ihn eben nicht einfach nur machen, sondern liefert ihm eine Show in Sachen Wollust. Dass sie darin inzwischen ein hohes Maß an Routine gewonnen hat, ist klar, aber wenn diese Show glaubhaft sein und damit ihre Tarnung auch weiterhin funktionieren soll, kann sie ihre Aufmerksamkeit zumindest nicht vollständig davon abziehen. zurück
Zugegeben, sprachlos ist nicht gleichbedeutend mit lautlos, trotzdem ist der Zusatz lautlos hier überflüssig, denn die Formulierung in sprachloser Wut in sich hinein gelitten sagt schon alles Wesentliche, nämlich, dass ein für beide befriedigendes Sexualleben offenbar nie ein Gesprächsthema zwischen ihnen gewesen ist. Das muss nicht noch einmal durch ein nachgeliefertes lautlos verstärkt werden. Und so ganz lautlos hat sie vermutlich wohl doch nicht gelitten, immerhin heißt es unmittelbar darauf, dass sie vor sich hin geweint hat. Oder hat sie sich bei der Heulerei nicht einmal mehr die leiseste Lautäußerung in Form eines Schluchzens gestattet? Außerdem: Warum hat die Gute in den ganzen Jahren denn nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht und versucht, an dieser für sie so unbefriedigenden Situation etwas zu ändern bzw. wenigstens ihrem Ärger Luft zu machen? Es gibt schon seltsame Leute. zurück
Gut zu wissen, nur: Wie kam es denn eigentlich zu diesem Sinneswandel? Oder war das etwa gar kein Sinneswandel, und Madame Frust ist einfach nur eine Masochistin, die auf psychische Demütigungen steht? Das wäre auch eine Erklärung dafür, warum sie nie versucht hat, etwas an ihrer Situation zu ändern, denn im Grunde genommen bezieht sie ihre Befriedigung dann ja aus ihrer nie artikulierten Wut und dem sinnlosen Herumgeflenne. Dass eine ungeliebte Tätigkeit irgendwann zur Gewohnheit wird, wenn man ihr mit Gleichgültigkeit begegnet, ist ja noch nachvollziehbar. Aber sich über so etwas dann plötzlich gleich zu freuen, ist schon ein wenig unglaubwürdig. zurück
Und warum schreibt man das dann nicht sofort, sondern nimmt erst noch den Umweg über eine, nicht irgendeine, statt gleich präzise das zu benennen, was eigentlich das Wesentliche ist? zurück
Dass die frustrierenden Erfahrungen unserer unbefriedigten Beischläferin zum Thema Sex in der Ehe durchaus die Qualität eines eingerissenen Fingernagels haben mögen, will ich nicht bestreiten. Nur ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, dass sie sich in die scheinbar nie enden wollende Reihe der Erfahrungsberichterstatterinnen einreihen möchte. Und wenn man auf diese Information nicht zurückgreifen kann, wirkt dieser Vergleich etwas irritierend: ein eingerissener Fingernagel ist etwas Hässliches, Störendes, das man durch den gewählten Satzbau jedoch auch auf die geplante Geschichte beziehen könnte. In diesem Fall wäre die Geschichte dann nicht viel mehr als noch ein weiterer Frustfaktor, und das ist ja wohl ganz eindeutig nicht so gemeint. Warum kann man es denn nicht schlicht und einfach bei der Formulierung belassen feilte an den gewählten Worten? zurück
Warum hier mit nicht nur, sondern auch gearbeitet wird, ist mir nicht ganz klar. Die Goldwaage schließt das innere Ohr doch nicht aus. Besser wäre es, eine Verbindung zu schaffen, indem man das nicht nur, sondern auch durch ein und ersetzt: . legt jedes [Wort] auf die sprichwörtliche Goldwaage und lässt jede Silbe vor ihrem unerbittlich kritischen inneren Ohr erklingen. Davon ganz abgesehen: Ist es für das Verständnis des Textes wirklich absolut zwingend notwendig, das alles in so epischer Breite zu beschreiben? Oder wäre nicht vielleicht schon die Aussage vollkommen ausreichend: Mit zunehmender Klarheit und wachsender innerer Ruhe denkt sie sich ihre Geschichte aus, feilt sorgfältig an den gewählten Worten.? zurück
Dieser Hinweis ist überflüssig. Dass diese passende Gelegenheit – aus welchen Gründen auch immer – bis jetzt wohl noch nicht da war, ist ziemlich offensichtlich, ansonsten hätte sie das Ganze ja wohl schon aufgeschrieben. zurück
Wieder ein Zusatz, der gar nicht erforderlich wäre. Einmal abgesehen davon, dass zu Papier gebrachte Worte erst dann wirklich wohlklingend sind, wenn sie jemand ausspricht, impliziert eine perfekte Formulierung für gewöhnlich auch Wohlklang. Es sei denn natürlich, eines der Stilmittel besteht in perfekt gewählten Dissonanzen. In jedem Fall sagt perfekt doch schon alles Wesentliche, also wozu noch dieser Hinweis auf den Wohlklang? Mag man bei den vorhergehenden Sätzen dem Text noch eine akribische Detailliertheit zugestehen, ist dieser Satzteil selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht viel mehr als unnötige Wortschinderei. zurück
Sofern sie kein Sachbuch schreiben möchte, in dem die Verständlichkeit des Textes Vorrang vor allem anderen hat, ist mir nicht so ganz klar, wie sie zwischen Wortwahl und -klang so strikt zu trennen vermag. Bedingt das eine nicht auch das andere? Abgesehen davon: Ist diese Erklärung überhaupt erforderlich? Der Text soll so perfekt wie möglich zu Papier gebracht und gegebenenfalls multimedial präsentiert werden. Was ist an dieser Aussage denn so unklar, dass es unbedingt noch näher erläutert werden muss? zurück
Bisher ließen mich die Länge und der kunstvoll gestrickte Aufbau der Sätze vermuten, dass der Leser den Text nicht einfach nur konsumieren, sondern auch ein wenig in seiner Lesebereitschaft und seinem Textverständnis gefordert werden sollte. Spätestens hier bin ich mir da jedoch nicht mehr so sicher. Schließlich wurde auf die Dauer der Ehe bereits im vorletzten Satz hingewiesen. Und jetzt schon wieder? Wie wäre es mit während dieser ganzen Jahre? zurück
Dieser ganze Satz ist ziemlich verworren und klingt sehr gestelzt. Besser wäre hier folgende Formulierung: Der zum dritten Mal ausgeschriebene Wettbewerb für die beste Kurzgeschichte in der »Brigitte« war ihr im Wartezimmer des Zahnarztes beim Durchblättern ins Auge gefallen. Denn erstens machen die Kurzgeschichten keinen Wettbewerb, und wenn man zweitens die Zeitschrift Brigitte deutlich als solche kennzeichnet durch ein einfaches der, kann man auf das gestelzte derselben getrost verzichten. zurück
Ungeahnt stark und ungekannte Vehemenz sind zwei Umschreibungen für ein und denselben Sachverhalt. Und eine der Beiden ist überflüssig. Meine Empfehlung wäre, das ungeahnt stark zu streichen, da der Eingriff in den Text auf diese Weise so gering wie möglich bleibt. zurück
Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass Männer offenbar keinen Ekel empfinden, wenn sie nur geil genug sind. Stört es ihn denn gar nicht, dass er, je nach Eintrittswinkel, sich entweder in ihren Darmschlingen verheddert oder sein bestes Stück plötzlich durch ihre Bauchdecke ragt? Ja, sicher, es ist natürlich klar, dass dieses Durchstoßen nur eine gehobenere Bezeichnung für Durchnudeln – oder noch weniger salonfähigere Ausdrücke – sein soll und nichts mit beschädigten Eingeweiden zu tun hat. Aber wenn man so sehr auf abfällige Umschreibungen des männlichen Beischlafverhaltens versessen ist, kann das eben schon einmal in unfreiwillige Komik münden, wenn der Leser die dargebotenen Beschreibungen einfach einmal wörtlich nimmt. Etwas weniger Geringschätziges ist vermutlich nicht ganz so befriedigend während des Schreibens, vermeidet jedoch andererseits ungewollte Erheiterung während des Lesens. zurück
Etwas Kontrastreiches ist nicht ruhig, sondern lebhaft, und Lebhaftigkeit ist für gewöhnlich eher das Gegenteil von Ruhe. Hier findet sich ein ähnlicher Widerspruch wie schon bei der Formulierung rhythmisch unvorhersehbar. Sicher können derartige Formulierungen auch bewusstes Stilmittel sein, Stichwort Oxymoron, aber dazu wird diese Technik wiederum nicht konsequent genug angewandt. Aus diesem Grund bin ich hier eher dazu geneigt, es als Fehler anzukreiden, denn es als Stilmittel zu betrachten. zurück
Diese Retardierung bzw. Verstärkung ist eine ähnliche Wortschinderei wie zuvor der Umweg über eine Geschichte hin zu ihre(r) Geschichte. Ich gebe zu, dass es im Grunde genommen eine sehr gelungene Methode ist, innerhalb des Textes selbst noch einmal zu unterstreichen, dass Madame Frust sich selbst offenbar nicht wichtig genug nimmt, um sich auch nur einmal direkt und ohne Umschweife an die erste Stelle zu setzen. Andererseits bleibt diese Frau derart eindimensional, dass solche fein gestrickten Verflechtungen letztendlich nicht mehr als leere Worthülsen und somit überflüssig sind. zurück
Wunderbar. Wissen wir also endlich auch, wie Großmama sich auszudrücken pflegte. Dieser Text quillt geradezu über vor unbeantworteten Fragen, aber statt sich auch nur im Entferntesten darum zu kümmern, wird lieber die Großmutter zitiert. Ist ja auch eine für das Verständnis des Textes absolut unverzichtbare Information. Nur dass ich den Sinn und Zweck, warum hier plötzlich noch die Oma ins Spiel gebracht wird, absolut nicht erkennen kann und darum auf wilde Spekulationen angewiesen bin. Möglicherweise sollte frustrierender Sex in der Ehe hier zu einem generationenübergreifenden Problem aufgebauscht werden. Allerdings ist eine Andeutung wie diese hier viel zu vage, um einen interessanten weiteren Aspekt in dieser Geschichte bilden zu können. Und so dient der Hinweis auf die Großmutter letztendlich doch nur dazu, den Satz um neun Worte zu verlängern. zurück
Unbefriedigendes Sexualleben erscheint mir hier angemessener als unbefriedigtes Sexualleben, schließlich ist nicht der Sex selbst unbefriedigt, sondern die Frau ist diejenige, die keine Befriedigung erfährt. zurück
Die Satzstellung ist hier nicht wirklich gelungen, denn im ersten Moment läuft der Leser Gefahr, sich zu einer ähnlichen Fehlinterpretation zu versteigen wie der so unglaublich tumbe Ehemann. Meine Empfehlung wäre, den Satz zu überarbeiten und ihn idealer Weise in mehrere Sätze zu unterteilen – vielleicht ergäbe sich dadurch auch die Möglichkeit, das nicht ganz so glückliche klemmt an ihren Brustwarzen durch kneift in ihre Brustwarzen zu ersetzen. Zumindest jedoch würde ich zu folgender Umformulierung raten: ein abwehrender Reflex, den er fälschlicherweise als höchste Erregung interpretiert. zurück
Eine Pflicht, selbst eine ungeliebte, gilt es zu erfüllen, nicht zu ertragen. Natürlich ist hier auch ein erhebliches Maß an stillschweigender Duldung involviert, dennoch erscheint mir die gewählte Wortkombination mit ihrer undifferenzierten Vermengung von aktivem und passivem Verhalten nicht ganz stimmig. zurück
So, spätestens hier ist der Punkt erreicht, an dem der Text sich selbst unweigerlich ad absurdum führt. Madame Frust hat doch angeblich 19 ½ Jahre lang in sprachloser Wut in sich hinein gelitten – und woher um alles in der Welt weiß sie dann mit so absoluter Sicherheit, dass sie Unfrieden heraufbeschwört, wenn sie ihre Enttäuschung einmal artikuliert? Ist sie Hellseherin? In jedem Fall jedoch ist diese Frau ein einziges Rätsel. Erstens: Warum hat sie in den ganzen Jahren nicht ein einziges Mal etwas gesagt? Um des lieben Friedens willen, klar, denn dank ihrer untrüglichen übersinnlichen Fähigkeiten weiß sie, dass ihr Mann natürlich kein Verständnis zeigen wird. Fein. Gehen wir also einfach mal davon aus, dass ihr Angetrauter sich für den besten Liebhaber unter der Sonne hält und von dieser Ansicht auch auf gar keinen Fall abzubringen ist. Bleibt immer noch die Frage, warum sie sich das alles satte 19 ½ Jahre(!) lang bieten lässt. Sind da irgendwelche Kinder, deretwegen sie um jeden Preis den Familienfrieden erhalten möchte? Oder will sie nur einfach das Image vom perfekten Paar nicht ankratzen? Dazu müsste von den Streitereien zwar erst einmal etwas an die Öffentlichkeit dringen, aber dieses Risiko besteht immerhin. Es gibt mit Sicherheit noch sehr viele andere sexuell unbefriedigte Ehefrauen, aber die haben wenigstens ihre Gründe. Und einen auch nur andeutungsweise nachvollziehbaren Grund kann ich bei Madame Frust selbst bei allerbestem Willen nicht entdecken. Bliebe vielleicht noch die Märtyrerinnen-Variante: Sie ist frustriert, sagt jedoch nichts, um den Mann nicht zu verletzen. Das würde dann ein sehr hohes Maß an Liebe voraussetzen, das Ganze über einen so langen Zeitraum mitzumachen, aber von Liebe kann ich hier nichts entdecken – es sei denn, Madame Frust empfindet es als Liebe, den Ehemann zu verachten. Wie es scheint, ist dieser Text so sehr darauf fixiert, die Gedanken einer sexuell unbefriedigten Frau während des ehelichen Beischlafs wiederzugeben, dass darüber hinaus ganz vergessen wurde, dieser Frau – von dem Mann ganz zu schweigen – einen Lebenslauf und daraus resultierend Beweggründe für ihr Verhalten mitzugeben, so dass dieses dem Leser schlüssig erscheint. zurück
Diese Charakterisierung wirkt hier seltsam deplaziert. Dass der Mann vollen Körpereinsatz bringt, ist ohnehin klar, und die Beschreibung seines leicht behäbigen Körpers wäre an anderer Stelle, vielleicht sogar schon früher im Text, wesentlich besser aufgehoben. zurück
Zwei Dinge. Erstens simuliert hier nicht das Pathos, sondern die Frau. Zweitens muss man an dieser Stelle den ohnehin schon sehr niedrig einzuschätzenden IQ der holden Beischläferin noch einmal nach unten korrigieren. Da fragt der Mann sie schon, ob es gut für sie ist – die Theorie, dass er sich ausschließlich auf sich und sein eigenes Vergnügen konzentriert, wird hier übrigens mal eben widerlegt -, und was säuselt sie als Antwort? Treffer, versenkt. Allerspätestens hier bietet sich ihr doch die perfekte Gelegenheit, endlich etwas an ihrer Situation zu ändern. Sie müsste statt »Hm, ja, o ja!« einfach nur einmal »Hm, ja, o ja – aber lass uns doch einfach noch mal etwas anderes versuchen.« sagen und ihn so ganz unauffällig, weil noch zusätzlichen Lustgewinn ihrerseits in Aussicht stellend, dazu bringen, einfühlsamer zu sein. Aber nein, sie tut es natürlich nicht. Immerhin liefe sie dann ja auch Gefahr, vielleicht einmal so etwas wie sexuelle Befriedigung zu erleben. zurück
Ist noch nicht unmittelbar bevorstehend klingt furchtbar umständlich und geschraubt, steht noch nicht unmittelbar bevor wäre eindeutig lesefreundlicher. zurück
Ich mag mich irren, aber hätte sie nicht weitaus mehr Ruhe und noch »totalere« Einsamkeit, wenn sie dieses ganze Theater zu einem möglichst baldigen Abschluss bringen würde? zurück
Wäre der Rest des Textes mit größerer ironischer Distanz zur Hauptfigur formuliert worden, fände sich hier der unbestreitbare Höhepunkt einer Beschreibung alltäglichen Ehe- und Beischlafwahnsinns. Da der Rest des Textes, anders als diese mit sicherer, leichter Hand verfasste Szene, jedoch einfach nur sehr konstruiert und schwerfällig wirkt, erscheint diese Beschreibung kein bisschen ironisch oder komisch, sondern einfach nur absurd. zurück
Diese Formulierung ist schlichtweg sachlich falsch. Frigidität oder, fachsprachlich korrekt, Störung der weiblichen Sexualität, ist eine ganz konkrete medizinische Indikation, also nichts Launenabhängiges. Es gibt doch auch kein blinddarmentzündetes oder rippengebrochenes Verhalten. zurück
Zweifellos eine interessante Wortschöpfung, nur leider ist sie fast ein bisschen zu kreativ, so dass sich ihre Bedeutung nicht so ohne weiteres erschließt und man wieder einmal nur mutmaßen kann, was eigentlich gemeint ist. Chose ist laut Duden definiert als »Sache, Angelegenheit, peinliches Vorkommnis«. Habe ich richtig geraten, wenn ich vermute, dass chosenfreies Benehmen besagt, die Mutter der Freundin habe durch ihr Verhalten eine peinliche Situation vermieden? Falls ich mit dieser Vermutung richtig liege, möchte ich entschiedenen Widerspruch anmelden. Für mich sieht das Ganze eher danach aus, als hätte die Gute Pech, dass ihr Angetrauter sich durch einen solchen Affront nicht im Geringsten beirren lässt. zurück
Wieder diese unnötige Detailversessenheit. Auf ihr reicht völlig, den Rest kann sich der Leser schon denken. zurück
Das bestreite ich, es sei denn, Madame Frust lutscht ihrem unfähigen Gatten während des Beischlafs vor lauter Langeweile die Knochen aus dem Leib. Dieser Vergleich ist nur bedingt komisch. Vielmehr reizt er durch seine aufgesetzt anmutende Verächtlichkeit nur wieder zu übertreiben spitzfindiger Betrachtung. zurück
Das wurde nun schon so oft betont, dass es inzwischen auch wirklich der Letzte begriffen haben dürfte. Wie wäre es statt dessen mit erleichtert, weil gesäubert oder einer ähnlichen Formulierung? zurück
Ach, die Arme! Nicht nur, dass ihr Angetrauter im Bett eine Niete ist, nein, schlimmer noch, die beiden sind so arm, dass sie sich nicht einmal mehr ein Sofa leisten können, auf das sie in so einem Fall ausweichen könnte. Das ist ja wirklich zu traurig! zurück
Und der vorliegende Text ist möglicherweise das Resultat? So reizvoll der Gedanke auch ist, dass sich der Kreis auf diese Weise schließt, angesichts dessen, was dann dabei herausgekommen wäre, könnte man diese Aussage regelrecht als Drohung empfinden. zurück

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