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Textkritik: Die gedroschene Welt – Lyrik

Eine Textkritik von Malte Bremer

Die gedroschene Welt

von Elisabeth Mittag
Textart: Lyrik
Bewertung: 4 von 5 Brillen

Die gedroschene Welt liegt vor mir,
bereit um aus ihr Bilder zu mahlen,
bereit um aus ihr Leben zu backen.

Doch:
Es fehlen Farbe, Mühle, Atem und Herd.

Die gedroschene Welt liegt vor mir,
und wäre schöner gewesen,
wäre sie am Halm geblieben!

© 2001 by Elisabeth Mittag. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Mensch Elisabeth, schreibe bloß weiter!
Behutsam wird mit den sprachlichen Mitteln umgegangen, Gefühle werden nicht aufgedrängt, sondern dürfen sich entwickeln, ein ausgeprägtes Gefühl für den Zusammenhang von Form und Inhalt ist zu spüren – und wenn man wie ich dann noch weiß, dass die Autorin 17 Jahre alt ist: dann kann man nur noch staunen und gratulieren und hoffen:

Die Kritik im Einzelnen

Das versteckte Partizip »bereit (seiend)« bezieht sich grammatisch logisch auf gedroschene Welt, was zur Folge hat, dass das Vorhaben des lyrischen Ichs, nämlich aus der Welt Bilder zu mahlen, dieser Welt als Absicht unterschoben wird: dann müsste der folgende Satz eine passivische Konstruktion haben: bereit zu Bildern gemahlen zu werden.
Das aber klingt ausgesprochen hässlich und ist zudem falsch, denn schließlich will das lyrische Ich aktiv werden! Zudem fehlte der Gleichklang mahlen-malen: gemahlen-gemalt liefert nicht die gleichen Kopfbilder. Ich würde empfehlen, bereit beide Male zu streichen; die unmittelbare Nähe der Absichtserklärung um aus ihr (…) zu mir würde die immer noch vorhandene Anbindung an gedroschene Welt abschwächen – sie schwänge gewissermaßen nur noch mit: das lyrische Ich will es so, und auch die Welt will es so. zurück
Dieses Doch kriegt ein ungeheures Gewicht, da es völlig allein und gleichzeitig vor der längsten Textzeile steht – das will aber nicht zu dem resignativen dritten Abschnitt passen. Entfiele der dritte Abschnitt ganz (was ich mir durchaus vorstellen könnte), wäre ich uneingeschränkt einverstanden. So aber empfehle ich ein Anpassung an die Vorgaben des ersten Abschnittes: Doch fehlen Farbe und Mühle, / Atem und Herd. Das zweifache und hat seine Entsprechung in dem zweifachen zu, denn es verbindet die Substantive wie das zu die Elemente der Infinitivkonstruktion. zurück
Das Komma nach vor mir ist in diesem Abschnitt falsch (nicht, dass sich Autoren unbedingt nach den Regeln richten müssten – iwo! Aber entsprechende Änderungen müssten ganz bewusst gesetzt sein, und das erscheint mir hier fraglich) und wohl darauf zurückzuführen, dass die erste Zeile hier wiederholt wird. Das Komma aber könnte bleiben, finge die folgende Zeile nicht mit und an, sondern mit sie; dadurch ergäbe sich eine Überkreuzstellung der Zeilenanfänge: sie wäre … gegenüber wäre sie …, was wiederum den Kontrast verstärkte zu dem absoluten Paralleleismus am Ende des ersten Abschnitts. Zusammengefasst ergäbe sich folgender Verbesserungsvorschlag:

Die gedroschene Welt liegt vor mir,
um aus ihr Bilder zu mahlen,
um aus ihr Leben zu backen.

Doch fehlen Farbe und Mühle,
Atem und Herd.

Die gedroschene Welt liegt vor mir,
sie wäre schöner gewesen,
wäre sie am Halm geblieben!

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© 2001 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.