Das Präsens ist beliebt. Insbesondere unterhaltende Frauenliteratur wird heutzutage gerne in der Jetzt-Zeitform erzählt. Bekanntestes Beispiel ist »50 Shades of Gray«, doch auch in »Die Tribute von Panem« schildert die Ich-Erzählerin Katniss ihre Abenteuer ohne Zeitversatz im Präsens.
Ist die Verwendung des Präsens eine Modeerscheinung? Vor einiger Zeit mochten manche Leser die Gegenwartsform gar nicht. Jetzt hingegen könnte in einigen Genres die Vergangenheitsform von Lesern und Leserinnen als antiquiert betrachtet werden.
Die Lektorin Lisa Kuppler berichtet im Gespräch mit Wolfgang Tischer und Fabian Neidhardt, welche Probleme das Präsens mit sich bringen kann.
Lisa Kuppler stellt in ihrem Arbeitsalltag als Lektorin immer wieder fest, dass nicht alle Autoren mit dem Präsens umgehen können. Oft wird eine Rückblende im Präteritum eingebaut – und dann bleibt die Autorin in dieser Zeit und kehrt nicht mehr ins Präsens zurück. Nicht immer fällt das der Schreiberin auf.
Speziell in Verbindung mit dem Ton der Ich-Erzählerin kann das Präsens problematisch sein. Das unmittelbare unreflektierte Erzählen wirkt nicht immer stimmig.
Lisa Kuppler bedauert, dass Genre-Texte so gut wie nie sprachkritisch beleuchtet werden. Oftmals geht es bei Besprechungen nur darum, ob die Story spannend oder gut gemacht ist, Betrachtungen zur Sprache finden sich kaum.
Im Gespräch von der Narrativa gibt die Lektorin auch einen Ausblick, welche weiteren Sprachtrends auf dem Buchmarkt anstehen könnten.
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Ich finde es sehr interessant, dass diese Problematik einmal angesprochen wird. Ich bin kein Vielleser, doch mich nervt schon das journalistische Präsens, womit uns die gegenwärtige Präsenz der Berichterstatter und absolute Aktualität vorgegaugelt werden sollen. Manchmal verfälscht das den Inhalt und der Text wird unverständlicher. Möglicherweise rennt diese Art des Schreibens der Online-Aktualität hinterher.
Ich bin 1958 geboren, also fast jetzt eben 🙂
Die literarische Gattung, die sich idealerweise für ein Erzählen im Präsens anbietet, ist die Kurzgeschichte – egal, ob das in der Ich-Form geschieht oder nicht. Bei einer längeren Erzählung, einer Novelle oder einem Roman, sieht das schon wieder ganz anders aus; hier kann man sich als Autor und Verfasserin sozusagen flüchten auf die sichere Ebene des Präteritums. Sehr interessant finde ich auch Jeanine Krocks Bemerkung zu den Altersstrukturen der Protagonisten und Leser. Man kann hier nicht ausdrücklich nur auf Frauenromane eingehen, wobei es wirklich gute Literatur meiner Meinung nach überhaupt an sich hat, nicht geschlechtsspezifisch ausgerichtet zu sein. “Die Leiden des jungen Werthers” zum Beispiel – die Geschichte hat praktisch Jahrhunderte überlebt, steht heute noch als zeitloses Symbol für eine unglückliche Liebe schlechthin und gewiss war der Großteil ihrer Leser und Leserinnen bedeutend älter als die Titelfigur.