StartseiteBachmannpreis 2024Kritik an der Literaturkritik: Der Bachmannpreis in Wien

Kritik an der Literaturkritik: Der Bachmannpreis in Wien

»Bachmannpreis meets Vienna« auf der Buch Wien 2024. Von links: Peter Fässlacher, Ferdinand Schmalz, Anna Baar, Daniel Wisser und Brigitte Schwens-Harrant (Foto: Screenshot 3sat)
»Bachmannpreis meets Vienna« auf der Buch Wien 2024. Von links: Peter Fässlacher, Ferdinand Schmalz, Anna Baar, Daniel Wisser und Brigitte Schwens-Harrant (Foto: Screenshot 3sat)

Keine Angst! Der Bachmannpreis wird auch 2025 wieder in Klagenfurt stattfinden. Allerdings stattete der Literaturwettbewerb im November der Messe »Buch Wien« einen Besuch ab. Dort wurden jedoch keine Prosa-Texte von Kritikern bewertet, sondern Autoren urteilten über Literaturkritiker.

»Bachmannpreis meets Vienna«

Am Anfang ist das bekannte Celli-Intro der Bachmannpreis-Übertragung zu hören und dann begrüßt Bachmannpreis-Moderator Peter Fässlacher das Publikum. Zum ersten Mal gibt es eine Art Spin-Off des Bachmannpreises auf der österreichischen Buchmesse »Buch Wien«. Die Idee zu diesem Format hatte der langjährige Bachmannpreis-Koordinator und ORF-Redakteur Horst Ebner.

»Bachmannpreis meets Vienna« lautete der Titel der gut 45-minütigen Veranstaltung auf der Bühne der 3sat.Lounge der Buch Wien, die am 20. November 2023 stattfand und deren Mitschnitt nun in der 3sat-Mediathek zu sehen ist.

Ernst zu nehmende Literaturkritikkritik

Das Bachmannpreis-Prinzip der öffentlichen Literaturkritik wird hier umgedreht. Stattdessen kritisieren drei Autoren die Literaturkritik. Natürlich wäre es ein leichtes und vielleicht telegeneres Unterfangen gewesen, hätte man Mitschnitte von legendären Bachmannpreis-Jurydiskussionen, am besten aus der Zeit von Marcel-Reich Ranicki, eingespielt, um sich darüber süffisant zu amüsieren. Doch das wären billige Lacher gewesen. Zum Glück sind wir aber bei 3sat, wo Kultur noch ernst genommen wird und nicht zum Spektakel verkommen soll.

Die Autoren Ferdinand Schmalz (Bachmannpreisträger 2017), Anna Baar (Teilnehmerin 2019) und Daniel Wisser (Teilnehmer 2011) analysierten und kritisierten daher durchaus ernst aber nicht humorlos drei literaturkritische Texte: Eine Rezension von Carsten Otte zu »Nachhausekommen« von Jan Peter Bremer, Roman Buchelis Kritik zu »Im Frühling sterben« von Ralf Rothmann und eine Laudatio von Literaturkritikerin und Ex-Bachmann-Jurorin Daniela Strigl auf »Toni und Moni« von Petra Piuk«. Freilich lasen die Kritiker ihre Texte nicht selbst vor, dies übernahm ORF-Sprecherin Susanne Rossouw.

Rede zur Literaturkritik

Steht am Anfang der Tage der deutschsprachigen Literatur, wie die Lesetage des Bachmannpreises offiziell heißen, immer die »Klagenfurter Rede zur Literatur«, so wurde auch die Veranstaltung in Wien von einer Rede eröffnet. Die bei der Abstimmung im literaturcafe.de wiederholt zur beliebtesten Bachmannpreis-Jurorin gewählte Brigitte Schwens-Harrant eröffnete mit einer »Rede zur Literaturkritik«.

Schwens-Harrant zitierte zunächst Virginia Woolf, die einmal Kritiker mit Schützen vor einer Schießbude verglich. Beim schnellen Zielen in kurzer Zeit könne man da schon mal Adler mit Hühnern verwechseln oder eine unbeteiligte Kuh auf der Wiese nebenan treffen. Solch eine Form der Literaturkritik sei unbrauchbar, konstatierte Virginia Woolf im Jahre 1926.

Das Problem der Zeitknappheit für eine Kritik sei aktueller den je, sagt Schwens-Harrant, und es gebe immer noch Kritiker, die sich als solche Schützen verstehen. Kritiker, die sich als Richter sehen. Diese Haltung sei jedoch in den letzten Jahren zu Recht in Verruf gekommen, zumal Kritik durch die sozialen Medien nicht mehr auf nur auf wenige Medien beschränkt sei, deren Platz für die Literaturkritik ebenfalls beschränkt sei. Es gebe daher immer noch Macht, sie sei nur anders verteilt.

Ãœber Geschmack respektvoll streiten

Literaturkritik sei aber immer auch eine Kritik der Kritik. »[Die Literaturkritik] hat Wertungen zu stören, die sich ihrer Sache zu sicher sind. Kritik üben bedeutet, zu unterscheiden und urteilen. Literaturkritik, die diesen Namen auch verdient, bezieht Position und argumentiert und begründet diese«, sagt Schwens-Harrant. Der Ausspruch »Über Geschmack lässt sich nicht streiten« sei daher nicht richtig, denn über Geschmäcker und Geschmacksurteile ließe sich »sehr gut streiten«. Ohne diesen Streit wäre Kunst nicht denkbar, gäbe es nicht die Vielfalt der Urteile.

»Es braucht keine Einigung auf ein Urteil. Wichtiger ist der Prozess«, postuliert Schwens-Harrant, »die Auseinandersetzung mit anderen Postionen und Argumenten. Es braucht ein öffentliches Miteinander-Reden von Menschen, die respektvoll und kritisch ihren Standpunkt, ihre Perspektive, ihre Machtposition reflektieren.«

Die Aufzeichnung der Veranstaltung »Bachmannpreis meets Vienna« ist noch bis zum 30.08.2025 in der 3sat-Mediathek zu sehen. Der nächste Bachmannpreis-Wettbewerb (Tage der deutschsprachigen Literatur) findet vom 25. bis 29. Juni 2025 in Klagenfurt statt.

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1 Kommentar

  1. Lohnt es sich wirklich noch, den Ingeborg-Bachmann-Preis zu diskutieren? Da ist die mangelnde Fairness der Jurydiskussionen, die oft als unzureichend und nicht textbezogen wahrgenommen wird. Zudem ähnelt der Wettbewerb inzwischen Castingshows, was den Fokus von literarischer Qualität auf Sensation und Unterhaltung verlagert. Kritiker weisen auch darauf hin, dass bestimmte stilistische Merkmale bevorzugt werden, was die kreative Vielfalt einschränken kann. Politische Einflüsse in den Bewertungen und Spannungen zwischen Jury und Publikum tragen zusätzlich zur Kontroversität bei. Diese Aspekte werfen Fragen zur Objektivität und Relevanz des Preises auf.

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