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Bachmannpreis 2025: Auffälligkeiten bei der Punktevergabe werfen Fragen auf

Justitiar Magister Andreas Sourij (links) und Moderator Peter Fässlacher bei der Auswertung der Punkte (Foto: Johannes Puch/ORF)
Justitiar Magister Andreas Sourij (links) und Moderator Peter Fässlacher bei der Auswertung der Punkte (Foto: Johannes Puch/ORF)

Der Bachmannpreis 2025 zeigt einmal mehr, wie komplex die Entscheidungsfindung bei literarischen Wettbewerben sein kann. Eine Analyse der Punktevergabe offenbart einige bemerkenswerte Entscheidungen, die möglicherweise über rein literarische Urteile hinausgehen – oder vergessene Aspekte berichtigen.

Natascha Gangl aus Österreich gewann den Ingeborg-Bachmann-Preis 2025 mit deutlichem Abstand. Das Besondere an diesem Literaturwettbewerb: Anders als bei vielen anderen Literaturpreisen gibt es keine geheime finale Jury-Diskussion. Stattdessen vergeben die sieben Jury-Mitglieder am Sonntag auf Basis der öffentlichen Diskussionen der Vortage Punkte von 5 (höchste Wertung) bis 1 (niedrigste Wertung) an die Lesenden. »Wer am Schluss die meisten Punkte hat, gewinnt«, brachte es Justitiar Magister Andreas Sourij bereits am Abend der Eröffnung auf den Punkt. Anschließend folgen die weiteren Jury-Preise: der Deutschlandfunk-Preis, der Kelag-Preis und der 3sat-Preis.

Boris Schumatsky (Deutschlandfunkpreis), Tara Meister (Carinthischer Sommer - Festivalschreiberin), Natascha Gangl (Bachmannpreis und Publikumspreis), Almut Tina Schmidt (3sat-Preis) und Nora Osagiobare (Kelag-Preis) - die Preisträger der 49. Tage der deutschsprachigen Literatur 2025 in Klagenfurt (von links nach rechts / Foto: Tischer)
Boris Schumatsky (Deutschlandfunkpreis), Tara Meister (Carinthischer Sommer – Festivalschreiberin), Natascha Gangl (Bachmannpreis und Publikumspreis), Almut Tina Schmidt (3sat-Preis) und Nora Osagiobare (Kelag-Preis) – die Preisträger der 49. Tage der deutschsprachigen Literatur 2025 in Klagenfurt (von links nach rechts / Foto: Tischer)

Ein genauer Blick auf die diesjährige Punktevergabe, die nun auf bachmannpreis.orf.at veröffentlicht wurde, zeigt einige durchaus bemerkenswerte Auffälligkeiten.

Die Punktevergabe der Jury

Thomas Strässle:
5 Gangl
4 Schumatsky
3 Sumburane
2 Schmidt
1 Bissinger

Mara Delius:
5 Schumatsky
4 Gangl
3 Schmidt
2 Matter
1 Stauffer

Laura De Weck:
5 Osagiobare
4 Gangl
3 Khan
2 Schumatsky
1 Meister

Klaus Kastberger:
5 Gangl
4 Osagiobare
3 Schmidt
2 Bissinger
1 Schumatsky

Brigitte Schwens-Harrant:
5 Meister
4 Höfler
3 Khan
2 Schumatsky
1 Matter

Mithu Sanyal:
5 Laabs
4 Kavouras
3 Osagiobare
2 Gangl
1 Schumatsky

Philipp Tingler:
5 Bissinger
4 Matter
3 Gangl
2 Stauffer
1 Meister

Die finale Rangfolge

Hieraus ergab sich nach der ersten Abstimmung folgende Reihenfolge:

  1. Natascha Gangl (Brigitte Schwens-Harrant) – 23 Punkte
  2. Boris Schumatsky (Philipp Tingler) – 15 Punkte
  3. Nora Osagiobare (Thomas Strässle) – 12 Punkte
  4. Almut Tina Schmidt (Brigitte Schwens-Harrant) – 8 Punkte
    Thomas Bissinger (Mara Delius) – 8 Punkte
  5. Kay Matter (Thomas Strässle) – 7 Punkte
    Tara Meister (Mara Delius) – 7 Punkte
  6. Fatima Khan (Mithu Sanyal) – 6 Punkte
  7. Laura Laabs (Laura de Weck) – 5 Punkte
  8. Max Höfler (Klaus Kastberger) – 4 Punkte
    Nefeli Kavouras (Laura de Weck) – 4 Punkte
  9. Sophie Sumburane (Mithu Sanyal) – 3 Punkte
    Verena Stauffer (Klaus Kastberger) – 3 Punkte

Josefine Rieks (eingeladen von Philipp Tingler) erhielt als einzige der Teilnehmenden keine Punkte von der Jury – möglicherweise nicht nur aufgrund der Textqualität, sondern vielleicht auch aufgrund der Dinge, über die die taz berichtete, die jedoch in Klagenfurt nicht offen thematisiert wurden.

Da Almut Tina Schmidt und Thomas Bissinger beide 8 Punkte hatten, gab es nach der ersten, fürs Publikum zunächst verdeckten Abstimmung eine Stichwahl, bei der sich Schmidt für den 3sat-Preis durchsetzte. Wie die Jury hier abstimmte, wurde nicht veröffentlicht.

Bemerkenswerte Entscheidungen einzelner Juroren

Schwens-Harrants ungewöhnliche Gewichtung und ihre Begründung

Brigitte Schwens-Harrant fiel durch eine bemerkenswerte Punkteverteilung auf. Ihre Höchstpunktzahl (5 Punkte) ging an Tara Meister, 4 Punkte erhielt Max Höfler – ein Autor, der nach Meinung von Experten keine Chance auf einen Preis hatte. Thomas Bissinger, der am Ende punktgleich mit Schmidt auf Platz 4 landete und damit in die Stichwahl ging, erhielt von ihr keine Punkte.

Hätte Schwens-Harrant Bissinger auch nur einen Punkt gegeben, wäre eine Stichwahl nicht nötig gewesen, da er dann vor Schmidt gelegen hätte. So aber musste die Jury verdeckt ein zweites Mal abstimmen – und Schmidt gewann.

Möglicherweise, so könnte es gesehen werden, spielte es bei Schwens-Harrants Punktevergabe eine Rolle, dass sie laut Statuten für ihre beiden eingeladenen Kandidaten – Natascha Gangl und Almut Tina Schmidt – keine Punkte vergeben durfte. Ihre hohe Punktzahl für den aussichtslosen Max Höfler könnte daher als strategische Entscheidung gesehen sein, um ihren eigenen Kandidaten keine Konkurrenz zu schaffen. Die Situation erinnert an ähnliche Fälle in der Vergangenheit, wie etwa das Abstimmungsverhalten von Insa Wilke 2019, das das literaturcafe.de damals analysierte.

Schwens-Harrant: »Nicht immer kommt alles Wichtige in den Fokus«

Brigitte Schwens-Harrant (Foto: Johannes Puch/ORF)
Brigitte Schwens-Harrant (Foto: Johannes Puch/ORF)

Natürlich haben wir bei Brigitte Schwens-Harrant nachgefragt. In ihrer Antwort betont sie, dass sie bereits in der Diskussion die Spracharbeit Höflers gelobt habe. Schwens-Harrant schreibt: »Ich nehme generell, da Literatur Sprachkunst sein sollte, bei meinen Rankings, die ja am Ende leider sein müssen, dann vor allem auch die Spracharbeit in den Blick. (Wie ja auch bei meinen eingeladenen Texten.)«

Weiter schreibt Schwens-Harrant, die vom Publikum zweimal zur beliebtesten Bachmann-Jurorin gewählt wurde und in diesem Jahr nur knapp hinter Thomas Strässle lag:

Nicht immer kommt in den Diskussionen alles, was wichtig wäre, in den Fokus, das fällt mir leider manchmal erst hinterher auf, aber das wird auch anderen so gehen und das geht mir sogar bei den eigenen Kandidatinnen so, dass ich nachher denke: Ach, das hätte ich noch sagen müssen. Deshalb nehme ich mir, bevor ich vote, noch einmal viel Zeit, über die Texte und darüber, wie wir sie besprochen haben, nachzudenken – und darüber, was ich womöglich übersehen habe.

Max Höflers Text gehört für mich zu jenen Texten, die von uns unter ihrem Wert diskutiert wurden. Dass da Ovids Metamorphosen durchklingen zum Beispiel (die ja selbst eine unglaubliche Fülle an Tönen aufweisen, auch komische, groteske, irrste Verwandlungen und Variationen …) – ich fürchte, das war gar nicht Thema in unserer Diskussion.

Sanyals eigenwillige Bewertungen

Mithu Sanyal (Foto: Johannes Puch/ORF)
Mithu Sanyal (Foto: Johannes Puch/ORF)

Mithu Sanyal vergab nicht das erste Mal ihre Punkte auf eine Weise, die sich deutlich von der Gesamttendenz unterschied. Ihre Höchstpunktzahl 5 ging an Laura Laabs, 4 Punkte gingen an Nefeli Kavouras. Beide Autorinnen erhielten von den anderen Juroren keine Punkte. Siegerin Gangl erhielt von Sanyal nur 2 Punkte.

Sanyal folgte damit einem Muster, das bereits in früheren Jahren auffiel: Ihre Bewertungen scheinen weniger der allgemeinen Diskussion zu folgen als eigenen Kriterien, die von außen schwer nachvollziehbar sind. Sympathien für Autorinnen und Autoren und behandelte Themen sind ihr offenbar wichtiger.

Keine Punkte von de Weck

Laura de Weck (Foto: Johannes Puch/ORF)
Laura de Weck (Foto: Johannes Puch/ORF)

Laura de Wecks Wertung zeigt ebenfalls eine Abweichung zwischen Diskussion und abschließender Bewertung. Während sie sich in der Jury-Diskussion durchaus positiv über den Text von Thomas Bissinger äußerte – positiver als Klaus Kastberger und Thomas Strässle, die ihm immerhin Punkte gaben –, ließ sie ihn in ihrer Bewertung außen vor.

Ihre 5 Punkte gingen an Nora Osagiobare. Trotz positiver Äußerungen vergab sie jedoch keine Punkte an Thomas Bissinger, der sich somit der Stichwahl stellen musste.

Natascha Gangl als eindeutige Siegerin

Bachmannpreis 2025: Natascha Gangl (Foto: Tischer)
Bachmannpreis 2025: Natascha Gangl (Foto: Tischer)

Trotz der Abweichungen bei einzelnen Bewertungen steht Natascha Gangls Sieg außer Frage. Sie erhielt Punkte von allen Juroren, die für sie stimmen durften, meist sogar in den oberen Rängen, und sie gewann mit einem deutlichen Vorsprung von 8 Punkten auf Boris Schumatsky.

Fazit: Systemische Fragen und öffentliche Begründungen

Die Analyse der Punktevergabe könnte erneut die Diskussion über das Bewertungssystem beim Bachmannpreis anregen. So war es bereits in der Vergangenheit mein Vorschlag, dass im Sinne der Transparenz die Juroren ihre Punktevergabe zumindest nachträglich bei der Veröffentlichung begründen sollten, so wie es Brigitte Schwens-Harrant für uns dankenswerterweise auf Nachfrage hin getan hat, sodass für alle nachvollziehbar ist, warum final wer wem Punkte gegeben hat und es nicht zu Spekulationen kommt.

Für Thomas Bissinger bedeutete die Konstellation jedenfalls den Unterschied zwischen direktem Sieg und einer verlorenen Stichwahl.

Trotz der vielgepriesenen Transparenz bleibt damit der Bachmannpreis nicht nur ein Wettbewerb der Texte, sondern ein komplexes Spiel verschiedener Bewertungsstrategien – mit allen Unwägbarkeiten, die das für die teilnehmenden Autoren bedeutet. Da mag die Punktewertung die geringste sein.

Wolfgang Tischer

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2 Kommentare

  1. Tja, hier ist wieder einmal klar geworden, dass man an solch schwer gehypten und hochgelobten Wettbewerben eigentlich gar nicht teilnehmen sollte: das tut weh, wenn man sich die einzelnen Bewertungs-Texte durchliest. Hier kommt schon das Gefühl hoch, dass “a bisserl a Freunderl-wirtschaft” mit im Spiel sein könnte…? Wobei noch die Art der Punkte-Vergabe überarbeitet gehört, oder? Da macht sich der oder jener oder diese oder jene unheimlich wichtig und vergisst, dass hier Autoren eingereicht hatten, die ihr Herzblut und ihr Talent in die eingereichte Arbeit hineingelegt hatten. Wurscht! Wir ziehen das nun mal so durch und AUS!
    Danke. Da ist wohl wieder ein wenig Farbe abgeblättert von einem grundsätzlich sauberen Schreibwettbewerb…
    Bitte Vorgenanntes nicht als Kommentar eines nicht zum Zuge gekommenen, beleidigten Autors zu verstehen: dies gehört zur erlaubten, allgemeinen Kritik.

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