StartseiteLiterarisches LebenKanada-Filmtipp: Je m’appelle humain – Dichten, damit die Wörter nicht verloren gehen

Kanada-Filmtipp: Je m’appelle humain – Dichten, damit die Wörter nicht verloren gehen

Marie-Andrée Gill (links) und Joséphine Bacon besuchen die Tundra, das Land ihrer Vorfahren, das Land der Älteren, das Land von Papakassik. (Foto: Maison4tiers)
Marie-Andrée Gill (links) und Joséphine Bacon besuchen die Tundra im Norden Québecs, das Land ihrer Vorfahren, das Land der Älteren, das Land von Papakassik. (Foto: Maison4tiers)

Die kanadische Autorin Joséphine Bacon schreibt Gedichte in der Sprache ihrer Vorfahren, damit deren Wörter nicht verloren gehen. Der Film »Je m’appelle humain« begleitet die Poetin auf einer Reise zu den Älteren. Das DOK.fest München zeigt den Film noch bis zum Sonntag (23.05.21) als Deutschlandpremiere im Internet.

Mit Stock, Gehilfen und Krücken scheint die kleine Frau den ganzen Film zu durchwandern. »In der Sprache meiner Vorfahren«, sagt Joséphine Bacon am Anfang, »gab es keine Wörter für Poesie und Dichtkunst«. Die Älteren waren mit der Natur verbunden. Alles war lyrisch.

Joséphine Bacon wurde als Kind der Innu im nordwestlichen Québec in Kanada geboren. Heute lebt die 74-Jährige in Montréal. Doch noch immer sei sie eine Nomadin der Tundra, schreibt sie in einem ihrer Gedichte. Zur Lyrik kam sie erst spät. Bacon arbeitete als Übersetzerin, Dokumentarfilmerin und Komponistin. Joséphine Bacon schreibt in der Sprache ihrer Vorfahren, um deren Wörter lebendig zu halten.

Im Film der kanadischen indigenen Filmemacherin und Human-Rights-Aktivistin Kim O’Bomsawin sehen wir Bacon dann an der Seite ihrer jüngeren Kollegin Marie-Andrée Gill, ebenfalls eine Innu. Die beiden warten in Montréal auf einen Bühnenauftritt. Joséphine erhält 2019 den »Prix des libraires du Québec«, den Preis der Buchhandlungen Quebecs für ihr Buch »Uiesh/Quelque part«.

Sodann laufen wir mit Joséphine Bacon durch das schneematschige Montréal. Sie steht auf dem Gelände einer hell erleuchteten modernen Tankstelle. Joséphine war obdachlos, als sie 1968 in die Stadt kam, und sie schlief hier auf dem Gelände, das damals schon eine Tankstelle war. Sie besuchte ein Szenelokal und fand Anschluss an die Kunstszene.

Fast immer lacht Joséphine im Film. Doch von der Schulzeit in den 1960er-Jahren mag sie nicht viel erzählen. Die Kinder der Innu wurden von ihren Familien getrennt und in ein katholisches Internat für »Indianerkinder« gesteckt. Nonnen unterwarfen die Kinder einer strengen Disziplin. Es wurde getanzt, aber auch marschiert. Aktuelle Berichte lassen noch Schlimmeres vermuten.

Ebenfalls an der Seite von Marie-Andrée Gill und dem Filmteam macht sich Joséphine auf die Reise in die Tundra und das Land ihrer Vorfahren, der Älteren. Sie suchen nach Papakassik, dem Herrscher über die Karibus.

Sie sitzen am Rand der Seen, blicken auf den Horizont. Wie es schon die Älteren taten.

Ein stimmungsvoller Film mit Naturbildern, einer wunderbaren Musik und den Gedichten von Joséphine Bacon auf Innu und Französisch.

Der Film wird noch bis zum 23. Mail 2021 als Deutschlandpremiere auf der Website des DOK.fest München @Home gezeigt. Man kann den Zugang einzeln für 6 Euro erwerben oder im Rahmen des digitalen Festivalpasses, mit dem man Zugriff auf alle gezeigten 131 Filme aus 43 Ländern hat.

Kanada ist in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse. Der Film »Je m’appelle human/Call me human« ist Teil von Kanadas Kulturprogramm als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2020/21. Der Film ist nominiert für den kinokino Publikumspreis, gestiftet von BR und 3sat. Auf YouTube ist ein Gespräch mit der Regisseurin Kim O’Bomsawin zu sehen.

Je m’appelle human/Call me human. Autor: Kim O’Bomsawin. Kamera: Hugo Gendron, Michel Valiquette. Ton: Lynne Trépanier, Luc Raymond. Schnitt: Alexandre Lachance. Musik: Alain Auger. Produktion: Terre Innue. Produzent: Andrée-Anne Frenette. Länge: 78 min. Französisch mit englischen Untertiteln.

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