Ex-US-Präsident Bill Clinton und Fließbandschreiber James Patterson wollten zusammen so etwas wie einen Thriller schreiben. Doch »The President is Missing« ist nichts weiter als eine Ansammlung billiger Spannungstricks auf niedrigstem Niveau mit einem haarsträubend unlogischen und langweiligen Plot und ekelerregendem US-Pathos.
Nehmen Sie besser einen Eimer mit, wenn Sie dieses Buch am Strand lesen wollen.
Billig zusammengeklöppelte Handlung
Warum ist dieser unmotivierte Texthaufen ganz vorn in den Bestsellerlisten – auch hier in Deutschland? Weil ein ehemaliger US-Präsident daran mitgeschrieben hat? Warum kaufen Leute dieses Buch? Erwarten sie so etwas wie einen Schlüsselroman? Das ist »The President is Missing« nicht. Erwarten sie eine Art Gegenentwurf zum Trump-Land? Das ist »The President is Missing« irgendwie auch nicht.
Doch wenn Hauptperson und Ich-Erzähler des Buches ein fiktiver US-Präsident ist, so mag man beim Namen Clinton auf eine gewisse Authentizität des Textes hoffen und auf die Beschreibung von administrativen Vorgängen, die Einblicke ins echte Leben des Präsidenten geben.
James Patterson wird nachgesagt, er betreibe in Florida eine Schreibfabrik und arbeite ohnehin regelmäßig mit Co-Autoren. Diesmal ist es also der ehemalige US-Präsident. Wie die Zusammenarbeit genau ausgesehen hat, das wissen wir nicht. Der Tagesspiegel zitiert die beiden Autoren mit den Worten, dass das Manuskript zwischen den beiden hin und her gewandert sei wie ein Tischtennisball.
Immer wenn im Text präsidial selbstbeweihräuchernde Passagen auftauchen, wenn die USA oder die wunderbare Arbeit des Secret Service gelobt werden, dann hört man förmlich den Clinton raus. Die billig zusammengeklöppelte Handlung mit simplen Taschenspieler-Autorentricks mag man eher Patterson zuschreiben.
In »The President is Missing« droht eine Hackergruppe, die USA mit einem Computervirus lahmzulegen. Der ist so supermegatoll programmiert, dass er irgendwie alles befällt, was mit Strom betrieben wird. Es droht ein Staatskollaps ganz ohne die üblichen militärischen Waffen. Denn ohne Computer und Computerspeicher verschwindet das Geld von den Konten, verschwinden Patientendaten und Rentenansprüche. Denn irgendwie ist das alles nur irgendwo gespeichert und nicht real vorhanden. Was also, wenn dieser Speicher zerstört ist? Auch die komplette Infrastruktur würde zusammenbrechen.
Von den beiden Autoren für dumm verkauft
So weit, so bedrohlich. Denn tatsächlich sind die 10 Sekunden, die man sich einer solchen Vorstellung mal hingeben kann (»Oh, Kacke, das wäre echt blöd, wenn das passieren würde!«), die einzig spannende Zeit, die man mit dem Buch verbringt.
Es sei denn, man ist ein eher einfältiger Leser, der bereits erschrickt, wenn im Märchen der böse Wolf dem Rotkäppchen über den Weg springt.
Wer nur einen Hauch erzählerischen Anspruch erwartet, wird von »The President ist Missing« bitter enttäuscht. Mit billigsten Spannungstricks wird man von den beiden Autoren für dumm verkauft.
Das beginnt damit, dass der ich-erzählende Präsident von Anfang an dem Leser Wissen vorenthält. Wir befinden uns im Kopf des Präsidenten, erleben sein Handeln, kennen aber die Gründe nicht. Das ist die billigste Form der Spannung. Ein guter Autor legt die Geschichte immer so an, dass der Leser genau soviel weiß wie der Erzähler – oder sogar mehr. Nur schlechte Autoren wie Clinton und Patterson halten den Leser künstlich dumm.
Die komplette Handlung wird immer wieder von Voraussetzungen und Prämissen getragen, die keinerlei Grund oder Logik besitzen, sondern die allein dazu da sind, dem Leser Spannung vorzutäuschen. Ein Computervirus will die Festplatten dieser Welt löschen? Und los! Nein, bei den beiden Textdilettanten stoppt der Virus kurz zuvor und gibt durch Eingabe eines Passworts für 30 Minuten die Gelegenheit, die Digitaldemenz zu verhindern. Warum und wieso? Na, damit es SPANNEND wird. Und wie immer bei einem Countdown wird der – logisch – erst in den letzten Sekunden gestoppt. Der Hollywood erfahrene Leser hört beim Lesen die Bildschirmuhr förmlich piepsen.
Nichts ist in diesem Buch annähernd logisch
Überwachungskameras sind da, wenn es für die Handlung notwendig ist, also dass etwas entdeckt wird, und sie fehlen plötzlich, wenn eine Attentäterin mal schnell ins Kellerfenster eines Hochsicherheitsgebäudes eindringen muss, weil es die Handlung eben erfordert.
Nichts ist in diesem Buch annähernd logisch, wenn beim Lesen mindestens drei Gehirnzellen aktiv sind. Beim Schreiben waren es offenbar weniger.
In einem billigen Thriller ist am Schluss immer die freundlichste und unverdächtigste Person der Übeltäter, und dahinter stecken immer die bösen Russen oder die fiesen Araber. Man muss eigentlich nicht erwähnen, dass es hier die bösen Russen und die fiesen Araber sind.
Der Präsident – obwohl keine Ahnung von Computern – ist natürlich schlauer als alle seine IT-Spezialisten zusammen. Denn die sind so voll von Spezialwissen, dass sie die einfachen Dinge nicht mehr sehen. Aber daher haben sie ja einen klugen Mann zum Präsidenten gewählt, der ihnen auf die Sprünge hilft. Außerdem lernen wir, dass selbst die besten Hacker als Passwort den Namen ihrer Hauskatze oder ihrer Heimatstadt verwenden.
Wenn man in diesem Werk so etwas wie zwei absolute Tiefpunkte ausmachen will, was bei einer Nulllinie ja eigentlich gar nicht geht, so ist es zum einen jene unsägliche Stelle, in der ein bekehrter böser Hacker den Staatsmännern erklärt, was der Virus so alles Böses anrichten wird. Denn natürlich erzählt er das hauptsächlich den Leserinnen und Lesern, um ihnen verdammt nochmal klar zu machen, wie wahnsinnig aufregend das alles in diesem Buch ist. Das ist der Moment mit den oben erwähnten 10 Sekunden.
Am allerschlimmsten ist jedoch die pathetische Rede des fiktiven Präsidenten am Schluss des Romans. Wer daheim liest, kann die Seiten ja danach abwischen oder das Buch gleich wegschmeißen. Wer das Hörbuch jedoch beim Autofahren konsumiert, sollte aufpassen, dass man sich nicht die Sicht nimmt. Kotzen Sie besser durch das offene Seitenfenster. Auch wer das Buch zur Entspannung am Urlaubsstrand lesen will, sollte besser einen Eimer mitnehmen.
Nur einer macht hier einen guten Job
Wenn es im Umfeld dieses Romans einen einzigen Menschen gibt, der einen beachtlich guten Job macht, dann ist es der Sprecher Uve Teschner, der die ungekürzte Hörbuchfassung eingelesen hat.
Von guten Sprechern wird ja immer wieder gesagt, dass sie sogar ein Telefonbuch vorlesen können und man ihnen dennoch gebannt an den Lippen hängt. Seit »The President is Missing« kann dieses Kompliment noch gesteigert werden: Teschner liest sogar Clinton/Patterson so, dass man das Hörbuch spannend findet. Denn der Text ist sehr dialogisch angelegt, mit stetig wechselnder Innen- und Außenstimme des Erzählers. Uve Teschner liest diese Passagen unglaublich gut. Und glücklicherweise liest er die Rede am Schluss nicht mit dem gleichen Pathos, mit dem sie wahrscheinlich geschrieben und gemeint ist. Denn dann würde man beim Hören im Auto sofort den nächsten Baum ansteuern.
Wenn auch die politische Parallelwelt dieser Stümper-Story wenig mit der von Trump zu tun hat, ist der Roman-Präsident nicht minder selbstverliebt und nicht minder unausstehlich. Er kämpft für sein wunderbares Land nicht nur als Präsident, sondern schon davor als Soldat im Irak. Er kämpft, obwohl er obendrein noch an einer seltenen Krankheit leidet und immer noch um seine First-Lady trauert, die unlängst an einer schweren Krankheit starb.
Diese Buch ist solch eine unglaubliche Ansammlung von textgewordenem Schwachsinn, wie sie selten zu finden ist. Bestsellerlisten zieht so etwas nahezu magisch an.
Wolfgang Tischer
Bill Clinton; James Patterson; Anke Kreutzer (Übersetzung); Dr. Eberhard Kreutzer (Übersetzung): The President Is Missing: Roman (dt. Ausgabe). Gebundene Ausgabe. 2018. Droemer HC. ISBN/EAN: 9783426281970. 14,99 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Bill Clinton; James Patterson; Anke Kreutzer (Übersetzung); Dr. Eberhard Kreutzer (Übersetzung): The President Is Missing: Roman (dt. Ausgabe). Kindle Ausgabe. 2018. Little, Brown USA und Knopf. 9,99 € » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
Danke für den köstlichen Beitrag und die Zeit, die sich genommen haben, um dieses „wunderbare“ Machwerk überhaupt zu lesen.
Viele Grüße vom Ammersee – Renate Blaes
PS: Ihrem allerletzten Satz stimme ich uneingeschränkt zu und verweise in diesem Zusammenhang auf Schätzings „Schmetterling“. Ich habe es klugerweise als Ebook gekauft und konnte es zurückgeben. Qualvolle Lektüre …