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Das Literarische Quartett: Abgebügelt

Fakt ist: Martin Schulz war Gast im Literarischen Quartett (Foto: ZDF)
Fakt ist: Martin Schulz war Gast im Literarischen Quartett (Foto: ZDF)

Buchhändler, Bürgermeister, EU-Abgeordneter, EU-Parlamentspräsident, SPD-Vorsitzender, Kanzlerkandidat, Gast im Literarischen Quartett. Das alles war Martin Schulz. Ist das eine absteigende Reihenfolge? Eine aufsteigende? Eine normalparabelförmige?

Aber eigentlich wollte ich diesmal nur wissen, wie der Roman von Heinrich Steinfest im Literarischen Quartett abschneidet.

Am Abend war ich selbst noch auf einer Lesung der großartigen Sudabeh Mohafez. Einmal ist es von Vorteil, dass das Literarische Quartett spät gesendet wird. Ich machte mich auf dem Heimweg und sitze rechtzeitig um 23:30 Uhr vor dem Fernseher.

Der erfolglose SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz also ist diesmal der Gast. Bevor er ins Europaparlament ging, war er Buchhändler in Würselen. Heute wird die Buchhandlung von einer seiner ehemaligen Auszubildenden geführt.

Bereits bei der ersten Buchbesprechung fällt auf, dass Schulz Bücher nur auf Basis seiner politischen Wirklichkeit bewertet und auf für ihn relevante Themen fokussiert ist. »Fakt ist« ist eine von ihm oft verwendete Phrase, um das Wort zu behalten und dem von ihm gerade Gesagten nochmals das Gleiche hinzuzufügen.

Und bereits bei der ersten Buchbesprechung merke ich ebenfalls, dass ich rasch müde werde. Schulz‘ leicht knödelige Stimme im ruhigen Duktus schläfert ein. Verdammt, ich war doch eigentlich gerade noch wach und wollte es bleiben, um zu erfahren, wie »Die Büglerin« im Diskurs abschneidet.

Heinrich Steinfest ist ein Autor, dessen Bücher polarisieren. Das ist der Grund, warum ihnen leider die große Beachtung verwehrt bleibt. Die einen lieben seinen subtilen Humor und seine ungebremsten Abschweifungen, die anderen verzweifeln an seinen Büchern.

Mir wird bewusst, dass alles denkbar ist: Thea Dorn hat Heinrich Steinfest vorgeschlagen. Sie spricht begeistert über die merkwürdigen Charaktere des Romans und freut sich wie ein Kind an den erzählerischen Ideen des Autors, während Christine Westermann das Gesicht verzieht und gesteht, dass sie gar nichts anfangen konnte mit dieser unglaubwürdigen Geschichte, die am Schluss nicht mal richtig aufgelöst wird.

Ich bin eingeschlafen.

Ich wache auf, als endlich »Die Büglerin« an der Reihe ist. Ich bekomme noch mit, dass es Christine Westermann ist, die das Buch präsentiert, denke noch »Schlechte Voraussetzung …« und döse wieder weg.

Als ich erneut aufwache, ist die Sendung rum. Nichts habe ich von der Steinfest-Wertung mitbekommen.

Also rufe ich die Sendung am Morgen darauf in der Mediathek des ZDF ab und springe gleich einmal vor bis zu Steinfest.

Christine Westermann bremst sich glücklicherweise bei der Inhaltsangabe und betont, dass man manchmal nicht alles erzählen müsse, was in einem Buch passiert. Das ist ungewöhnlich für eine Sendung, in der schlechte Nacherzählungen von Büchern allzu oft obligatorisch sind.

Und Schulz – der Mann ist eben Politiker – übergeht die Forderung Westermanns, führt die Inhaltserzählung fort und pickt sich im weiteren Verlauf wieder nur die für ihn relevanten Themen wie »Selbstmordattentat« und »erweiterter Suizid« heraus. Er hat den Roman als Krimi gelesen, und ich wundere mich, dass er damit anscheinend zufrieden war und das Buch gut findet.

Thea Dorn findet das Buch gar nicht gut und rollt mit den Augen. Alles sei zu bedeutungsschwanger, das Buch habe nur Anspruch und keine Mittel. Das findet auch Weidermann und fühlt sich auf den Kopf geschlagen. Er stört sich an den »schiefen Metaphern«. Westermann würde sie eher als »schräg« bezeichnen.

Tatsächlich machen die oft haarsträubenden Vergleiche und Analogien einen der Reize der steinfestschen Bücher aus – so man das mag.

Keiner der vier in der Runde ist Steinfest-Fan. Auch Christine Westermann hat das Buch wohl nur aus der Vorschlagsliste der Redaktion ausgewählt, denn sie berichtet, dass Steinfest Krimis schreibe, was so schon längst nicht mehr der Fall ist – wenn es überhaupt jemals so richtig gestimmt hat.

So zeigt das Quartett, warum Steinfest leider kein größeres Publikum erreichen wird, da man schräge Metaphern mögen und scheinbar Bedeutungsschwangeres nicht so ernst nehmen darf. Wer stattdessen schiefe Metaphern und eine Sinnüberzeichnung liest, wird die Bücher rasch abbügeln.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

  • Das Literarische Quartett vom 22.06.2018 in der ZDF-Mediathek

Die in der Sendung vom 22.06.2018 besprochenen Bücher:

  • Francesca Melandri: Alle, außer mir (Quartbuch). Gebundene Ausgabe. 2018. Wagenbach. ISBN/EAN: 9783803132963
  • Arthur Koestler; : Sonnenfinsternis: Roman. Nach dem deutschen Originalmanuskript: Roman. Nach dem Originalmanuskript. Gebundene Ausgabe. 2018. Elsinor Verlag. ISBN/EAN: 9783942788403. 28,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • George Saunders; Frank Heibert (Übersetzung): Lincoln im Bardo: Roman. Gebundene Ausgabe. 2018. Luchterhand Literaturverlag. ISBN/EAN: 9783630875521. 25,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Heinrich Steinfest: Die Büglerin: Roman. Gebundene Ausgabe. 2018. Piper. ISBN/EAN: 9783492056632. 20,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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8 Kommentare

  1. Zum Trost mir hat „Die Büglerin“ sehr gut gefallen, obwohl ich eigentlich kein Steinfest Fan bin und hoffe, daß es auf Shortlist des DBp oder östBp kommt und den ehemaligen Buchhändler habe ich eigentlich auch sehr gut gefunden, weil eine Abwechslung, daß er es aus seiner Politiker Dominanz heraus, die ich auch manchmal in Wien merken kann, wenn Politiker zu Literaturveranstaltungen eingelanden werden, wie selbstbewußt, die sind, ganz anders, als die Literaturgewaltigen und erstaunlich erfrischend sah und ich ihn auch gefragt hätte, was er denn so liest und eigentlich eine Feststellung, die ähnlich wie bei den „roten Hosen“ aufheulen lassen könnte, daß er nur zwei Seiten liest und dann manchmal und das war erstaunlich ehrlich, nicht weiß, was er gelesen hat. Na klar, aber so etwas Besonderes ist das eigentlich nicht!
    War sehr interessant und erfrischend die Sendung und jetzt muß ich nur noch nachsehen, ob ich „Die Sonnenfinsternin“ und meinen Bücherbergen und vielleicht auch schon gelesen habe.
    Liebe Grüße aus Wien, ich freue mich schon auf den Klagenfurt-Ausflug nächste Woche, aber vorher habe ich noch ein Jubiläum zu feiern!

  2. Was ist bloß aus dem intellektuellen Erbe des Quartetts geworden …
    Ein vollkommen hibbeliger Moderator, der ganz zu Beginn nicht mal das Wort „Quartett“ im Namen der Sendung ruhig aussprechen kann, Martin Schulz, der einem in seiner würseligen Provinzialität fast leid tun kann (man merkte ihm deutlich an, wie sehr er um eine Art buchhändlerische Vorbereitung bemüht war), Thea Dorn, bei der ich Pickel kriege, wenn sie nur auf dem Schirm erscheint, und die arme Christine Westermann als Mainstream-Lesetante. Hier ist nichts Streitbares mehr, nichts zum reiben, nichts Kontroverses. Hätte niemals gedacht, dass ich mir den Biller einmal zurück wünschen würde. Und die nächste Sendung wird wieder furchtbar. Mit Sascha Marianna Salzmann. Na Mahlzeit!

  3. Finde die Sendung jetzt eigentlich ganz gut und ich weiß auch nicht warum man über Bücher unbedingt streiten beziehungsweise provozieren soll?
    Mann sollte sie doch eigentlich lesen und da ist es gut, wenn man vorher entsprechend informiert wird.
    Leider scheint die Sendung noch immer ein bißchen an diesem MMR Image zu leiden, beziehungsweise hat den Ruf, da wird über Bücher gestritten und deshalb wurde auch der Herr Biller engagiert, der meiner Meinung nach manchmal sehr unverständliche und nicht nachvollziehbare Sache, die schon sehr beleidigend waren, von sich gegeben hat!
    So gesehen hat die Sendung, denke ich gewonnen und finde es auch schade, immer zu hören, daß sich manche Leute offenbar etwas anderes von ihr erwarten würden und warum man die Diskutanten abqualifizieren muß, ist mir ganz ehrlich auch nicht klar!

  4. Liebe Frau Jancak,

    von „provozieren“ habe nie gesprochen, und „streitbar“ und „streiten“ sind doch zwei verschiedene Dinge. Ebenso wenig habe ich von MRR gesprochen, sondern von der Stimmung, die die alte Ausgabe verbreiten konnte. Da waren ja auch noch Frau Löffler und Herr Karasek + 1 Gast. Ich finde, dass Volker Weidermann brilliante Beiträge für den SPIEGEL schreibt, da ist er richtig, richtig gut, Als Leiter der Runde ist er in meinen Augen einfach nur schklecht. Nervös, kindisch wie ein kleiner Schuljunge. Und Thea Dorn ist mir als Frau ganz einfach unsympathisch. Und erst recht, seit sie in der letzten Folge dermaßen arrogant und zickig war, nur weil niemand ihre „Felicitas Hoppe“ mochte. Souverän geht anders. Es gab durchaus Folgen des Quartetts, die mir gefallen haben. Die mit Philipp Tingler z.BV. Philipp Tingler und der SRF Literaturclub mit Nicola Steiner und Elke Heidenreich ist in meinen Augen die deutlich bessere Literatursendung, mit den deutlich interessanteren Gästen. Und Martin Schulz hat sein Image als Ritter der traurigen Gestalt einfach nicht loswerden können. Er tat mir leid. Und ich bin SPD-Wähler, seit ich an die Urne darf. Aber es ist gut, dass es überhaupt noch Sendungen im TV gibt, die sich mit Belletristik befassen; schaut man sich die neueste Studie des Börsenvereins an, wird einem nur noch Angst und Bange.

  5. Aber ich habe es öfter so empfunden, beispielsweise die legendäre Sendung, die Thomas Melle möglicherweise den Buchpreis kostete und ich habe auch ein bißchen Schwierigkeiten mit Ihren Wertungen und gerade Thea Dorn finde ich eigentlich meistens sehr qualififiziert und was die literarischen Sendungen betrifft, so ist das „Lesenswert Quartett“ wahrscheinlich zu empfehlen und ich denke mir, was soll das Geschimpfe, Thomas Bernhard ist ja schon gestroben, also brauchen wir es nicht mehr, liebe Grüße aus Wien!

  6. Offensichtlich ist doch nur wieder: wenn Thea Dorn „streitbar“ ist, dann gilt das bei (häufig männlichen, so meine Beobachtung) Zuschauer*innen als unsympathisch. Wenn aber jemand wie Maxim Biller, der im Gegensatz zu Thea Dorn wirklich ein paar Mal über das Ziel hinausschoss, „streitbar“ ist, dann gilt das erstrebenswert und unterhaltend. In dieser Sache wird einfach nicht wertfrei diskutiert – mal dahingestellt, ob das überhaupt notwendig ist. (Einen Mehrwert zur Sendung haben nämliche beide durchaus beigetragen.)

  7. Mein Herz sank, sobald Martin Schultz den Mund aufmachte. Das Programm war in Gefahr, bergab zu gehen. Stellen Sie sich vor: vier helle Köpfe meinen, dass ein Roman zu lesen ist, weil er italienische Zeitgeschichte vermittelt. Ich bitte Sie. Wissen Sie nicht, dass ein Roman von einem bestimmten Standpunkt aus geschrieben wird? Übliche „liberale“ Talking Points. Diskussion von Saunders Roman war trotzdem interessant; mag sein, dass ich den Roman lese.

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