StartseiteLiterarisches LebenDas Literarische Quartett und der Schweizer Literaturclub vom Oktober 2023: Lichtspiele

Das Literarische Quartett und der Schweizer Literaturclub vom Oktober 2023: Lichtspiele

Nicht das Literarische Quartett, sondern ein Screenshot des Schweizer Literaturclubs vom Oktober 2023 mit Elke Heidenreich, Neu-Moderatorin Laura de Weck, Doris Leuthard und Lukas Bärfuss (Screenshot: SRF)
Nicht das Literarische Quartett, sondern der Schweizer Literaturclub vom Oktober 2023 mit Elke Heidenreich, Neu-Moderatorin Laura de Weck, Doris Leuthard und Lukas Bärfuss (Screenshot: SRF)

Im Schweizer Literaturclub diskutiert man 15 Minuten über ein Buch, ohne auch nur einmal den vollständigen Namen der Autorin zu nennen. Beim Literarischen Quartett des ZDF dagegen ist wieder alles bei den Alten.

Literaturclub oder Literaturquartett?

Eigentlich wollte ich mir an diesem Abend den Schweizer Literaturclub ansehen. Nachdem Nicola Steiner die Moderation abgegeben hat, wird dieser nun abwechselnd von Jennifer Khakshouri und Laura de Weck moderiert. In der Mediathek des Schweizer Fernsehens ist nun die erste von Laura de Weck moderierte Sendung abrufbar. Jennifer Khakshouri hat ihre Premiere bereits hinter sich. Gäste bei de Weck sind Lukas Bärfuss, Elke Heidenreich und die ehemalige Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard. Zumindest Elke Heidenreich verspricht meinungsstarke Unterhaltung.

Besprochen wird dort natürlich der aktuelle Roman »Lichtspiel« von Daniel Kehlmann.

Doch dann sehe ich, dass an diesem Abend auch das Literarische Quartett ausgestrahlt wird. Also erst einmal in die ZDF-Mediathek.

Das Literarische Quartett im ZDF vom 13. Oktober 2023 (von links): Jakob Augstein, Thea Dorn, Mithu Sanyal und Eva Menasse (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)
Das Literarische Quartett im ZDF vom 13. Oktober 2023 (von links): Jakob Augstein, Thea Dorn, Mithu Sanyal und Eva Menasse (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

Im Foyer des Berliner Ensembles sitzen aus dem Ensemble des Quartetts diesmal Jakob Augstein, Mithu Sanyal und Eva Menasse bei Thea Dorn, also »keine*r« aus der U21-Runde.

Besprochen wird dort natürlich der aktuelle Roman »Lichtspiel« von Daniel Kehlmann.

An »dem neuen Kehlmann« kommt offenbar niemand vorbei. So absurd es klingt, aber ich muss es aus eigener Erfahrung sagen: Bücher zu besprechen, die überall besprochen werden, bringen die meisten Klicks (und wahrscheinlich auch Zuschauer).

Das Literarische Quartett ist sich einig: Der neue Kehlmann ist sauber konstruiert und nix dran auszusetzen. Liest sich offenbar locker weg. Jakob Augstein ist nur verwundert, dass man hierzulande immer noch zwischen U und E unterscheide. Mir fällt natürlich Moritz Baßler ein, für den Kehlmann das Paradebeispiel für »populären Realismus« bzw. Midcult ist. Das sind, um Baßlers Definition kurz zu umschreiben, Bücher, die für jeden Erfahrungshorizont sofort zugänglich und international vermarktbar sind. Durch das Einstreuen gesellschaftlicher, politischer oder historischer Elemente, habe man dennoch den Eindruck, etwas intellektuell Wertvolles zu lesen.

Das Ende der Kunst

Und schon wird das nächste Buch diskutiert und für gut befunden: »Gittersee« von Charlotte Gneuß. Das von der Literaturkritik gelobte Werk geriet unlängst in die generelle Kritik, weil eine 1992 in Ludwigsburg bei Stuttgart Geborene über die DDR schreibe und das Buch sachliche Detailfehler und in der DDR nicht gebräuchliche Wörter enthalte. Eine junge Frau aus dem Westen dürfe sehr wohl über die DDR schreiben, befand man beim Quartett, sonst wäre das das Ende der Kunst. Eva Menasse findet diese Diskussion »nicht mal gefährlich, sondern nur dumm«.

Fast schon rührend mutete es an, dass Mithu Sanyal das Buch »Vaters Meer« von Deniz Utlu in die Diskussion einbringt. Utlus Textausschnitt fiel beim Bachmannpreis komplett durch, nur Mithu Sanyal, die ebenfalls in Klagenfurt in der Jury saß, vergab ihm treu und offenbar aus persönlichen Gründen die Höchstwertung von 5 Punkten. Als wisse er nichts von Sanyals Präsenz in Klagenfurt, sagt Augstein, er habe gelesen, dass der Text von Mara Delius dort als »flach, konventionell und sprachlich ohne Tiefe« bewertet wurde. Besser, so Augstein, könne er es auch nicht sagen. Er habe das Gefühl, so Augstein weiter über das Buch, »aus identitätspolitischen Gründen ist man aufgefordert, es gut zu finden.« Tiefes Atmen bei den anderen. »Streichen wir den Satz aus dem Protokoll«, sagt Eva Menasse mit angewidertem Kopfschütteln. Augsteins Urteil sei unfair.

Literatur gegen die Realität

Zuvor hatte Augstein den nach 80 Jahren im Nachlass entdeckten Roman »Krieg« des französischen Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs Louis-Ferdinand Céline vorgestellt. Zum ersten Mal, so Thea Dorn in ihrer Einleitung, habe sie im literarischen Quartett mit diesem Buch eines »der schrillsten Antisemiten unter den ernstzunehmenden Schriftstellern des 20. Jahrhunderts« anlässlich der aktuellen Bilder aus dem Nahen Osten »ein Dilemma und ein Problem«. Sie wolle daher im Umfang »sehr, sehr gering über diesen Autor sprechen«, obwohl sie eine große Verteidigerin der Trennung von Autor und Werk sei.

Er solle jetzt also die Literatur gegen die Realität verteidigen, fragt Augstein und Menasse ergänzt etwas später in Richtung Thea Dorn, sie glaube nicht, »dass sich Bücher dadurch ändern, weil das Tagesgeschehen es gebietet. Das halte ich für einen ganz gefährlichen Zugang.« Verhaltener Applaus im Publikum.

Wechsel zum Schweizer Literaturclub

Nach dem Quartett dann doch noch der Wechsel zum Literaturclub. Was sagt man dort über »den neuen Kehlmann«? Im Prinzip das Gleiche. Nur Heidenreich schwenkt aus der Reihe. Es wird klar, dass sie Kehlmann für überschätzt hält. Er könne keine Dialoge schreiben, das klinge wie Bildungsfernsehen in den 70ern, urteilt Heidenreich spitz.

Ansonsten schweigt man besser über diese Premiere-Sendung der Schauspielerin und Bühnenautorin Laura de Weck und hofft, das es beim nächsten Mal besser wird. Sie moderiert tatsächlich wie eine Schauspielerin, die eine begeisterte und gelegentlich menschelnd-emotional wirkende Moderatorin spielt. Man diskutiert im Club allen Ernstes darüber, warum Bücher von Prominenten derzeit (!) so gut verkauft werden und redet über das neueste Buch von Arnold Schwarzenegger, das – so wird mehrfach betont – keiner in der Runde gelesen habe. Anschließend bringt man es sogar fertig, dass man 15 Minuten über das Buch »Louise« von Ursel Bäumer diskutiert, ohne ein einziges Mal den vollständigen Namen der Autorin zu nennen, lediglich die ehemalige Bundesrätin erwähnt »diese Frau Bäumer« einmal. Vielleicht fiel die Autorinnen-Nennung aber auch einem Schnitt bei der Anmoderation zum Opfer, als Frau Weck die Moderationskarten entglitten. Dass die Ex-Bundesrätin dann ausschließlich Tessin-Bücher vorstellte, bei dem von einem die Druckkosten von einer ihr nahestehenden Gesellschaft übernommen wurden, war ebenfalls für eine Literatursendung unglücklich, auch wenn dies offen erwähnt wurde.

Bleibt der Literaturclub das bessere Quartett?

Dass dann noch ein Zuschauer ein Buch vorstellen durfte – zugegeben sehr souverän –, lässt ahnen, dass man in der Schweiz auch den Literaturclub näher ans Volk bringen möchte. Es bleibt zu hoffen, dass all diese Dinge auf das Ein- und Zurechtfinden von Moderatorin und Redaktion zurückzuführen sind. Wenn überhaupt, dann retteten Elke Heidenreichs borstige Widerworte die Sendung.

Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer, so zeigen es auch gelegentliche Kommentare unter den TV-Kritiken, ist der Schweizer Literaturclub immer das bessere Literarische Quartett.

Hoffen wir, dass es so bleibt.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Die im Literarischen Quartett vom 13.10.2023 besprochenen und erwähnten Bücher:

Die im Literaturclub vom 10.10.2023 besprochenen und erwähnten Bücher:

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1 Kommentar

  1. Den Literaturclub vom 10.10.23 habe ich in der Mediathek gesehen. Die Moderation fand ich “etwas farblos”, aber man sollte Frau de Weck auf jeden Fall zugestehen, dass sie sich als Moderatorin dieser Runde erst noch finden muss. Der Retter dieser Sendung war für mich ganz klar Lukas Bärfuss, dessen besonnenen Wortbeiträge ein positiver Kontrast zu Frau Heidenreichs “borstigen Widerworte” waren. Gerade in der Diskussion um das Buch “Hässlichkeit von Moshtari Hilal” stellte ich mir die Frage, ob Frau Heidenreich die anderen Sichtweisen auf das besprochene Buch nicht sehen konnte oder einfach gar nicht sehen wollte? Jedenfalls mag ich ihre ruppige Art, mit der sie den anderen Teilnehmer*innen der Gesprächsrunde immer wieder reingrätscht, immer weniger. Kameraschwenks in die Gesichter des anwesenden Publikums zeigten, dass ich mit meiner Wahrnehmung offensichtlich nicht alleine war. Das vorgestellte Buch von Plinio Martini habe ich mir im Anschluss an die Sendung gleich bestellt.

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