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Fitchers Vogel – Ein Märchen der Gebrüder Grimm, gelesen von Wolfgang Tischer

Wolfgang Tischer liest das Märchen »Fitchers Vogel« der Gebrüder Grimm
Wolfgang Tischer liest das Märchen »Fitchers Vogel« der Gebrüder Grimm von 1812 aus einer antiquarischen Ausgabe des Middelhauve Verlags von 1983 mit Illustrationen von Marshall Arisman

Zu Halloween liest Wolfgang Tischer ein gruseliges kleines Werk aus den Kinder- und Haus-Märchen der Gebrüder Grimm: »Fitchers Vogel«. Drei Mädchen werden entführt und nehmen blutige Rache. Hören und sehen Sie die Lesung im Video und lesen Sie das garstige Märchen von 1812.

Die Idee zur diesjährigen Halloween-Lesung entstand, als literaturcafe.de-Autorin Isa Tschierschke eine antiquarische Ausgabe des Märchens entdeckte. 1983 erschien das kleine Büchlein im Middelhauve Verlag mit Illustrationen des amerikanischen Künstlers Marshall Arisman. Wolfgang Tischer liest den gemeinfreien Text, der der Erstausgabe von 1812 in heutiger Rechtschreibung folgt. Viel Spaß!

Fitchers Vogel

Aus den Kinder- und Haus-Märchen der Gebrüder Grimm.
Band 1, Große Ausgabe von 1812, Rechtschreibung gemäßigt angepasst

Es war einmal ein Hexenmeister, der war ein Dieb und ging in der Gestalt eines armen Mannes vor die Häuser und bettelte. Da kam ein Mädchen vor die Türe, und brachte ihm ein Stück Brot; er rührte das Mädchen nur an, da musste es in seine Kiepe springen. Dann trug er es fort und brachte es in sein Haus, da war alles prächtig, und er gab ihm alles, was es wünschte.

Darnach sprach er einmal: »Ich habe auswärts zu tun und muss notwendig verreisen, da hast du ein Ei, das heb sorgfältig auf und trag es beständig bei dir, und da hast du auch einen Schlüssel, aber geh nicht in die Stube, die er aufschließt, bei Lebensstrafe.«

Wie er aber fort war, ging sie doch hin und schloss die Stube auf, und wie sie hineintrat, sah sie in der Mitte ein großes Becken stehen, darin lagen tote und zerhauene Menschen. Sie erschrak so gewaltig, dass das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte; sie nahm es zwar geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, das kam aber den Augenblick wieder zum Vorschein, und sie konnte es nicht herunter kriegen, so viel sie auch wischte und schabte.

Als der Mann wiederkam, verlangte er das Ei und den Schlüssel, sah beide an, und da sah er, dass sie in der Blutkammer gewesen war.

»Hast du auf meine Worte nicht geachtet«, sagte er zornig, »so sollst du nun gegen deinen Willen in die Kammer kommen!«

Damit ergriff er sie, führte sie hin und zerhackte sie, und warf sie zu den andern ins Becken. Nach einiger Zeit ging der Mann wieder betteln und fing die zweite Tochter aus dem Haus; der geschah wie der ersten, sie schloss auch die verbotene Türe auf, ließ das Ei ins Blut fallen und ward zerhackt und zu ihr in das Becken geworfen.

Da wollte der Hexenmeister auch die dritte Tochter haben, fängt sie auch in seiner Kiepe, trägt sie heim und gibt ihr bei seiner Abreise das Ei und den Schlüssel.

Die dritte Schwester aber war klug und listig; sie schloss das Ei erst ein und ging dann in die heimliche Kammer, und wie sie ihre Schwestern in dem Blutbecken findet, sucht sie und sucht alles zusammen und legt’s zurecht Kopf, Leib, Arm und Bein; da fangen die Glieder an, sich zu regen und schließen sich aneinander, und die zwei werden wieder lebendig.

Da führte sie beide heraus und versteckte sie, und als der Mann heimkam und das Ei ohne Blut fand, bat er sie, sie möge seine Braut werden.

Sie sagte ja, aber er müsste erst einen Korb voll Gold ihren Eltern auf dem Rücken hintragen, dieweil wollte sie die Hochzeit bestellen. Darnach sagte sie zu ihren Schwestern, sie sollten ihr nur Hilfe von daheim kommen lassen, setzte sie in einen Korb und deckte ihn ganz mit Gold zu: »Den trag nun fort, aber untersteh dich, unterwegs zu ruhen, denn ich seh’s hier durch mein Brettchen, wenn du’s tust.«

Er nahm den Korb auf den Rücken und ging fort, der ward ihm aber so schwer, dass er ihn fast tot drückte, da wollte er ein wenig ruhen, aber gleich rief eine im Korb: »Ich seh durch mein Brettchen, dass du ruhst, willst du gleich weiter!«

Da meinte er, seine Braut rief, machte sich wieder auf, und so oft er ruhen wollte, rief es wieder, und da musste er weiter.

Die Braut aber daheim nahm einen Totenkopf, tat ihm einen Schmuck auf, und setzte ihn oben vors Bodenloch; dann lud sie die Freunde des Hexenmeisters zu der Hochzeit ein, und wie das geschehen war, steckte sie sich in ein Fass mit Honig, schnitt das Bett auf und wälzte sich in den Federn, dass sie niemand erkennen konnte, so wunderlich sah sie aus und damit ging sie hinaus auf den Weg. Bald begegnete ihr ein Teil der Gäste, die fragten sie:

»Du Fitchers Vogel! Wo kommst du her?« –
»Ich komm von Fitze Fitchers Hause her.«
»Was macht denn da die junge Braut?« –
»Sie hat gekehrt von unten bis oben das Haus
und guckt zum Bodenloch heraus.«

Darauf begegnete ihr auch der Bräutigam, der zurückkam:

»Du Fitchers Vogel! Wo kommst du her?« –
»Ich komm von Fitze Fitchers Hause her.«
»Was macht denn da meine junge Braut?« –
»Sie hat gekehrt von unten bis oben das Haus
und guckt zum Bodenloch heraus.«

Der Bräutigam sah hinauf, und als er den geputzten Totenkopf oben sitzen sah, meinte er, es wäre seine Braut und grüßte sie.

Wie er aber im Haus war, und alle seine Freunde auch, da kam die Hilfe, die die Schwestern geschickt hatten; und sie schlossen das Haus zu und steckten es an, und da keiner heraus konnte, mussten sie alle verbrennen.

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