Eine Frau will in die USA einreisen. Doch am Zielflughafen wird sie ohne Angabe von Gründen festgehalten, eingesperrt, verhört, menschenverachtend bis aufs Innerste durchsucht und schließlich sofort nach Europa zurückgeschickt.
Zora del Buono hätte einen verstörenden und grotesk-ironischen Roman zur NSA-Überwachung und über absurde politische Korrektheit schreiben können.
Doch leider verliebt sich ihre Protagonisten in einen wesentlich jüngeren Studenten.
Der Beginn von »Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt« ist fulminant. Von Zora del Buono können halbherzig begabte Thriller-Schriftsteller lernen, wie man spannungsgeladen beginnt. Wir erleben keine schwache Protagonistin, die nicht weiß, was und wie ihr geschieht. Ohne, dass uns die Autorin alles haarklein beschreibt, sind wir mitten in einer heftigen Verhörsituation. Wie die Gedanken der Protagonistin mit ihren Beobachtungen verwoben sind, ist meisterlich. Diese wenigen Seiten bilden einen Prolog, obwohl er nicht so genannt wird. Die im Präsens erzählten Gegenwartspassagen, zudem durch eine andere Schrift abgesetzt, tauchen nochmals in der Mitte und am Schluss des Buches auf; eine formale Struktur lässt sich erkennen.
Der Rest des Buches, die in der Vergangenheitsform erzählte Rückblende, bildet den Hauptteil. Hier wird das Buch zunächst zu einer Campus-Satire. »Ein Sommer, der die Welt veränderte«, lautet der erste Satz. Es ist der Sommer des Jahres 2013, der Sommer, in dem die Snowden-Enthüllungen bekannt werden. Zusammen mit der Protagonistin befinden wir uns in einem College in Neuengland. Sieben Wochen Sommeruniversität stehen bevor, sieben Wochen dürfen die internationalen Studentinnen und Studenten des Studiengangs auf dem Campus nur Deutsch sprechen. Del Buono beschreibt alles amüsant und sarkastisch. Die Dozentenkollegen sind mit herrlichen Spitznamen versehen. Politische Korrektheit und Angst vor Anschuldigungen durch Studenten oder ihrer Eltern beherrschen Handeln und Gedanken. Bürotüren bleiben bei Vier-Augen-Gesprächen mit Studenten und Studentinnen offen. Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Religion – alles Tabuthemen, die vermieden werden sollten, um nicht in heikle Situationen oder Anschuldigungen zu geraten. Bereits ohne NSA redet und handelt kaum jemand frei.
Typografisch durch Einrückung und andere Schrift hervorgehoben, sind im Text immer wieder kurze Meldungen zu den Snowden-Enthüllungen eingeschoben, insbesondere die deutsche Politik betreffend. Es könnten damalige Originalnachrichtentexte sein. Merkels Ausspruch, nachdem bekannt wurde, dass auch ihr Handy überwacht wurde, dass man das »unter Freunden nicht macht«. die Reise des Innenministers Friedrich in die USA und schließlich die Verkündung des Kanzleramtsministers Pofalla, dass die Affäre beendet sei, nachdem die USA erklärt haben, sie würden sich beim Belauschen an die Gesetze halten.
Auch auf dem Campus zeigt Snowden Wirkung. Zev, ein junger ungestümer Student, protestiert erbost gegen die NSA, die zudem auf dem Unigelände um Mitarbeiter wirbt. Nicht zuletzt trifft die Protagonistin eines Nachts einen alten Mann, dessen Sohn bei der NSA arbeitet. Der Mann könne da so einiges erzählen. Die Erzählerin vermittelt den Kontakt zu Zev.
So wird alles immer grotesker, und schon durch den Prolog weiß die Leserin oder der Leser, dass offenbar Zev der Grund ist, warum der Erzählerin die USA-Einreise verwehrt wird.
Doch leider verliert sich im zweiten Teil des Buches die NSA-Geschichte immer mehr. Stattdessen entsteht zwischen der älteren Erzählerin und dem jungen Zev eine Beziehung, die eine Liebesbeziehung sein könnte. Jetzt dreht sich alles darum, was so ein Verhältnis auf dem Campus bedeutet. Dozentin und Student, ältere Frau und junger Mann – geht das gut? Kann das gehen?
Nicht nur im Buch selbst, sondern bei Leserinnen, aber auch in vielen Buchkritiken zu »Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt« überlagert plötzlich das Frauenzeitschrifts-Klatsch-und-Tratsch-Thema »Ältere Frau mit jüngerem Mann« das viel wichtigere, das viel größere Thema »Überwachung«.
Man kann dies bedauern. Man kann es schade finden, dass Zora del Buono das große politische Thema nicht vehementer verfolgt hat und sich fragen, warum sie letztendlich zwei Themen zu einem Buch gemacht hat. Oder steckt dahinter die Erkenntnis, dass die meisten nach dem Überfliegen der politischen Schlagzeilen auf SPIEGEL ONLINE, doch erst im PANORAMA-Teil wirklich interessiert klicken und weiterlesen?
Wolfgang Tischer
Zora del Buono: Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt: Roman. Gebundene Ausgabe. 2016. C.H.Beck. ISBN/EAN: 9783406696909. 18,95 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel