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Enge Einheit im Kino: »Schachnovelle« nach Stefan Zweig

McConnor (Rolf Lassgård, 2. v. r.) bittet Bartok(Oliver Masucci, r.) die Partie mit Czentovic (Albrecht Schuch, l.) weiterzuspielen (Foto: Studiocanal)
McConnor (Rolf Lassgård, 2. v. r.) bittet Bartok (Oliver Masucci, r.) die Partie mit Czentovic (Albrecht Schuch, l.) weiterzuspielen (Foto: Studiocanal)

Die »Schachnovelle« von Stefan Zweig ist Weltliteratur. Regisseur Philipp Stölzl hat das Buch neu verfilmt. Die Umsetzung muss sich nicht nur mit dem Buch vergleichen lassen, sondern ungewollt auch mit der Netflix-Serie »Das Damengambit«.

Die Netflix-Serie »Das Damengambit« hat das Schachspiel populärer gemacht. Die Serie hat zudem dafür gesorgt, dass das Buch von Walter Tevis, auf dem sie basiert, Jahrzehnte später in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Zeitgleich gefilmt und später im Kino

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Regisseur Philipp Stölzl und Drehbuchautor Eldar Grigorian den Schach-Hype nutzen und eine Neuverfilmung von Stefans Zweigs »Schachnovelle« nachschieben.

Doch dem ist nicht so. Tatsächlich wurden Serie und Film fast gleichzeitig gedreht und beide sogar zu großen Teilen in Deutschland. Die Schachnovelle hätte ebenfalls fast zeitgleich im Kino anlaufen sollen. Aufgrund des Lockdowns im Frühjahr musste der Kinostart jedoch in den Herbst 2021 verschoben werden.

Es ist gut, dass der üppig produzierte Film nun in den Kinos zu sehen ist und ihn zwischenzeitlich nicht das Schicksal anderer Produktionen ereilte und er direkt bei den Streaming-Anbietern landete.

Wie in deutschsprachigen Filmproduktionen meist üblich, ist die »Schachnovelle« zwar vom Fernsehen mitproduziert (ARD/Degeto und Bayerischer Rundfunk), doch alles atmet hier Hollywood-Pathos auf hohem produktionstechnischen Niveau.

Die »Schachnovelle« war das letzte Werk, das der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig vor seinem Suizid 1942 im brasilianischen Exil schrieb. Die Veröffentlichung und den Erfolg des Werkes erlebte er nicht mehr. »Schachnovelle« gilt als eines seiner besten Bücher und ist vielerorts bis heute Schullektüre. Die Novelle spielt auf einem Ozeandampfer, der von New York nach Buenos Aires unterwegs ist. Der namenlose Ich-Erzähler wird Zeuge einer obsessiven Schachpartie an Bord des Schiffes. Zufällig ist ein Schachgroßmeister mit an Bord. Es ist dies ein Mann aus ärmsten bäuerlichen Verhältnissen mit beschränktem Intellekt, der jedoch eines wie kein Zweiter kann: Schach spielen. Als die anderen Passagiere den Großmeister zu einem Turnier herausfordern, sind sie chancenlos, bis plötzlich ein Passagier an den Spieltisch tritt, der mit unglaublichem Schachtalent glänzt und schließlich im Namen der anderen die Partie weiterführt. Jener im Buch nur Dr. B. genannte Schachspieler vertraut sich dem Ich-Erzähler schließlich an, und wir erfahren, dass B. von der Gestapo in einem Hotelzimmer in Isolationshaft gehalten wurde und er dort nur ein hineingeschmuggeltes Büchlein mit historischen Schachpartien hatte. In seiner Einsamkeit begann B. schließlich mit sich selbst Partien im Kopf zu spielen, was ihn in den schizophrenen Wahn trieb.

Filmische Umsetzung mit richtigen Mitteln

Philipp Stölzl und Eldar Grigorian greifen für ihre filmische Umsetzung zu den richtigen Mitteln: Sie bleiben nah an der Geschichte der Novelle, entfernen die Rahmenhandlung mit Ich-Erzähler und setzen den Fokus nicht auf die Schachpartie an Bord des Dampfers, sondern auf die Zeit der Haft und der Gefangenschaft davor. Zudem wird die Dramaturgie für eine filmisch effektvolle Wendung ergänzt.

So wird der Film in weiten Teilen zum Kammerspiel zwischen dem gefangenen Notar und Vermögensverwalter, der im Film nun Dr. Bartok heißt, und dem Wiener Gestapo-Leiter Böhm, der als Figur im Zweig-Text gar nicht existiert.

»Schachnovelle« nach Stefan Zweig (Foto: Studiocanal)
»Schachnovelle« nach Stefan Zweig (Foto: Studiocanal)

Ohne die Besetzung mit Oliver Masucci als Häftling (»Als Hitler das rosa Kaninchen stahl«, »Er ist wieder da«) und Albrecht Schuch (»Berlin Alexanderplatz«, »Bad Banks«) als Gestapo-Leiter, wäre der Film wohl nicht einmal halb so gut. Die enge der Haft und der beginnende Wahnsinn sind schauspielerisch und dramaturgisch beklemmend umgesetzt. Das dunkle Zimmer, die Schachfiguren aus Brotresten und schließlich die zunehmende Platzangst selbst im kleinen Zimmer, wenn Masucci mit dem Schachbüchlein unter die Betthöhle kriecht. Schauspiel, Set, Licht und Ton bilden eine im wahrsten Sinne enge Einheit.

Nazi-Kitsch und Klischeefiguren

Auf einen gewissen Nazi-Kitsch kann der Film leider nicht verzichten und nur das gute Spiel Schuchs rettet die Klischeefigur des intelligent-freundlich-sadistischen Nazi-Ermittlers. Wenn Dr. Bartok in seiner Limousine durch das von Menschen mit roten Armbinden wimmelnde Wien fährt und den »Anschluss« Österreichs für abwendbar hält, wenn er beim Tanz mit seiner Frau »Solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehen« sagt, wirkt das dramaturgisch verkürzt naiv, so als sähe man dem Kasperle zu, das das Krokodil hinter sich nicht bemerkt. Und auch die schnelle Abhandlung der Vorgeschichte des Schachgroßmeisters als bloße Erzählung des Sekundanten ist etwas uninspiriert eingebunden.

Der Dampfer verkehrt im Film nicht von New York nach Südamerika, sondern von Europa nach Amerika, und schaut man sich den Filmtrailer an, ist man erstaunt, dass sich die Nazis sogar auf dem Schiff befinden, während dies der komplette Film in der abschließenden Schachpartie ganz anders auflöst.

Trotz seiner bisweilen klischeehaften Passagen ergänzt der Film Zweigs Novelle glaubhaft und gekonnt, sodass sich die übliche und müßige Frage »Was ist besser: Film oder Buch?« hier gar nicht stellt, da beides unterschiedliche Aspekte beleuchtet und interpretiert.

Wolfgang Tischer

Schachnovelle. Deutschland/Österreich 2020. Mit Oliver Masucci, Birgit Minichmayr, Albrecht Schuch, Samuel Finzi, Andreas Lust, Rolf Lassgård. Drehbuch: Philipp Stölzl und Eldar Grigorian nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig. Regie: Philipp Stölzl. Laufzeit: 111 Min. FSK: 12. Verleih: Studiocanal. Kinostart: 23.09.2021. Website zum Film: Schachnovelle-Film.de

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