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Filmkritik »Was man von hier aus sehen kann«: Corinna Harfouch ist nicht Rudi Carrell

»Was man von hier aus sehen kann« - Corinna Harfouch als Großmutter Selma (Foto: Studiocanal)
Sieht nicht aus wir Rudi Carrell: Corinna Harfouch als Großmutter Selma im Film »Was man von hier aus sehen kann« (Foto: Studiocanal)

Die Verfilmung des Bestsellers »Was man von hier aus sehen kann« von Mariana Leky läuft in den Kinos. Obwohl die Geschichte nahezu buchgetreu übertragen wurde, krankt der Film an der bemühten Optik.

Der Roman »Was man von hier aus sehen kann« von Mariana Leky war der Überraschungserfolg des Jahres 2017. Monatelang, ja jahrelang steht das Buch auf der Bestsellerliste. Das bei Dumont erschienene Buch wurde seitdem mehr als 800.000-mal verkauft und in 22 Sprachen übersetzt. 2017 gewann der Roman den Preis der unabhängigen Buchhandlungen.

Das Buch – und jetzt auch der Film – spielt in einem etwas vergessenen Städtchen im Westerwald. Luise wächst dort bei ihrer Großmutter Selma auf. Diese besitzt eine merkwürdige seherische Gabe: Wann immer Selma von einem Okapi träumt, stirbt kurz darauf jemand im Dorf. Lekys Roman ist voller solcher schrägen Einfälle und Figuren.

Analysiert man den Roman genauer, muss man feststellen, dass die Geschichte und ihre Figuren durchaus glaubhaft sind. Erst durch die wunderbare lakonische Erzählstimme von Luise erhält alles eine sarkastische Oberfläche und Sichtweise. Die originelle Erzählstimme macht den eigentlichen Reiz des Buches aus.

»Was man von hier aus sehen kann« - Luna Wedler als Luise (Foto: Studiocanal)
»Was man von hier aus sehen kann« – Luna Wedler als Luise (Foto: Studiocanal)

Wie aber überträgt man das ins Medium Film ohne ständigen Off-Kommentar? Regisseur und Drehbuchautor Aron Lehmann hat sich für eine unwirkliche und überdrehte Visualisierung entschieden. Alles sieht buchstäblich nach Filmkulisse aus. Die Dorfbewohner agieren bisweilen überzogen wie Statisten in einem Musical.

Während das Buch klar in den frühen 1980ern verankert ist, Songtexte dieser Zeit zitiert werden und vor allem immer wieder erwähnt wird, dass Großmutter Selma genauso aussehe wie Rudi Carrell. Doch Corinna Harfouch in der Rolle der Großmutter sieht nicht aus wie Rudi Carrell.

Der Film mit seiner künstlichen Kulissenwelt hat sich fürs Zeitlose entschieden. Gäbe es nicht gewisse Automodelle, könnte alles auch in den 50er oder 60er-Jahren spielen. Darüber kommen eine süßliche Musiksoße und immer wieder merkwürdige Traumsequenzen, bei denen man sich fragt, was damit bezweckt werden soll, da doch schon das Übrige künstlich genug ist.

Man merkt dem Film das Bemühen allzu sehr an, die fehlende textliche Originalität ins Visuelle zu verlagern. Die Figuren bleiben dabei leider Klischees. Lediglich Karl Markovics als Optiker besticht durch glaubhaftes und tiefes Spiel, was der Emotionalität des Films guttut.

Dabei versucht sich Aron Lehmann durchaus an einer buchgetreuen Wiedergabe der Geschichte und setzt aufgrund der filmischen Dramaturgie viele Originalzitate des Buches neu zusammen, was nicht immer gut gelingt.

Der Film unterhält, doch man fragt sich, ob er besser geworden wäre, wenn man die Geschichte glaubhaft und wahrhaftig erzählt und visualisiert hätte.

Für die Hörbuchfassung des Romans hat sich Sprecherin Sandra Hüller entschieden, den knalligen Erzählton nicht auch noch mit einer knalligen Vortragsweise zu versehen. Stattdessen liest sie leise, wohltemperiert und zurückhaltend, was den Text Lekys und ihren Roman aufblühen lässt.

Eine ähnliche Zurückhaltung hätte man sich für den Film gewünscht.

Wolfgang Tischer

Film: »Was man von hier aus sehen kann«. Nach dem Roman von Mariana Leky. Mit Luna Wedler, Corinna Harfouch, Karl Markovics u. a. Musik: Boris Bojadzhiev. Drehbuch und Regie: Aron Lehmann. Deutschland 2022. 103 Minuten. FSK 12. Verleih Studiocanal. Im Kino ab dem 29.12.2022. wasmanvonhieraussehenkann.de

Buch: Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann: Roman. Taschenbuch. 2019. DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783832164577. 13,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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5 Kommentare

  1. Bei einer Literaturverfilmung soll ein eigenständiges filmisches Werk entstehen, nicht der Text in Filmsprache umgesetzt werden,. Das ist Aron Lehmann hervorragend gelungen: Ein sehr poetischer Film mit viel Witz, Sarkasmus, ansteckender Heiterkeit und Traurigkeit sogleich bis hin zu Komik und Groteske- sehr fein gezeichnete Charaktere, wie man sie ähnlich borniert, brutal oder liebenswert aus der eigenen dörflichen Biografie nur zu gut kennt, werden hier bis zum finalen Showdown durchsichtig . Ein Kinovergnügen!

  2. Ähnliches wie Wolfgang Tischer in seiner Kritik beschreibt, habe ich beim Sehen des Filmes auch empfunden. Die ganze Zeit, während ich im Kinosessel saß, habe ich mich gefragt, ob der Film überhaupt “funktioniert”, wenn man das Buch nicht kennt !? Frau Jutta Fitzek stimme ich insofern zu, dass eine Literaturverfilmung ein eigenständiges Werk ist – und nicht ein Buch “illustrieren” soll. Aber sehe ich den Film eigenständig für sich, dann fehlt mir tatsächlich die Entwicklung der Geschichte und der Charaktere – das Ganze ist mir zu elliptisch und bilderbogenhaft erzählt. Nichtsdestotrotz kann man den Film anschauen – alle Schauspieler spielen hervorragend. Und es ist schön anzusehen. Auch gibt es einzelne berührende Szenen – aber insgesamt konnte der Film mich leider nicht mitnehmen.

  3. Moin, ein Werk ist immer Geschmackssache. Jede und jeder sollte sich den Film anschauen und sich ein eigenes Urteil bilden und alle können früh aus dem Kino gehen, den Film als schlecht empfinden oder aber sich begeistern und ihn in allen Facetten genießen. Da geben sich so viele Menschen Mühe ein Werk auf Basis eines noch Besseren mit einer hochwertigen Schauspielergarde zu kreieren und Sie hier müssen hier Ihr eingeschränktes weil alleiniges Urteil veröffentlichen. Das ist auf Anhieb traurig und durchaus auch peinlich. Der Film selbst erinnert an Wes Andersons Kunstform, Sherry Hormann und auch Jean-Pierre Jeunet.

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