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Das Literarische Quartett vom Mai 2022: Warum über schlechte Bücher sprechen?

Die Quartett-Besetzung vom 26. Mai 2022 (von links): Jakob Augstein, Thea Dorn, Moritz von Uslar und Eva Menasse (Foto: ZDF/Jule Roehr)
Die Quartett-Besetzung vom 26. Mai 2022 (von links): Jakob Augstein, Thea Dorn, Moritz von Uslar und Eva Menasse (Foto: ZDF/Jule Roehr)

Waren es vier schlechte Bücher, oder wurden Bücher schlechtgeredet? Ist die Sendezeit im ZDF nicht zu schade, um über Bücher zu sprechen, bei denen man sich beim Zuschauen fragt, warum sie für die Sendung ausgewählt wurden?

Zu Beginn des Quartetts eine kleine Neuerung: Die Diskutierenden wurden in einem kleinen Einspielfilm vorgestellt, in dem sie die Bücher in die Kamera hielten. Neckisch zwinkernd oder ein signiertes Exemplar verschämt in die Kamera haltend. Nunja. Man hatte dies wohl von der Sonderfolge mit jungen Lesenden abgeschaut, um etwas schwungvoller zu starten.

Leider wurde dieser Schwung von Moritz von Uslar ausgebremst, der danach die Vorstellung – äh – des von – äh – ihm vorgestellten Buches – äh – zusammen – äh – stöppelte. Auch die ansonsten immer gut und auf den Punkt argumentierende Eva Menasse verhedderte sich in überflüssigen und belanglosen Details bei der schlechten Nacherzählung »ihres« Buches. Und selbst Thea Dorn schaffte die Zusammenfassung nicht in der von einer Sanduhr vorgegebenen Zeitspanne.

Es wäre sinnvoller, die vier Bücher in kurzen, prägnanten Einspielfilmen vorzustellen. Dann könnte man die Übersetzerin oder den Übersetzer mitnennen, was im Literarischen Quartett nie konsequent erfolgt. Diesmal wurden sie glücklicherweise erwähnt.

Zwei Autorinnen und zwei Autoren sprachen schlecht über die Arbeit von Kolleginnen und Kollegen – in jeder Hinsicht.

Über Uwe Tellkamp und sein Buch »Der Schlaf in den Uhren« wird bereits seit Monaten überall geschrieben und berichtet. Selbst in einer 90-minütigen 3sat-Dokumentation darf sich der Autor, über den alle schreiben und berichten, darüber beklagen, er werde cecancelt, und es werde nicht über ihn berichtet und geschrieben. Das 32 Euro teure 900-Seiten-Buch ist längst auf der Bestsellerliste. Tellkamp und seine Thesen sind omnipräsent. Dieser Widerspruch und die erwähnte Dokumentation zeigen das Drama dieses Mannes. Ein erschütterndes Dokument über verrückte Weltsichten und Weltbilder. Ein tiefer, trauriger Gang in den Kaninchenbau.

Es mag der Chronistenpflicht geschuldet sein, dass das Buch auch im Quartett besprochen wurde, obwohl es nichts Neues zu sagen gab. Jakob Augstein bemühte sich, als Advocatus Diaboli dem Buch ein paar gute Seiten abzugewinnen. Er kam zur absurden These, das Buch sei dann gut, wenn man es nicht von vorn bis hinten lese, sondern an beliebiger Stelle aufschlage. Es nützte nichts. Vertane Sendezeit. Vielleicht die einzige Erkenntnis formulierte sinngemäß Moritz von Uslar: Beleidigtsein ist keine Basis, um ein gutes Buch zu schreiben.

Ansonsten waren es die Männer in der Runde, die sich mit einem merkwürdig unmotivierten Stil am Nicht-gut-Finden von Buch-Aspekten unangenehm hervortaten.

Was bleibt als Eindruck von dieser Sendung? Sinnlos verbrauchte Sendezeit für vier scheinbar unterdurchschnittliche Bücher, die es nicht zu lesen lohnt. Wie kam diese Auswahl zustande? Wer glaubte, es lohne sich, über die Werke zu sprechen? Als Zuschauerin und Zuschauer hätte man dies gerne gewusst, als man sich mit den vier auf der Bühne lustlos durch die 50 Minuten quälte.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Die in der Sendung vom 26.05.2022 besprochenen und erwähnten Bücher:

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9 Kommentare

  1. Wie schon bei Ihrer letzten Besprechung des LQ: Mir aus der Seele gesprochen. Aus beiden Sendungen habe ich nichts mitgenommen, was mich zum Kauf eines der besprochenen Bücher reizen würde. Gut finde ich Ihre Anregung, die Bücher/Buchinhalte in Einspielfilmen vorzustellen. Aber ich fürchte, auch das und die meiner Ansicht nach verbesserte Intro ändern nichts daran, dass das Literarische Quartett seine besseren Zeiten hinter sich hat. Ich würde mir Besprechungen á la Elke Heidenreich zurückwünschen, damit kannn man etwas anfangen. Und das ZDF sollte sich dringend überlegen, wie es in Zukunft mit dem Thema Literatur umgehen will.

  2. Es ist wirklich unverständlich, warum vier Bücher ausgewählt wurden, die weder mit Leidenschaft noch mit echtem Interesse besprochen wurden. Keines der vorgestellten Werke konnte die Diskutanten und sicher auch die Zuschauer überzeugen. Schade um die Zeit!!
    Ich vermisse die engagierte Botschaft einer Elke Heidenreich: Lesen! Die Botschaft des Literarischen Quartetts im Mai: Warum überhaupt lesen?

  3. Wie kommen Sie dazu das Buch von Tellkamp mit einem schlichten “schlecht” zu versehen? Bei einem Autor seiner Größe hätte man sich sowohl vom Quartett als auch von Ihrem Versuch einer Kritik an der Sendung doch etwas mehr Aussagekraft erhofft…

  4. Ich kann der Kritik nur zustimmen und nachdrücklich den im Schweizer Fernsehen gezeigten „Literaturclub“ empfehlen. Der wird auch bei 3sat gezeigt und ist jederzeit im Internet abrufbar. Man hat mehr Zeit (75 Minuten), gute Sprecher lesen Abschnitte aus einigen besprochenen Büchern vor, es gibt zum Abschluss Buchempfehlungen und ein Gedicht. Man hat das Gefühl, eine gerundete Sendung gesehen zu haben, nicht so eine durchgepeitschte Pflichtübung. Und Elke Heidenreich ist im Rezensententeam auch ab und zu dabei.

  5. Der Autor, Herr Tellkamp, “darf” sich, selbst in einem öffentlich rechtlichen Sender, beklagen …
    Ein entlarvender Halbsatz. Demokratie Deutschland in Reinkultur … Oh, sorry, jetzt habe ich mich
    auch noch beklagt. Hoffentlich bekomme ich jetzt nicht auch noch Besuch vom SEK …

    Roland

  6. Oft muss ich bei Ihren Texten schmunzeln, wenn Sie so böse über das LQ schreiben und die Boshaftigkeit angebracht ist. Die Kritik an Moritz von Uslar ist auch völlig gerechtfertigt. Ihre Meinung zum Tellkamp- Buch und Film teile ich nicht. Das Buch wurde nicht seit Monaten besprochen, sondern erst in den letzten Wochen in den Medien besprochen. Den Film fand ich interessant, weil er nicht wertend war und Tellkamp dort einiges richtigstellen konnte. Tellkamp beklagt dort das was jeder Medien-Nutzer schon seit einiger Zeit feststellen musste, dass es eine Cancel Culture gibt. Cancel Culture meint nicht, dass nicht jeder seine Meinung sagen darf, sondern das Künstler, Autoren mit einer konservativen Meinung diskreditiert werden, es kommt immer öfter zum Shitstorm bei ihnen, Auftritte werden gecancelt. Wie ich gelesen habe, war das bei Tellkamp häufig der Fall, seitdem er sich positioniert hatte. Organisierte Lesungen und Veranstaltungen/Projekte wurden abgesagt. Deutlich wurde das Thema auch im Film als die Autorin Monika Maron davon erzählte, wie sie beim S. Fischer Verlag rausgeschmissen wurde. Die Empfehlung von Augstein, Tellkamps neues Buch nicht am Anfang anzufangen, sondern irgendwo, ist gar nicht so dumm. Viele Buchanfänge sind schwierig, warum viele Leser die Anfänge erst einmal überspringen.

  7. Ich finde das alles ziemlich schleimig, lieber Herr Tischer. Wer immer noch nicht begriffen hat, wie cancel culture funktioniert, sollte wirklich einfach mal den Mund halten. Ich finde, insgesamt hat bei Tellkamps Buch die deutsche “Literatur”-Kritik den Offenbarungseid geleistet. Offenbar auch sie. Schade.

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