Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.
Eine Kolumne von Vito von Eichborn
Alle reden von der Messe – nur ich werde nicht hinfahren. Und nun weiß ich nicht, ob ich mich ärgern soll oder erleichtert sein. Natürlich hab ich nostalgische Gefühle in diesen Tagen.
Wie der Begriff »weltgrößte Buchmesse« es richtig beschreibt: Da gibt es buchstäblich alles, was irgendwie mit Büchermachen zu tun hat. World trade of books and rights. Und das ist das Problem – schon nach ein paar Stunden Herumschlendern im Gewimmel ist man doch völlig erschossen.
Wenn man, gut vorbereitet, lauter Termine abarbeitet – ist das eine großartige Gelegenheit, zahllose Gespräche zu führen. Am Verlagsstand und im Rights Center sind die oft viertelstündlich getaktet. Jedoch: Effiziente Arbeit findet nur ausnahmsweise statt. Wichtig ist das kurze Face-to-face-Gespräch statt Fon und Mail mit all den Leuten, die man sonst nie sieht. Und es gibt ja in unserer Branche viele Leute, die man richtig gerne hat. Das meiste jedoch ist Small-talk rund um die Uhr, nachts auf den Empfängen. Viele Autoren – nicht die Selbstdarsteller – fühlen sich sauunwohl. Sinn macht das für Lektoren und Agenten mit internationalen Aufgaben, nicht zuletzt für die Bücher aus kleineren Ländern, wo man nie hinfährt. Und für die Vertriebsleute im Gespräch mit Buchhändlern.
Die wichtigen Geschäfte im Rechtehandel finden jedoch kaum auf der Messe statt. Dem habe ich eins der irrsinnigsten Erlebnisse meines Lebens zu verdanken: 9/11.
Wie alljährlich war ich – wie viele andere Verlagskollegen – im September 2001 in New York unterwegs. Eine Woche täglich sechs Termine. Projekte und Manuskripte einsammeln, vor der Messe auf der Suche nach dem ganz besonderen Bonbon. Quer durch die Stadt hetzen. Zwischendurch und abends im Hotel das Material sichten – absagen, vom Hotel faxen, wegschmeißen, für mehr Gründlichkeit einpacken. Oder, selten, auch am nächsten Tag einkaufen.
Morgens steige ich in ein Taxi an meinem liebenswürdigen Gramercy Park Hotel. Das aufgeregte Gerede des Fahrers ist unverständlich, er zeigt nach hinten, ich sehe eine Rauchsäule. Na und? Termin an der 46. Straße. Begrüßung, alles ist seltsam – meine Gesprächspartnerin erzählt hektisch was, das ich nicht kapiere, und meint: Alle verlassen jetzt das Büro.
Ich stehe auf dem Times Square, der Platz ist voller Menschen, wir schauen auf eine Riesenleinwand, wie in einer Schleife die Twin Towers fallen. Es gibt gewissermaßen aus dem Stand keinen Autoverkehr, keine U-Bahn fährt. Ich laufe durch diese unglaubliche Stadt – die jetzt nur aus Fußgängern in alle Himmelsrichtungen besteht. Stille bis auf vereinzelte Sirenen. Beim nächsten Termin stehe ich in der 32. Straße im 14. Stock mit der Kollegin vor ihrem Bürofenster: Von hier konnte sie in der Ferne einen der Türme vom World Trade Center sehen. Er ist weg. Weiter downtown ist alles abgesperrt. Ich lande im dunklen Souterrain einer kleinen Agentur, wo wir zusammen fernsehen – dasselbe wie die ganze Welt. Die wollen mir einen indischen Roman verkaufen.
Die nächsten zwei Tage lief ich kreuz und quer durch die Stadt. An Gittern hängen Pappen mit Namen von gesuchten Menschen. Das Lebensgefühl ist absolut surreal. Einige von uns hatten sich zusammentelefoniert, ein Dutzend deutsche Büchermenschen treffen sich abends in einem italienischen Restaurant. Rechts und links vor der Eingangstür brennen Kerzen.
Es gingen keine Flieger nach Deutschland. Weil die Kollegen in Frankfurt für mich einen trickreichen Umweg fanden, komme ich früher weg als die anderen. Ich laufe beim Umsteigen stundenlang durch Stockholm, wo ich nie hinwollte, fühle mich immer noch wie aus der Zeit gefallen.
Schluss jetzt, die paar Reminiszenzen müssen genügen, hier ist weder Ort noch Raum für die Schilderung, äußerlich und innerlich, hat ja auch nix mit Büchermachen zu tun – nur mal was Persönliches, angesichts der Buchmesse …
PS: Eine Anmerkung. Weil ich nicht weiß, ob mir weiterhin jede Woche was einfällt – das war ja heute schon weit hergeholt. Auch, weil ich plötzlich weniger Zeit habe und an mehreren Projekten werkele, werde ich vielleicht manchmal die Kolumne ausfallen lassen. Es sei denn, Sie liefern Fragen, Themen, die ich gleich erledigen muss …
PPS: Und die netten Petitessen mit Mister XX – nix für ungut, okay?
Vito von Eichborn
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