Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.
Eine Kolumne von Vito von Eichborn
Hier mal eine kleine Korrespondenz, wortwörtlich. Nur XYZ macht die Kernidee unkenntlich.
Dies ist rundherum typisch für ein Autorenangebot und eine Verlagsreaktion. Der Lektor wäre nicht so drauf eingegangen, wenn Konzept und Probetext nicht richtig neugierig gemacht hätten. Der Autor hat Mut, kann schreiben – nunja, so ging’s halt nicht. Ich denke, er hat es sich zu einfach gemacht, in Idee und Konstruktion wie in der Sprache.
Sehr geehrter Herr von Eichborn,
ich beziehe mich speziell auf die 14. Ausgabe Ihrer von mir sehr gern gelesenen Kolumne im Literaturcafe übers Büchermachen.
Ähnlich wie der von Ihnen erwähnte Autor, dem Sie nicht helfen konnten, bin ich ein “alter Sack” (Baujahr 1947). Andererseits bin ich das genaue Gegenteil zu dem genannten Autor mit den liebevollen, ruhigen Texten.
Wenn die historische Aktion des Schusters Voigt als Hauptmann von Köpenick und die spätere Komödie Zuckmayers ein Schlag ins Gesicht des preußischen Militarismus waren, dann ist meine Komödie in Romanform “XYZ for Sale” der Schlag ins Gesicht des Neoliberalismus, der die Interessen der Mehrheit der Menschen mit Füßen tritt.
Ich füge ein Exposé und die ersten Seiten als Leseprobe bei mit der Bitte, zu prüfen, ob Sie sich als Agent für das Buch einsetzen möchten.
Übrigens, nicht nur Titel und Text sind “laut”. Wenn Sie einen Verlag gewinnen, der es schafft, mich in einer bundesweiten Talkshow unterzubringen, dann werden in der Woche nach der Sendung hunderttausend Bücher verkauft, mindestens, garantiert! Mit freundlichen Grüßen XX
P.S.: Dieses Angebot ist das erste, welches ich überhaupt mache nach Fertigstellung des Manuskripts.
Am 28.09.2018 um 18:53 schrieb Vito von Eichborn:
Moin, Herr XX, und Dank fürs Angebot.
Schade – das funktioniert nicht.
Auch Übertreibungen müssen glaubwürdig sein – die XYZ-idee funktioniert nicht. Das ist zu hoch gegriffen – also gaga. Da Sie was von Immobilien und Finanzierungen verstehen – vielleicht geht das umzubauen auf hundert andere Bundesimmobilien. Ein Militärgelände, whatever.
Kanzler Schröder kann heute nicht mehr auftreten. Aber eine Politiker-Verschwörungsgruppe – mit natürlich ehrenhaften Zielen – für ein paar Milliarden?
Zum zweiten jedoch – sprachlich ist das “zu normal”, ohne: “Eigenart”, originelle Metaphern, Witz … Es ist alles zu sehr Oberfläche, geht voran aber fesselt nicht wirklich.
Nee, es reicht nicht für einen Mini-Schätzing oder so. Die Grundidee schon hat keine Chance, fürchtet, mit besten Wünschen VvE
PS: Übrigens ist die Talkshow-Behauptung trumpmäßig peinlich.
Darauf die Antwort des Autors:
Hallo, Herr von Eichborn, ich danke Ihnen für die ehrliche Antwort. Mit freundlichen Grüßen XX
Ich bin überzeugt, dieser Autor könnte es. Wenn er in jeder Hinsicht das Romanschreiben bzw. die Ansprüche an sich selbst höher hängen würde.
Warum ist Schätzing hierzulande so eine Ausnahme – gezielt Bestseller schreiben zu wollen – und zu können? Warum müssen wir Lizenzen für zahllose Thriller aus den USA einkaufen und übersetzen – mangels deutschsprachiger Handwerker mit Sprache, die mit Dramaturgie und Spannung, psychologischen Zutaten und weltbewegenden Fragen arbeiten können?
Vito von Eichborn
Bewerbungen? Fragen? Meinungen? Manuskripte? Kommentare? Vito von Eichborn freut sich über Rückmeldungen! Am besten unten in den Kommentaren oder per Mail an buechermachen(at)literaturcafe.de.
Am 28. September habe ich Ihnen als erstem Literaturagenten überhaupt Exposé und kurze Leseprobe geschickt. Ich habe das Projekt bisher keinem einzigen Verlag angeboten.
Mein Inhalt muss Sie aber doch stark angesprochen haben, denn am Abend des Tages meines Angebots haben Sie geantwortet und nur ein paar Stunden später haben Sie den obigen Text veröffentlicht.
Meine Antwort dazu:
Hallo Herr von Eichborn,
das finde ich aber nicht gut. Glauben Sie, die Tatsache, dass ich mich für Ihre ehrliche Meinung bedankt habe, bedeutet, dass ich sie für richtig halte? Es geht mir sehr wohl um die Sale-and-lease-back-Verschwörung genau dieses Gebäudes und die Änderung, welche sie vorschlagen, halte ich für das Ausweichen des deutschen Michels vor der notwendigen Radikalauseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität. Die muss gerade in Form der Komödie möglich sein finde ich.
Mit der Verwendung des Schriftwechsels im Literaturcafé haben Sie mir die Suche nach einer Agentur erschwert, und dafür bedanke ich mich nicht. Würden Sie so freundlich sein, diese Antwort noch mit hineinzunehmen in den Text?
MFG…..
Sehr geehrter Herr XX,
so ähnlich wie Sie habe ich auch schon mal aufgetrumpft (im Anschreiben einer Manuskipteinsendung an einen Verlag) – und ebenfalls eine entsprechend passende Antwort bekommen. Da war ich 21. Inzwischen habe ich (Jahrgang 1957) dazugelernt, sehe meine Chancen realitischer und mich selbst kritischer und bin desillusioniert ohne resigniert zu haben. Vielleicht sollten Sie erwachsen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Schüller,
ich habe das Handwerk gelernt. Deshalb weiß ich, dass ich einen guten Roman geschrieben habe. Ein gelernter Schreiner weiß auch, dass er z.B. einen soliden Schrank gebaut hat. Das heißt nicht, dass der jedem Menschen gefallen muss, denn die Geschmäcker sind nun mal glücklicherweise verschieden.
Weniger als vierundzwanzig Stunden nach Verschicken des ersten Exposés mit einer kurzen Leseprobe erhielt ich (siehe oben) die Bestätigung, dass Robert McKee leider weitgehend Recht hat mit seiner niederschmetternden Einschätzung deutschen Humors:
“Wenn eine Gesellschaft ihre Institutionen nicht verulken und
kritisieren kann, ist sie nicht fähig zu lachen. Das kürzeste Buch,
das jemals geschrieben würde, wäre ein Buch über deutschen Humor,
denn in der deutschen Kultur herrschte zu oft eine lähmende Furcht
vor Autorität. Im Kern ist Komödie eine zornige, antisoziale
Kunstform. Um das Problem einer schwachen Komödie erst gar nicht
entstehen zu lassen, muss sich der Autor zuallererst fragen: Worüber
bin ich zornig? Hat er einen Aspekt der Gesellschaft gefunden, der
sein Blut zum Kochen bringt, kann er seinen Angriff starten.”
Was soll ich als Autor einer Komödie davon halten, dass mir vorgehalten wird, mein Fehler sei es, keinen Thriller a la Schätzing geschrieben zu haben?
Mit freundlichen Grüßen
XX
Sehr geehrter Herr XX,
danke für Ihre freundliche Antwort auf meine etwas provokanten Sätze.
Ob Ihr Roman etwas taugt, oder ob ich ihn gern lesen würde, kann ich nicht beurteilen. Wie Sie schreiben: Die Geschmäcker sind verschieden (und die Kriterien auch). Dass Sie nicht begeistert sind, wenn Ihr Brief veröffentlicht wird, der nicht für die Öffentlichkeit gedacht war, kann ich nachvollziehen. Meine kurze Stellungnahme bezog sich in erster Linie auf den letzten Absatz Ihres von Herrn Eichborn veröffentlichten Schreibens. Damit haben Sie eine solche Reaktion wohl provoziert. Falls er humorvoll gemeint war, so ist mir das entgangen. Aber Ihre Idee ist jetzt in der Welt, viel-leicht ist das ja gar nicht so schlecht für sie/Sie. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an anderer Stelle.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Schüller,
danke für die guten Wünsche!
Mit bestem Gruß
XX
Nee, die XYZ-Kernidee ist nicht in der Welt. Und wieso dieser anonymisierte Schriftwechsel irgendwas stört, ist mir schleierhaft. Als ob ein Lektor ein Projekt auf seinem Tisch mit dem literaturcafe.de überhaupt in Verbindung bringen könnte. Dass Autoren beleidigt sind, wenn man ihre Qualität verkennt, ist ja nix Neues. Seltsam nur, dass ich den Versuch eines Thrillers las – den der Autor für humorvoll hält. Zu lachen – auch ironisch im Hinterkopf – gibt’s da nix. Nee, Herr XX, es geht nicht ums “Gefallen”, dieser Schrank ist eine Fehlkonstruktion. Schade. VvE
“… in der deutschen Kultur herrschte zu oft eine lähmende Furcht vor Autorität.” s.o. Die Furcht des deutschen Michels vor der humorvollen Bloßstellung der Autorität ist so groß, dass er den Humor mit aller Gewalt ausblendet und ungewollt den Versuch eines Thrillers erfindet. Die Tatsache, dass tatsächlich kein zum Bestseller geeigneter Thriller vorliegt, ist demzufolge die selffulfilling prophecy. Ob eine zum Bestseller geeignete Komödie vorliegt, kann nur ein nicht auf Thriller-Bestseller vorprogrammierter Lektor und letztendlich der Leser entscheiden.
Was für ein alberner Thread. Verfasst von erwachsenen (selbstverliebten?) Männern. Da kann ich als erwachsene Frau nur den Kopf schütteln.
Also bitte! Klar kann man alles unter der Brille “Mann – Frau” sehen und dabei das jeweils andere Geschlecht als dumm ansehen. Wird so etwas nicht als »Sexismus« bezeichnet?
PS: Herr Eichborn, private Korrespondenz zu veröffentlichen und sich darüber auch noch lustig zu machen, ist respektlos. Einerseits.
Andererseits finde ich sie weder erhellend noch unterhaltsam und als Effekthascherei deutlich zu erkennen.
Find ich auch. Vito nutzt es schamlos aus, hier am längeren Hebel zu sitzen. Ich frage mich, ob das Veröffentlichen privater Korrespondenz ohne Zustimmung des Verfassers überhaupt zulässig ist. Wie man am Aufstieg in die Top Ten Websites im Dummie-Buch merkt, ist literaturcafe.de ja kein privater Verein.
Der Vorwurf stimmt schon: Der Plot ist deutlich zu erkennen, die Idee ist aus dem Sack, und womöglich gibt es sogar Verlagslektoren und andere Agenten, die diese Kolumne lesen! Das hier Gelesene fällt ihnen bei Zusendung des Manuskripts vielleicht wieder ein?
Die Kommentare finde ich nicht boshaft, sondern ehrlich. Sie mögen hinsichtlich der Marktkenntnisse auch stimmen, aber sie sind bestens dazu geeignet, eine Vorhofstimmung zu erzeugen, die es schwerer macht, woanders anzukommen. Und diese Möglichkeit wollen wir doch jedem zugestehen! Jeder hat das Recht dazu, selbst das, einen Flop zu produzieren.
Was übrigens ganz untypisch ist, ist die ausführliche Antwort. Absagen sind meistens völlig nichtssagend, und Autor(in) weiß nicht, warum ein Manuskript abgelehnt wurde. Insofern hat Herr XX sich zu Recht über die nicht nur ehrliche, sondern ungewohnt ausführliche Antwort gefreut.
Schon wenn ich “Neo-Liberalismus” lese oder höre, weiß ich genau, was zu erwarten ist: nichts.
Der Begriff (eigentlich aus der ökonomischen Wissenschaft entlehnt) ist keine Bezeichnung sondern ein (vorweggenommenes) Urteil und birgt soviel literarisches Spannungspotential wie ein Testbild oder eine Kolumne von Alice Schwarzer.
Interessant, dass immer diejenigen dieses Wort im Munde führen, die garantiert wenig bis gar keine Ahnung von Volkswirtschaft haben.