Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.
Eine Kolumne von Vito von Eichborn
Ein Kommentator zur letzten Kolumne lamentierte – ja gar nicht verkehrt – mal wieder über den Niedergang von Lesekultur und Kultur generell. Er klang ratlos. Und, so kurz gegriffen, bin ich das auch. Sieht ja alles nicht so gut aus, was in unserer westlichen Welt als wachsende Tendenz bedrohlich wird – und wir längst für überwunden hielten.
Und einem Autor, der über diese Kolumne kam, mit liebevollen ruhigen Texten, der in der Äktschenwelt keinen Verlag – und das Klinkenputzen entwürdigend – findet, konnte ich nicht helfen. Erstens ist er für die ökonomischen Zusammenhänge zu alt – Verlage wollen Zukunft. Zweitens ist sein Schreiben zu leise, um eine Chance auf Gehör zu finden.
Schauen wir mal in den Überbau – das ist offensichtlich mit kulturellen Errungenschaften wie mit ökonomischen -, wenn es irgendwo runtergeht, geht’s anderswo rauf. Im »Cicero« las ich, dass vor sechshundert Jahren der durchschnittliche Chinese reicher war als der durchschnittliche Amerikaner. Der hatte nun kürzlich zwanzigmal soviel wie ein Chinese.
Und dass Kultur was mit Kohle zu tun hat, ist ja nix Neues. Heute sind in Hongkong und Singapur und wohl auch Südkorea die Kids ungleich besser ausgebildet als unsere.
In Spenglers »Untergang des Abendlandes« ging es nicht so radikal zu wie im Titel des Buches – es ging um Aufstieg und Niedergang von Kulturen. Jammern wir heute noch über die verschwundenen Kulturen der Mayas? Von Ägypten über die Antike bis Byzanz (wie Spengler meinte, etwa alle tausend Jahre) – warum soll es uns jetzt nicht genauso gehen: den Bach runter?
Dass die Kulturen sich nicht befruchten, sondern sich eben nicht kapieren – klingt verblüffend modern. Siehe Sarrazin.
Spengler war Antisemit. Aber seine damals klugen Überlegungen zum Verhältnis von Geld und Geist könnte ja ein Sloterdijk mal wieder neu interpretieren. Und wenn ein Houellebecq wie Spengler meint, die Religion käme wieder, dann packt mich das Grausen.
Zurück auf den heutigen Teppich: Ich weigere mich, das Glas für halbleer zu halten. Solange am anderen Ende Neues entsteht, Hoffnungsvolles, könnten sich ja auch neue Werte finden anstelle unseres Jammerns über den Niedergang von Werten und Moral. Und der Lesekultur. Der oben genannte, ja sehr hilflose Kommentar bezieht sich auf unseren eigenen kleinen Horizont – letztlich auf: Früher war alles besser. Na?
Nebenbei müssen wir aufpassen – denn der Niedergang der Kultur wird besonders von kulturfreien Dumpfbacken am nationalistischen Ende des Diskurses bejammert.
Nun muss ich die Kurve kriegen, und so ein alter Sack wie ich hat gut reden. Warum sich den Kopf über die Nachfahren zerbrechen – das ist schon früher niemandem gelungen. Ich bleib lieber heute beim altmodischen Blümchenpflanzen. Hier ein kulturelles Körnchen und dort ein Blick in die unbegreifliche Natur (pardon, wenn das esoterisch klingt), die uns mit dem menschlichen Kulturgehabe ein bisschen Demut beibringt.
Darwin meinte richtig: »Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand.« Und besonders gefällt mir Emerson: »Eine Rose spricht alle Sprachen der Welt.«
Irgendwo stand neulich sinngemäß: »Wer keine Gedichte liest, tut mir leid.« Welch Arroganz!
Warum sind Dichter so oft unglückliche Menschen?
Vito von Eichborn
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🙂 Das mit den Gedichten, die man lesen und verstehen muss – sie zu _mögen_ war zweitrangig – erinnere ich aus einem Artikel im (vermutlich) Feuilleton der „Zeit“ vor mindestens vierzig Jahren. Wer keine Gedichte las, war ein Kulturellerbanause und nicht dazu in der Lage, Literatur zu verstehen.
Es lässt vermutlich tief blicken, dass ich das nie vergessen habe. Ich war empört und beleidigt und fühlte mich jedesmal rebellisch, wenn ich ein weiteres Gedicht trotzig ignorieren konnte. Vermutlich ist mir viel Gutes entgangen, aber immerhin mag ich einiges von Rilke.
Was ich eigentlich sagen wollte: Wir Menschen werden nicht aufhören, Geschichten zu erzählen, nur weil wir dazu heutzutage weniger Papier benutzen. Ob man davon leben kann oder einem das Feuilleton auf die Schulter klopft, ist tatsächlich nicht so wichtig – und viele Gedichte sind es auch nicht, obwohl einige wirklich schön sind.