StartseiteLiterarisches LebenBayerischer Buchpreis beschädigt beste Bücher brachial

Bayerischer Buchpreis beschädigt beste Bücher brachial

Preisträger des Bayerischen Buchpreises 2019
Bayerischer Buchpreis von links nach rechts: Ehrenpreisträger Joachim Meyerhoff, Sachbuch-Preisträger Jan-Werner Müller und Belletristik-Preisträger David Wagner (Foto: Tischer)

David Wagner gewinnt mit »Der vergessliche Riese« den Bayerischen Buchpreis 2019 in der Kategorie Belletristik. Das Juryurteil war einstimmig und eindeutig. Zum Glück, denn mit den anderen nominierten Büchern und der Sachbuch-Kategorie ging die Jury reichlich rüde um. Was war los in München?

Eigentlich war es wie immer ein feierlicher Abend in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz. Die Stimmung am 7. November 2019 war gut, es wurde viel gelacht, was vor allem an Joachim Meyerhoff lag, dem diesjährigen Gewinner des Ehrenpreises des Bayerischen Ministerpräsidenten. Zuvor hielt Medienminister Florian Herrmann eine wohlformulierte Laudatio mit vielen Anspielungen aus und auf Meyerhoffs Romanzyklus »Alle Toten fliegen hoch«. Wenngleich vermutlich nicht selbst geschrieben, war die Laudatio sympathisch vorgetragen und Herrmanns Begeisterung wirkte echt.

Von Enttäuschungen und Situationen

Joachim Meyerhoff bei seiner Dankesrede in der Allerheiligen-Hofkirche in München
Joachim Meyerhoff bei seiner Dankesrede in der Allerheiligen-Hofkirche in München (Foto: Tischer)

Die anschließende Dankesrede von Autor und Schauspieler Meyerhoff war unterhaltsam wie seine Bücher. Er beschrieb seine Zugfahrt von Berlin nach München, die mit der euphorischen Vorstellung begann, dass er den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten von Markus Söder persönlich überreicht bekommen würde und mit der Erkenntnis und Enttäuschung endete, dass dem nicht so ist. Doch es sei gerade die Enttäuschung, die aus solchen Ereignissen Geschichten macht, wie Meyerhoff durch seine Rede selbst demonstrierte. Sein Schreiben sei durch seinen Schauspielberuf dominiert, in dem vornehmlich »die Situation« zähle. Situationen versuche er daher auch in seinen Büchern zu schaffen. Diese Situationen sollten in ihrer Absurdität oder Schwere für sich selbst stehen und nicht immer gleich vom Autor erklärt und gedeutet werden.

Doch vor Meyerhoffs Auszeichnung standen die Jury-Entscheidungen zum Bayerischen Buchpreis in den Kategorien Sachbuch und Belletristik, für die jeweils drei Bücher nominiert waren. Es ist die Besonderheit des Bayerischen Buchpreises, dass die Jurydiskussion und -entscheidung über Preisträgerin oder Preisträger live vor Publikum auf der Bühne stattfindet. Hierzu hat die Jury jeweils eine halbe Stunde Zeit.

Die Jury-Besetzung war in diesem Jahr identisch mit dem Vorjahr, wobei Sandra Kegel, Literaturredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, diesmal den Vorsitz inne hatte. Zur Jury gehörten zudem Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des »Philosophie Magazins«, und der Kulturredakteur des Bayerischen Rundfunks Knut Cordsen.

Bayerischer Buchpreis: Jury und Preitsträger
Moderatorin Judith Heitkamp, die Juroren Svenja Flaßpöhler, Knut Cordsen und Sandra Kegel, Medienminister Florian Herrmann, die Preisträger Joachim Meyerhoff, Jan-Werner Müller und David Wagner und Michael Then vom Landesverband Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (Foto: Tischer)

Beginnen musste Sandra Kegel mit einer unerfreulichen Nachricht. Dem von ihr nominierten Buch »Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter« und seiner Autorin Cornelia Koppetsch wird vorgeworfen, dass sie in ihrem Werk Begrifflichkeiten verwende, die von anderen Autoren stammten, ohne dass dies kenntlich gemacht wurde. Ebenso seien Textpassagen wortwörtlich in anderen Büchern zu finden und die Zitate nicht kenntlich gemacht. Obwohl das Buch an sich hochgelobt wurde, hat sich die Jury dazu entschlossen, wegen des schwebenden Verfahrens das Buch sehr kurzfristig aus dem Rennen zu nehmen.

Vom Juror zum Ankläger

Mit dieser Aussage hätte man es bewenden lassen können. Doch dann ergriff Juror Cordsen das Wort und verkündete, dass er Recherchen durchgeführt habe, und er zeigte anhand von Begriffen und Textpassagen aus Koppetsch‘ Buch, aus welchen anderen Werken diese anscheinend stammen. Am Schluss betonte er dann auch noch, dass dies »Zufallsfunde« gewesen seinen und erweckte den Eindruck, dass das Buch von vorn bis hinten voll mit fremden Federn geschmückt sei. Cordsen wurde ohne Grund vom Juror zum Ankläger, was an diesem Abend reichlich unpassend und unangenehm war. Was an den Vorwürfen dran ist und wie mit Buch und Autorin verfahren werden soll, darüber sollten andere an anderen Orten entscheiden, anstatt das zuvor nominierte Buch plötzlich so unschön vom Podest zu treten. Zum Glück milderte Svenja Flaßpöhler das Ganze ein klein wenig ab, in dem sie das Buch als wichtig bezeichnete und die Herangehensweise der Autorin an das Thema lobte.

Jan-Werner Müller gewann dann schließlich den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Sachbuch für sein Werk »Furcht und Freiheit. Für einen anderen Liberalismus«. In seiner kurzen Dankesrede sagte er, er hätte sich einen faireren Umgang mit den nominierten Büchern gewünscht, wofür es Applaus vom Publikum gab.

Denn auch bei den anderen beiden Sachbuchtiteln war das Jury-Urteil sehr konträr. Ein klein wenig blieb der Eindruck hängen, man habe nicht das beste Sachbuch, sondern das weniger schlechte ausgewählt.

Vom Patenprinzip zur Buchklatsche

Der Bayerische Buchpreis folgt dem Patenprinzip. Die Liste der Nominierten ist nichts weiter als die völlig subjektive Auswahl der persönlichen Vorlieben und Interessen der Jury-Mitglieder, das wurde in diesem Jahr mehr als deutlich. Da die nominierten Bücher jedoch im Vorfeld wie eine Shortlist und Vorauswahl der besten Bücher des Jahres verkündet werden, sollte man meinen, die Jury sei sich im Vorfeld zumindest in sofern einig, dass jedes der sechs Bücher den Preis verdient habe und es in der Bühnendiskussion nun darum gehe, das Beste der Besten zu küren. Tatsächlich aber hatte man in diesem Jahr wegen dieses fehlenden Grundkonsenses den Eindruck, dass da Bücher nominiert sind, die man nun wirklich nicht lesen muss und die den Preis eigentlich gar nicht Wert sind. Bücher, die nur deswegen genannt sind, weil sie eines der Jury-Mitglieder gut findet, ohne dass dieses subjektive Urteil auf der Bühne länger Bestand habe. Mit der diesjährigen Diskussion beschädigte die Jury die meisten der Bücher, die jedoch zuvor eigentlich alle als preiswürdig gegolten hatten.

Das wurde in der Kategorie Belletristik nicht besser.

Svenja Flaßpöhler hatte den Roman »Levi« von Carmen Buttjer nominiert, und am Schluss ihres Plädoyers für das Buch wertete sie es selbst ab, indem sie auf Schwächen verwies, das Buch fälschlicherweise als Debüt titulierte (»Levi« ist Buttjers zweiter Roman, ihr erster (»Fuchsteufelsstill«) erschien unter dem offenen Pseudonym Niah Finnik) und meinte, da sei noch Potential und das könne ja noch werden. Was für eine Klatsche für das Buch. Nahezu völlig niedergemacht wurde »Propaganda« von Steffen Kopetzky, das Juror Cordsen in den Ring geführt hatte. Dieser konnte am Ende auch noch kaum was zu seiner Verteidigung sagen, als dass er durch das Buch viele historische Dinge erfahren habe. Kegel und Flaßpöhler konnten dem Werk »zwischen Forrest Gump und Don Quichotte« nichts abgewinnen. Wie konnte dieses Werk jemals in die Preisregionen gelangen?

Vom Dissens zum Konsens

Kaisersaal der Münchner Residenz
Nach der Preisverleihung wurde im Kaisersaal der Münchner Residenz gefeiert (Foto: Tischer)

Glücklicherweise war sich die Jury dann bei David Wagner und »Der vergessliche Riese« einstimmig und ohne Einschränkungen einig, dass dies ein ganz herausragendes Werk sei. Wagner schildert darin überwiegend in Dialogform die Demenzerkrankung seines Vaters. Ein Buch über den Verlust und das Wiederfinden. Die Jury lobte Sprache, Beobachtungen und Bilder des Buches. Es brauchte keine zweite Abstimmungsrunde, da alle drei Juroren sich sofort für Wagner als Preisträger aussprachen. David Wagner konnte sich daher sichtlich und unbeschwert freuen, da zumindest »Der vergessliche Riese« unbeschädigt und gestärkt aus der Diskussion hervorging.

Wenn sich also der Bayerische Buchpreis dafür rühmt, dass dort »größtmögliche Transparenz« herrsche und wenn der Vorsitzende des Landesverbandes des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Michael Then darüber beklagt, dass dieser Begriff aus den Statuten des Preises leider von der Politik etwas entwertet wurde, so sollte man in den kommenden Jahren dafür Sorge tragen, dass dies nicht auch beim Bayerischen Buchpreis geschieht und sowohl die Vorauswahl der Nominierten als auch die Jury ausstrahlt, dass man hier nicht über Bücher von der Resterampe, sondern über Werke diskutiert, die grundsätzlich alle preiswürdig sind.

Denn schließlich ist es der Bayerische Buchpreis und nicht das Literarische Quartett.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Weitere Beiträge zum Thema

2 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein.
Bitte geben Sie Ihren Namen ein