Von der Vogelperspektive zur Nahaufnahme: In ihrer vorherigen Kolumne hatte Doris Brockmann ihren ersten Eindruck von den Autorenporträts der diesjährigen TeilnehmerInnen beim Bachmannpreis-Wettbewerb beschrieben.
Nun zoomt sie heran: Die AutorInnen kommen näher in den Blick. Sie erteilen Auskunft.
Jedoch erscheint es hierfür nur zwei Entscheidungsvarianten zu geben.
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Doris Brockmann
ist (bzw. war) passionierte Fernsehstudentin der »Tage der deutschsprachigen Literatur«. Bis 2013 bloggte und twitterte sie über den Bachmannpreis immer im angenehm kühlen Arbeitszimmer, 2014 war sie erstmals live im aufgeheizten Klagenfurt dabei, um sich mal alles vor Ort anzuschauen. 2017 wird sie zum vierten Mal nach Kärnten reisen. Ansonsten widmet sie sich der angewandten Schriftstellerei im Dienste der Alltagsbeobachtung auf
walk-the-lines.de
Für Aufregung ist jedoch auch zuvor schon gesorgt. Denn vor den Preis haben die Wettbewerbstatuten die Lesung und vor die Lesung das Videoporträt gesetzt. Die Konzeption dieses 3-Minuten-Clips ist gewiss keine kleine Hürde. Was geb’ ich von mir preis? Wie zeige ich mich? Mit welchem Ersteindruck will ich Jury und Publikum einstimmen, bevor es ernst wird, die Lesung beginnt? Auf diese Fragen müssen die Nominierten eine Antwort finden. Natürlich können sie sich der Bitte um ein Videoporträt auch verweigern. Dies ist in der Geschichte des Bachmannpreises eher selten vorgekommen. Im aktuellen Jahrgang haben alle ihre bebilderte Visitenkarte abgeliefert.
Spätestens seitdem die Automatische Literaturkritik der Riesenmaschine (ab 2008) den Klagenfurter Wettbewerb mit ihrer reflektierten Objektivierungsphantasie, scharfen Analytik und großartigen Heiterkeit bereichert, werden die Autorenporträts stärker beachtet, und es hat sich die Alternative zugespitzt, ob man als KandidatIn lieber ernst und ehrlich Auskunft geben oder die Selbstdarstellung lieber auf Unterhaltung anlegen bzw. ironisch brechen sollte.
Für letzteres hat sich in diesem Jahr Benjamin Maack entschieden. Er lässt sich auf einem Kinderspielplatz mit einem Rieseneis filmen und sagt Sätze daher, als befände er sich auf einem TV-Casting: »Mein größter Traum ist es, Schriftsteller zu werden … Wer träumt nicht davon, einmal in seinem Leben im Fernsehen zu sein … Ich möchte den Leuten zeigen, was in mir steckt … Ich will die Menschen berühren, ich will, dass die Menschen von ihren Sofas aufspringen und schreien … Also bitte ruft für mich an.«
Zé do Rock erzählt seine Biographie in Form einer kabarettistischen Einlage, die er am Ende mit einigen lustig verdrehten Vorurteilen über die Eigenart von Brasilianern und Deutschen anreichert. (Hört, hört: Im Gegensatz zum schüchternen Brasilianer feiert der Deutsche „hemmungsloser“ und „hupft“ beim Tanzen rum, wie ein „duchgeknallter Hampelmann“. – Könnte mir bitte jemand entsprechendes Fotobeweismaterial von den diesjährigen Abendprogrammveranstaltungen im Klagenfurter Lendhafen zukommen lassen?)
Nadine Kegele ersetzt Spielszenen durch Stichwortkarten. Zur druckvollen Musik von Latché Swing erscheinen auf einem Stuhl in rascher Abfolge bunte Karten, bedruckt mit Gesprächsfetzen, die im Stil augenzwinkernder Leichtigkeit Auskunft geben über Lebenslauf und aktuelle Befindlichkeiten der Autorin.
Larissa Boehning verzichtet auf biographische Eckdaten und konzentriert sich auf die Skizzierung eines für sie typischen Tagesablaufes zwischen Kita und Schreibwerkstatt. Näh- und Textarbeit werden szenisch überblendet, und am Ende erscheint das Kind als Kritiker, der das fertiggestellte Stoff-/Textgewebe verwundert betrachtet.
Die KandidatInnen, die sich gegen eine solcherart eher subversive Form des Autorenporträts entschieden haben, lassen sich meist auf die Fragen ein, die jedes Lesepublikum interessiert, und berichten – freundlicherweise auch nicht immer bierernst – über ihre schriftstellerische Tätigkeit.
Roman Ehrlich unterscheidet zwei Arten von Erzählungen: a.) die großen Erzählungen mit großen, meist abstrakten Themen, wie Freiheit, Selbstverwirklichung, Zugehörigkeit, Erfolg. Erzählungen, die wie vorgefertigt und unveränderlich wirkten, im Unterschied zu b.) jenen, „die sich Menschen untereinander erzählen, um ihre Wirklichkeit zu begreifen und diese Wirklichkeit dann zu verändern.“ Als Voraussetzung gilt, dass das „Leben hauptsächlich von Erzählungen abhängt, und dass es ganz wichtig ist, dass man dabei so eine aktive Rolle einnimmt.“
Hannah Dübgen rückt die Frage nach dem Fremden, dem Unbekannten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, und zwar in zweifacher Hinsicht: „In meinen Geschichten versuche ich, von Menschen und Schicksalen zu erzählen, die mir fremd sind.“ Neben dieser „Bewegung hin zum Anderen“ interessieren sie umgekehrt auch „ungewohnte Zugänge zum Gewohnten“: „Ungewöhnliche Perspektiven sind für mich wie Spitzer meiner Aufmerksamkeit, mehr noch, sie sind der Filter, der Neues zum Vorschein bringt.“
Erfahrungen des Fremden gründen für die seit 2011 in Odessa lebende Österreicherin Cordula Simon in der Wahrnehmung, „dass die Grenzen von Realität überall auf der Welt ein bisschen unterschiedlich (sind).“ Hieran gilt es sich abzuarbeiten, hinter die Fassade zu blicken, dem trügerischen Schein zu misstrauen. Dies schreibend, und zwar „isoliert in der fremde Sprache in der Muttersprache“ zu tun, nötige einen, auf Wörter bewusster zu achten. Der Antrieb für Cordula Simons Schreiben kann in einem sehr weit gefassten Sinn als politisch bezeichnet werden: „Jedes Nichteinverstandensein mit Irgendetwas treibt natürlich auch eigene Ideen und Sätze voran.“
(Morgen folgt der dritte und letzte Teil der Videoporträtbetrachtung)
Doris Brockmann
Technischer Hinweis: Leider sind die Videos auf der Website des Bachmannpreises nur im proprietären Microsoft-Format WMV verlinkt. Nicht-Windows-Nutzer sehen daher unter Umständen nach Klick auf den Link gar nichts. Abhilfe schafft hier die Installation des kostenlosen Videoplayers VLC, der z. B. auch auf dem Mac dieses Format darstellen kann.