StartseiteLiterarisches LebenUrheberrecht: Von Weltbildern und Wirklichkeiten - Vortrag in Stuttgart

Urheberrecht: Von Weltbildern und Wirklichkeiten – Vortrag in Stuttgart

Die Stadtbibliothek StuttgartPlötzlich redeten alle über das Urheberrecht. Sogar die Schriftsteller. Massenhaft haben sie den Aufruf »Wir sind die Urheber« unterzeichnet. Inzwischen scheint wieder etwas Ruhe eingekehrt. War alles nur ein Sturm im Wasserglas, wie Bestseller-Autor Andreas Eschbach meint?

Und sind wir heute nicht alle ein bisschen Urheber? Die 17-jährige Schülerin, die ein Gedicht schreibt und es in ihrem Blog veröffentlicht, ist auch eine Urheberin. Auch sie würde es doof finden, wenn sie ihr Werk kopiert auf anderen Websites oder bei Facebook finden würde.

literaturcafe.de-Herausgeber Wolfgang Tischer blickte auf die Urheber – in diesem Text und bei einem Vortrag am Montag, 23. Juli 2012 in der Stuttgarter Stadtbibliothek.

»Wir sind die Urheber, die vom Schreiben leben«

Liest man den Text unter wir-sind-die-urheber.de, so wird klar, was wirklich gemeint ist: »Wir sind die Urheber, die vom Schreiben leben«. Es geht um die scheinbare »Entrechtung von Künstlern und Autoren«. Außerdem sei die »alltägliche Präsenz des Internets […] in unserem Leben« keine Rechtfertigung für »Diebstahl« und keine »Entschuldigung für Geiz und Gier«.

Auch wenn der Text mit historischem Habitus daherkommt und das Urheberrecht als »Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit« preist, wage ich zu behaupten, dass viele der Unterzeichner den Gesetzestext nie gelesen haben und eigentlich gar nicht genau wissen, was das Urheberrecht ist.

Ist das Urheberrecht eine sichere Insel?

Literaturblatt für Baden-Württemberg Juli/August 2012
Dieser Text erschien erstmals im Literaturblatt für Baden-Württemberg in der Ausgabe Juli/August 2012
www.literaturblatt.de

Für sie ist das Wort »Urheberrecht« nicht mehr als eine fiktive Insel, die irgendwie gut ist und das Überleben sichert. Das Internet hingegen ist das Meer, das von Haien und bösem Getier wimmelt. So wie »das Internet« für viele, die es nicht wirklich kennen, voll von Bombenbauanleitungen und Kinderpornografie zu sein scheint, so wird im Weltbild der »Urheber« das Internet überwiegend von Menschen genutzt, die es einzig und allein darauf anlegen, Kunstwerke zu kopieren und »die Urheber« ihrer Einnahmen zu berauben.

Reden wir Klartext! Was die Autoren tatsächlich meinen, wenn sie »Urheberrecht« sagen, sind Geld und Kontrolle.

Wer zu den Wenigen gehört, die vom Schreiben leben können, der oder die möchte nicht, dass irgendetwas passiert, dass ihm oder ihr plötzlich kein Geld mehr bringt.

Zudem will man die Kontrolle über sein Werk behalten. Niemand darf es ohne Erlaubnis drucken oder vervielfältigen, womöglich einen anderen Namen daruntersetzen oder dem Roman einen neuen Schluss geben, den der Autor nie wollte.

Speziell in »Urheberkreisen« wird gern kolportiert, dass die Piratenpartei die Urheber entmachten wolle und dass das Kopieren von Kunstwerken legalisiert werden solle, der Autor also leer ausgehe. Die Piraten gelten in diesen Kreisen als politischer Arm der Anhänger einer »Kostenloskultur«, und es sei geradezu ein Hohn, dass sie sich »Piraten« nennen. Die Angst geht um.

Zwar mag es immer wieder merkwürdige Äußerungen von Mitgliedern der Piraten oder ihnen nahe stehender Menschen geben, doch im Programm der Partei liest sich alles weitaus differenzierter.

Auch wenn alles so bleiben möge: Die Welt ändert sich!

Denn trotz des Wunsches vieler Schreibenden, dass alles so bleiben möge, wie es ist, ändert sich die Welt.

Dass die Kopie heute nicht mehr vom Original zu unterscheiden ist, ist eine Tatsache. Kann man es Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass es früher okay war, wenn man Musik aus dem Radio und Filme aus dem Fernseher auf Kassette aufgenommen hat, aber heute das Runterladen von bestimmten Dateien aus dem Internet böse ist?

Parodie auf einen Warnhinweis, wie ihn der Börsenverein des Deutschen Buchhandlels fordertImmer wieder wird vorgeschlagen, vor dem Download Warnhinweise anzuzeigen. Doch wer warnen will, muss überwachen. Die Überwachungssysteme unterscheiden sich nicht von denen totalitärer Staaten. Es gibt keine Unschuldsvermutung mehr.

Wer zur Stärkung des Urheberrechts die Politik anruft, könnte sich in der Situation wiederfinden, dass er zum Fürsprecher von Zensurmechanismen wird.

Fragen wir also umgekehrt: Wenn Schriftsteller trotz Kopien mit ihrer Arbeit Geld verdienen können und wenn sie weiterhin bestimmen können, was man mit ihren Werken machen darf, müssen wir dann noch über das Urheberrecht diskutieren? Stellen wir dann nicht die viel spannendere und in die Zukunft gerichtete Frage, wie wir den Schutz der Kreativen mit der Wirklichkeit verbinden? Wenden wir uns dann nicht endlich der Zukunft zu, anstatt einer Vergangenheit nachzutrauern, die es schon längst nicht mehr gibt?

Wolfgang Tischer

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Montag, 23. Juli 2012 in der Stuttgarter Stadtbibliothek

Am 23. Juli 2012 um 19:30 Uhr ist Wolfgang Tischer auf Einladung des Stuttgarter Schriftstellerhauses zu Gast in der Stuttgarter Stadtbibliothek.

Lassen Sie mich durch, ich bin Urheber!
Urheberrecht, Autor und Internet – Versuch einer Annäherung

lautet der Vortrag des Herausgebers des literaturcafe.de. Doch es soll an diesem Abend idealerweise nicht bei einem Vortrag bleiben, sondern Sie sind eingeladen mitzudiskutieren. Dabei ist es vollkommen egal, ob Sie »nur« Leser oder auch Urheber sind.

Aus dem Ankündigungstext:

Seitdem über das Urheberrecht und mögliche Änderungen diskutiert wird, herrscht bei vielen Autorinnen und Autoren Aufregung und Unruhe. Viele sehen ihre Werke in Gefahr und fürchten gar um ihre Existenzgrundlage. Wolfgang Tischer betreibt seit 16 Jahren das literaturcafe.de im Internet. Er wirft einen Blick auf die aktuelle Diskussion und will vor allen Dingen eines vermitteln: keine Angst!

Veranstaltungsort: Stadtbibliothek am Mailänder Platz, Mailänder Platz 1
70173 Stuttgart
Zeit: Montag, 23. Juli 2012 um 19:30 Uhr

Audio-Mitschnitt des kompletten Vortrags von Wolfgang Tischer

Sie finden den Vortrag ungekürzt als Audio-Mitschnitt hier im literaturcafe.de zum kostenlosen Download. Hier entlang bitte »

Link ins Web:

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4 Kommentare

  1. Der Vortrag scheint mir etwas einseitig angelegt. Es gibt die andere Seite: die Kopierer, die nach dem Motto verfahren, was im Web ist, ist frei verwendbar. Und das ist eine sehr heterogene Gruppe. Das fängt an bei Schülern und hört auf bei Amtsblättern, die ein nettes Gedicht aus dem Netz fischen und in ihrem Blatt veröffentlichen. Gemeinsam ist ihnen ein völlig fehlendes Unrechtsbewusstsein bis hin zur völligen Respektlosigkeit gegenüber dem Autor, wenn dessen Name gleich vom Text entfernt wird und so der Eindruck entsteht, man habe selbst etwas hervorgebracht. Und das passiert sehr häufig.
    Alle sind sich einige, dass das Urheberrecht geändert werden muss, weil sich die technischen Möglichkeiten ändern. Niemand spricht davon, dass die Nutzer der neuen technischen Möglichkeiten einen gewaltigen Nachholbedarf an Wissen haben, wie man mit diesen Möglichkeiten umgehen kann. Es ist ja nicht nur das Urheberrecht zu beachten. Markenrecht, Persönlichkeitsrecht und die Meinungsfreiheit endet bei der falschen Tatsachenbehauptung. Ohne Bildung und Aufklärung über die Grenzen der neuen Techniken wird jede Urheberrechtsreform vielleicht die Zahl der zu beanstandenden Fälle geringfügig verringern, aber ändern wird sich dadurch grundsätzlich nichts, es sei denn man holt zum großen Schlag aus, der so ziemlich alles möglich macht, aber das dürfte an der Internationalität des Urheberrechts scheitern.

  2. So wichtig und richtig all diese Diskussionen und Debatten über das Urheberrecht sind, was uns hierzulande fehlt sind Autoren und Verlage, die in die Offensive gehen. Im angloamerikansichen Raum gibt es Leute wie Cory Doctorow, die nicht nur unablässig für neue Vertriebsmodelle von Literatur werben, sondern diese auch ganz konkret und praktisch mit ihren Büchern ausprobieren. Aber wer macht das hierzulande von den professionellen Autoren. Johnny Haeusler von Spreeblick hat, glaube ich, seinen letzten Kurzgeschichtenband unter einer offenen Lizenz veröffentlicht. Und Francis Neniks Debütroman “XO” hat nicht nur wegen seiner avantgardistisch anmutenden Form, sondern auch wegen seines “Kopiert-doch!” Ansatzes für Furore gesorgt.
    ( http://commonsblog.wordpress.com/2012/07/04/xo-literatisch-besonderes-unter-creative-commons-lizenz/#more-6095 )
    Aber viel mehr sieht und hört man da nicht. Warum werden neue Wege nicht einfach ausprobiert, anstatt “nur” darüber zu reden und Texte darüber zu schreiben. Viele Musiker sind da schon um einiges weiter. Das Gros der Literaturbranche aber scheint vor Schrecken ganz starr. Schade drum.

  3. Die Debatte wird sehr einseitig geführt. Es geht immer nur um Geschäftsmodelle. Eine Diskussion der Buchhalter und Anwälte. Wenn man aber fragt, wie Kulturgüter tradiert werden, kommt man nicht umhin, die Bedeutung des Publikums zu würdigen. http://www.sudelbuch.de/2012/bezahlt-endlich-das-publikum

    Und das “geistige Eigentum” kann man mit guten Gründen als Anmaßung bezeichnen, wie ich hier versucht habe zu zeigen: https://www.amazon.de/dp/B008G4Z2I2

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