Zum dritten Mal hatte der O’Reilly-Verlag in Kooperation mit der Buchmesse die Verleger aus aller Welt zur »Tools of Change« nach Frankfurt eingeladen. Die eintägige Konferenz im Vorfeld der Messe soll sich der Zukunft und den Veränderungen des Verlegens widmen.
Dass die Zukunftskonferenz schon am Anfang aus den Fugen geriet und mit einstündiger Verspätung startete und dem Zeitplan hinterherhinkte, hatte Symbolcharakter.
Nichts für Morgenmuffel
Dass die erste Eröffnungsrede bereits um 8:30 Uhr beginnen sollte, war eine gewagte Planung. Wahrscheinlich dachte man sich, da viele Besucher aus Übersee anreisen, seien diese Jetlag bedingt ohnehin aus der Zeit gefallen. Doch um fünf vor halb neun war die Schlange der Teilnehmer am Registrierungstisch noch so lang, dass ein pünktlicher Beginn unmöglich war. Von einer Zukunfskonferenz hätte man vielleicht erwartet, dass die Computerdisplays an den Konferenzräumen dynamisch die tatsächlichen Zeiten der Vorträge anzeigen würden. Fehlanzeige! Stattdessen wurden zusätzlich Konferenzräume umbenannt und Vorträge verlegt, was zu weiteren Irritationen führte.
Zumindest am Vormittag sah man immer wieder Menschen orientierungslos durch die teppichbeplüschten Gänge huschen und man hörte sie an den Eingangstüren der Säle fragen, ob noch der alte oder schon der neue Vortrag liefe.
Gleich drei Eröffnungsvorträge waren für die TOC geplant, doch bereits der erste enttäuschte, wenngleich er dennoch das Buzzword des Tages definieren sollte: Social Reading.
Bob Stein durfte Werbung für sein Projekt »Social Book« machen. Ein Vortrag, den er erst unlängst in Berlin hielt und den man zumindest via Web-Video kannte und der nichts Neues brachte. Stein demonstrierte, wie man sich via Web über ein Buch austauschen und darüber online diskutieren kann, wie man definieren kann, ob man in die Diskussion nur Bekannte oder jeden aufnehmen, wie man Texte markieren und Zusatzinhalte austauschen kann. Ein Vortrag, der vielleicht noch vor drei Jahren interessant gewesen wäre, doch der heute wenig revolutionär ist. Als Stein betonte, dass dies alles ohne Reader allein mit einem Webbrowser funktioniere, da war es, als habe er die Oberflächen von Facebook und Google+ noch nie gesehen.
Allen Ernstes gab Stein den anwesenden Verlegern die Botschaft auf den Weg, dass Leute nicht für Inhalte, sondern für Gemeinschaften zahlen (»People don’t pay for content, but for community«), so als gäbe es die kostenlosen Dienste wie Facebook, Twitter oder Google+ nicht, die es nur einen Fingerschnipp kosten dürfte, die von Stein stolz vorgeführten Elemente in ihre Netzwerke zu integrieren. Von Visionen und neuen Denkansätzen, die eine Eröffnungsrede bieten sollte, war nicht zu spüren, zumal auch Stein nicht den Eindruck vermittelte, als habe er Spaß an seinem Vortrag.
Humorvoller versuchte es da schon Mitch Joel, der unter anderem mit Beispielen zeigte, welche verkaufsfördernde Wirkung private Produktvideos für Rollkoffer haben können. Leider fehlte ein Bezug zur Buchbranche, noch lieferte er konkrete Ratschläge. Gute Beispiele zu finden, bei denen die Web basierte Mund-zu-Mund-Propaganda klappt, ist einfach.
Der Messias aus den USA
Hinzu kam ein Ton, als würde der Messias aus den USA ins alte Europa hinabsteigen und verkünden: »Hey, dieses Internet ist so eine Hammersache, das müsst ihr euch mal ansehen und ausprobieren, wenn ihr es noch nicht kennen solltet. Und habt ihr schon gehört? Amazon bietet mit dem Prime Service die Lieferung über Nacht und die unkomplizierte Rücknahme an. Da wird jeder Kauf zum Impulskauf. Habt ihr Amazon Prime auch schon in Europa?«
Zuletzt erzählte Oliver Reichenstein in ermüdender Weise etwas über Typografie. Man hatte Angst, er würde gleich den revolutionären Satz aussprechen: »People read different on screen than on paper«. Da flüchtet man besser ins Foyer, wo wie in den Vorjahren der eigentliche Reiz dieser Konferenz in den Gesprächen mit anderen Teilnehmern bestand.
Manchmal konnte man sich an einem guten und intensiven Vortragsstil wie beispielsweise dem von Aliza Sherman freuen. Auch wenn es etwas rührig wirkte, wie sie Facebook, QR-Codes und Foursquare als die neuen Marketingwerkzeuge für Autoren anpries.
Geradezu sterbenslangweilig wurde es bei den abschließenden Podiumsdiskussionen am Abend. Als Jason Epstein über seine Verlegererfahrungen aus den 1950er Jahren berichtete, da war es, als erzähle Opa vom Krieg. In den Vorjahren versuchte man zumindest mit populären Sprechern wie Jeff Jarvis auch am Ende der Konferenz noch interessante Höhepunkte zu setzen. Vor zwei Jahren war sogar Tim O’Reilly selbst angekündigt, der seinerzeit krankheitsbedingt ausfiel, aber sich auch im vergangenen und in diesem Jahr nicht auf seiner Konferenz blicken lies.
Überhaupt hatte man nicht das Gefühl, die Crème-de-la-Crème an Referenten zu erleben, sondern oftmals eher Redner aus der dritten oder vierten Reihe. Leute, die man in Deutschland mit dem eher negativ belegten Begriff »Social-Media-Berater« bezeichnen würde.
Visionen waren auch in diesem Jahr nicht zu finden, stattdessen zeigte man hin und wieder Apps fürs iPad.
Warum hat man nicht Amanda Hocking eingeladen, die von ihren Erfahrungen als Selbstverlegerin berichtet hätte und die dann immer noch zum für die Teilnehmer versöhnlichen Schluss hätte kommen können, dass auch sie letztendlich bei einem Verlag gelandet sei, weil man es da als Autor eben doch einfacher habe?
Es wäre an der Zeit, dass sich die TOC neu erfindet
Eigentlich wäre es an der Zeit, dass sich die TOC neu erfindet, um wirklich Visionäres oder gar Revolutionäres zu bieten. Doch obwohl nicht günstig, war auch die dritte TOC auf deutschem Boden hervorragend besucht. Die Bilanz für die Veranstalter dürften stimmen, sodass wenige Innovationsbereitschaft vorhanden sein dürfte, das Format und die Qualität der Sprecher zu verbessern, denn mittlerweile kann man auf einem gut organisierten Barcamp Interessanteres hören.
Wolfgang Tischer
Herzlichen Dank, dass sie für uns Anwesend waren, ich hatte ja gehofft das die TOC diesmal was bringt, aber, zum Glück muss ich sagen, war ich nicht dort.
Ja, Herr Tischer, ich schließe mich dem Dank an. Zum Glück waren Sie dort und können uns druckfrisch nicht nur über Inhalte, sondern auch über die Atmosphäre bei der TOC berichten. Schade nur, dass Sie kaum Positives vermelden können.