Ungewöhnliche Projekte erfordern ungewöhnliche Inszenierungen. Bastei Lübbe hatte fast Christo-artig seinen Buchmesse-Stand verhüllt. Zu Gregorianik-Pop wandelten davor falsche Mönche in braunen Kutten auf und ab. Dann fiel der Vorhang und Lübbe Entertainment präsentierte »Apocalypsis«. Laut Verlag »der weltweit erste digitale Serienroman«. Ein Werk mit Text, Ton, Bildern und Spielelementen.
Das klingt dann trotz pompöser Inszenierung zunächst doch nach der guten alten »Multimedia-CD-ROM« der 1990er. Doch was Lübbe präsentiert, zeigt tatsächlich neue Ansätze, was sowohl Erzählen, Inszenierung und Verbreitungskanal betrifft. Also doch endlich eine neue Form des Romans?
Zunächst mal der klassische Vatikanverschwörungsthriller
»Apocalypsis« ist zunächst einmal ein fast klassischer vatikanischer Verschwörungsthriller, in dem es um den Weltuntergang, um mystische Zeichen und Rätsel und um den kleinen Reporter »eines großen Hamburger Nachrichtenmagazins« geht, der sich daran macht, all die Verschwörungen aufzudecken und die Welt vor dem Bösen und dem Untergang zu retten.
Klar klingt das nach Dan Brown, der ja auch im gleichen Verlagshaus erscheint. Und ein erfolgreiches Format zu kopieren muss ja nicht immer schlecht sein.
Der Text steht im Mittelpunkt
»Apocalypsis« ist und bleibt ein Roman. Der Text steht im Mittelpunkt. Doch was das Projekt aus all den anderen »enriched« und »enhanced« E-Books heraushebt, ist der von vorn herein konzipierte multimediale Ansatz, während andere »angereicherte« elektronische Romane versuchen, den Text nachträglich mit mehr oder minder spannenden Videos oder Audios aufzupeppen, um dem Leser den viel zitierten »Mehrwert« zu bieten. Der eigentliche Text und Roman ist dabei längst vom Autor fertiggestellt und wird sozusagen nur aufgehübscht – meist von einem externen Dienstleister.
Anders das Lübbe-Projekt: Schon vor einiger Zeit gründete der Verlag mit »Lübbe Entertainment« einen eigenen Bereich, dessen Ziel es sein soll, im eigenen Hause originäre neue Formate zu entwickeln, die Text, Ton und Bild von vorn herein integrativ zusammenfügen und die doch näher am Buch als an Film oder Spiel sind.
Der Name des Autors steht nicht auf dem Cover
So saß der Autor nicht nur allein in seiner Kammer, sondern entwickelte die Geschichte zusammen mit einem Team weiter. Es stecken eineinhalb Jahre Entwicklungszeit in der ersten entstandenen Webnovel, und obwohl der Autor des Werkes nicht unbekannt ist, ist er nur Teil des Projektes und wird von Lübbe nicht prominent auf dem Cover genannt.
Dennoch hält Autor Mario Giordano mit seiner Verschwörungsgeschichte den roten Faden in der Hand. Giordano gehört zu den Profi-Schreibern, die es gewohnt sind, im Auftrag und im Team zu arbeiten, und die erleben, wie ihr Stoff von anderen interpretiert und geformt wird, denn Giordano ist Drehbuchautor und schreibt unter anderem Geschichten für den ARD-Tatort. Aber Mario Giordano ist auch Romanautor. Sein Buch »Black Box« wurde als »Das Experiment« mit Moritz Bleibtreu verfilmt. Giordano kennt sich also mit Spannung aus.
Und der Text des Prologs, der ab sofort kostenlos erhältlich ist, überzeugt als Thriller. Es ist ein schnörkelloser Text ohne wuchernde Adjektive und abgegriffene Formulierungen, ein Text, der das Filmische in sich trägt und der – zumindest in dem, was bislang zu lesen ist – auf die oft genre-typischen nervigen leserbelehrenden Passagen verzichtet.
Eine Fortsetzungsgeschichte wie im TV
Denn noch ist nicht alles von »Apocalypsis« zu lesen, und das macht eine weitere Besonderheit des Projekts aus: Es ist eine Fortsetzungsgeschichte, die sich in ihrer Erscheinungsweise an TV-Serienformaten orientiert und – nach dem bereits erhältlichen Prolog – ab dem 17. Oktober 2011 wöchentlich erscheint. Die letzte der zwölf Episoden wird am 2. Januar 2012 zum Download bereitstehen, wir erleben also so etwas wie die »First Season«, die erste Serienstaffel. Eine weitere soll danach im Frühjahr folgen, verkündet Lübbe.
Senden auf allen mobilen Geräten
Und auch die Vielfalt der Verbreitung ist neu, denn der Verlag bietet den Vatikan-Thriller parallel und zeitgleich für alle mobilen Geräte an, egal ob einfacher MP3-Player, Android-Gerät, iPad oder E-Reader. Sogar eine Version für Amazons Kindle ist dabei. Da die meisten der Geräte technische Einschränkungen haben – ein MP3-Player zeigt keinen Text, und der Kindle scheitert bei Videos und Animationen – werden unterschiedliche Versionen produziert, die dennoch die gleiche Geschichte erzählen. So gibt es für den Audio-Player eine inszenierte Lesung mit Schauspieler und Hörbuchsprecher Matthias Koeberlin, der Kindle bekommt nur den Text, und Apples iOS-Geräte sowie Android-Devices bieten die ganze Breite von Text, Ton und Video.
Den Prolog gibt’s ab sofort kostenlos zum Download und ist ein umfangreicher Appetithappen. Die allumfassenden Versionen für Android und iOS kosten später 2,39 Euro pro Folge, die pure EPUB-Textversion ist für 1,49 Euro zu haben. Das addiert sich somit auf rund 29 bzw. 18 Euro und entspricht dem Preis eines gebundenen Buches.
Und nicht nur bei Lübbe ist man gespannt, ob und wie die Leserin oder der Leser das neue Format findet und ob es Maßstäbe für ein neues Format der Verlagsbranche setzen wird, das dann auch die Konkurrenz kopieren könnte.
Aber egal was kommt – irgendwann später 2012 wird die Story auch im Taschenbuch zweitverwertet werden. »Dann kann es auch meine Mutter lesen und stolz sein«, sagt Autor Mario Giordano und schmunzelt.
Das ausführliche Gespräch mit Mario Giordano über »Apocalypsis« hören Sie im Podcast des literaturcafe.de.
Link ins Web
Naja, “der weltweit erste digitale Serienroman” ist wohl eher das Projekt “Mongoliad” von Neal Stephenson und Greg Bear, das schon seit mehr als einem Jahr läuft; inklusive Zeichnungen, Videos, Musik und mehr.
Aber trotzdem schön, dass sich auch ein deutscher Verlag mal an sowas rantraut…